11. September 2023 13:00

Gestahlfedert: Triple Witch Hunt Der Lindemann-Schmidt-Aiwanger-Komplex – Teil 2

Drei unterschiedlich erfolgreiche, mediale Rufmordkampagnen – eine Analyse

von Michael Werner

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Bildquelle: Frank Gaertner / Shutterstock.com Ebenfalls Ziel einer gratismutigen Hexenjagd: Harald Schmidt

Eine feste Begleiterscheinung von Gesellschaften, die in den Totalitarismus abgleiten, ist die vom regimetreuen Handlanger-Mob öffentlich zelebrierte Hexenjagd auf einzelne Personen, die bei ihm in Ungnade gefallen sind, mit dem Ziel der völligen Vernichtung ihres Rufs, ihres sozialen Status, ihrer Karriere und ihrer bürgerlichen Existenz.

Das klingt düster, doch es gibt Hoffnung: Diese konzertierten Kampagnen zur Zerstörung unliebsamer Individuen müssen nicht zwingend zielführend sein. Die Empirie lehrt uns nämlich, dass es vier mögliche Ausgänge einer solchen Hexenjagd gibt:

Erste Möglichkeit: Sie ist vom erwünschten Erfolg ihrer Betreiber gekrönt.

Zweite Möglichkeit: Sie verpufft wirkungslos wie ein Blindgänger an Silvester.

Dritte Möglichkeit: Sie geht mächtig nach hinten los, da sie der Zielperson gar nicht geschadet, sondern stattdessen genutzt hat.

Vierte Möglichkeit: Wie die dritte, jedoch wird die Aktion für diejenigen, die sie initiiert haben, obendrein noch zum Bumerang und schlägt ihnen selbst schmerzhafte Wunden.

Die spannende Frage ist nun, welcher Faktor maßgeblich darüber entscheidet, welchen der vier aufgeführten Ausgänge eine solche Hexenjagd nimmt. Die gute Nachricht: Neben dem puren Zufall, der jederzeit unverhofft ins Spiel kommen kann, sowie unglücklichen oder glücklichen Umständen und Konstellationen, handelt es sich bei besagtem, ausschlaggebendem Faktor um den einzigen, den der Betroffene selbst in der Hand hat, nämlich seine Reaktion, sein Umgang mit der Situation.

Zur Veranschaulichung werde ich in dieser Mini-Serie drei gleichermaßen aktuelle wie prominente Fälle solcher Hexenjagden näher beleuchten, nämlich Till Lindemann, Harald Schmidt und Hubert Aiwanger, und dabei einem Vergleich unterziehen. Das Interessante an diesen drei Fällen ist nämlich, dass sie sich lediglich in Ursache und Methodik stark ähneln, jedoch in dem für Erfolg oder Misserfolg maßgeblichen Faktor, dem Verhalten des Betroffenen, deutlich voneinander unterscheiden, weshalb sie auch unterschiedlich verlaufen sind. Am Ende des dritten Teils bekommen Sie dann die sechs goldenen Regeln, wie Sie eine öffentliche Hexenjagd unbeschadet überstehen.

Nach Till Lindemann im ersten Teil kommt Fall Nummer zwei ebenfalls aus der Unterhaltungsbranche: Der große Harald Schmidt. Hier muss ich mich fairerweise als voreingenommen outen: Ich habe keine seiner Shows verpasst und hänge auch heute noch an seinen Lippen wie ein Bahnhofs-Junkie an der Nadel. Seit dem Ende seiner Late Night Show im Mai 2014 ist Schmidt offiziell in Rente, aber in den letzten Jahren zunehmend wieder im Unruhestand, denn es vergeht kaum eine Woche, in der er nicht irgendeiner Zeitung oder Zeitschrift ein Interview gibt oder auf Youtube ein Video aufpoppt, in dem er irgendwo einen Vortrag hält, eine Veranstaltung moderiert, in einer Talkrunde sitzt oder ein Zwiegespräch führt. So ist Schmidt auch ohne eigene Show omnipräsent, zumal diese Art der „Risikostreuung“ über wechselnde fremde Formate wesentlich schlauer ist, da er in der heutigen Zeit mit einer eigenen Show noch nicht mal die ersten drei Minuten überleben würde, ohne dass die Sendezentrale panisch einen rettenden Kurzschluss herbeiführt oder zum ersten Mal seit 1997 wieder das Testbild sendet. Was Schmidt selbst auch genau weiß und ganz offen kommuniziert.

Was ist passiert? Der Mann erfreut sich ungebrochener Beliebtheit und ist gern gesehener Gast auf zahlreichen Events, zumindest in Kreisen ohne Humorbehinderung und mit einem Durchschnitts-IQ jenseits der 120. Wenn er sich vom Besuch einer Veranstaltung ausreichend neuen Input (das Lebenselixier eines Satirikers) durch interessante, illustre und schräge Gestalten verspricht, besteht die realistische Chance, dass Harald Schmidt dort aufschlägt und sich mit Eindrücken vollsaugt (oder wie er es formuliert: „Material sammeln“). So folgte er dann auch jüngst der Einladung des Schweizer Nationalrats-Politikers, Publizisten und Medienunternehmers Roger Köppel zum Sommerfest des von ihm verlegten Magazins „Die Weltwoche“. Köppel, den man in Deutschland gerne mit so Attributen wie „umstritten“ und „rechtspopulistisch“ adelt, ist ein Mann, den man respektieren kann, ohne alle seine Ansichten zu teilen. Er redet mit jedem über alles, stets sachlich und freundlich. Daher hatte er laut eigenen Angaben auch eine bunte Mischung aus insgesamt rund 400 illustren Gäste von links bis rechts, aus dem In- und Ausland eingeladen; darunter grüne Politiker, Chefredakteure anderer Zeitungen, sogar Köppel-Skeptiker, die immer wieder dezidiert Stellung gegen ihn bezögen. Und das glaube ich ihm unbesehen, denn er kann das nicht nur ab, sondern findet das sogar gut, so wie ich ihn einschätze.

Für deutsche Verhältnisse dürfte diese Party allerdings ein Lebensborn der Kontaktschuld gewesen sein. Und wurde es dann auch – nämlich für Harald Schmidt, nachdem ein Foto viral gegangen war, das ihn mit einem Glas Wein in der Hand zwischen dem wegen zu viel Wahrheit von Merkel entsorgten ehemaligen Verfassungsschutz-Präsidenten Dr. Hans-Georg Maaßen und dem renommierten Journalisten Matthias Matussek zeigte.

Anfangs hielt sich die Presse noch zurück, nur einige ganz wenige, besonders widerwärtige Ausflüsse der deutschen Medienkloake konnten ihren geistigen Dünnpfiff nicht einhalten, allen voran der „Kölner Stadtanzünder“, seines Zeichens allein schon aus alter Tradition ein Übererfüller im Dienste eines jedweden Drecksregimes und in der braunen Epoche so stramm auf Linie, dass es unbestätigten Gerüchten zufolge selbst Goebbels peinlich gewesen sein soll. Ich fasse kurz den Tenor der Pressemeldungen zusammen: „Auf dem Sommerfest des umstrittenen rechtspopulistischen Magazins ,Weltwoche‘ des umstrittenen rechtspopulistischen Roger Köppel waren auch der umstrittene neurechte Journalist Matthias Matussek und der nicht minder umstrittene, bekennend rechtsextreme Hans-Georg Maaßen eingeladen, der gerade wohl wegen des Verdachts von Kontakten in die Reichsbürger-Szene von seinem ehemaligen Arbeitgeber beobachtet wird und in der Vergangenheit durch die Leugnung rechter Hetzjagden und andere antisemitische Ausfälle von sich reden machte.“ (An der Stelle könnte ich jetzt einen Seitenstrang aufmachen über die Hexenjagd, der Maaßen gerade ausgesetzt ist, parallel zu Markus Krall, worauf ich jedoch nicht nur aus Platzgründen verzichte, sondern weil das Thema von letzterem, der bekanntlich auch Autor auf dieser Plattform ist, deutlich kenntnisreicher behandelt werden kann und wird.) Das war die Ouvertüre, to set the scene, die ideologische Kalibrierung, und schon spürt der geneigte Leser ihn förmlich, diesen schaurig-kalten Hauch der Duftmarke „Führerbunker“. Nächste Szene, Auftritt Harald Schmidt, „Peng, Kontaktschuld“! Epilog: „Alice Weidel soll auch da gewesen sein! Leider hat sie es nicht mit aufs Foto geschafft… Aber es reicht, dass sie vielleicht da war: Noch mehr Kontaktschuld, alles rrrääächz, Nazi, brrraun, Harald Schmidt ist tot, es lebe Hadolf Schmidtler!“ Das war’s. Haltungsjournalismus kann ich, gelle?

In den sozialen Netzwerken hingegen war der Shitstorm brachial, der woke, linke Mob wurde von kollektiver Hyperventilation heimgesucht, und alle wollten es immer schon gewusst haben: Harald Schmidt ist ein verkappter Rechtsextremer, der ist ja in der Vergangenheit immer wieder mal ideologisch falsch abgebogen (freilich ohne auch nur ein einziges Beispiel zu zitieren) und hat den strammen Reaktionär keineswegs nur gespielt, und jetzt steht er endlich dazu und hängt mit seinesgleichen ab. Es wird schon seinen Grund haben, warum seine alten Sendungen nur noch mit Trigger-Warnung ausgestrahlt werden. Solche Wiederholungen sollten jetzt am besten komplett unterbleiben! Außerdem muss er sofort seine Rolle beim „Traumschiff“ verlieren! Cancelt ihn! Hängt ihn! Weg mit ihm, diesem schäbigen rrrääächten Lumpen!

Schmidts ehemaliger Kofferträger Klaas Heufer-Umlauf, die Karikatur eines Mannes mit überschaubarem Talent und dem Charisma einer Büroklammer, der es ohne Schmidt beim Fernsehen höchstens zum Kloputzer gebracht hätte, schoss den Vogel ab, indem er seinem früheren Förderer vorwarf, sich mit „Aussortierten“ zu unterhalten. Das kann man sich nicht ausdenken: Ein verdienter Journalist mit einer beachtlichen Lebensleistung und ein in Jura promoviertes Restexemplar der ausgestorbenen Gattung „aufrichtiger Staatsdiener“ müssen sich nun also von einem Aushilfsfriseur als „Aussortierte“ bezeichnen lassen. Wer genau definiert das? Oder direkter gefragt: Wer stand denn bitte an der Selektionsrampe und hat diese beiden Herren „aussortiert“?

Auch das Böhmermännchen, der Julius Streicher des Grünen Reichs, auf den alles, was ich im vorherigen Absatz über Heufer-Umlauf gesagt habe, gleichermaßen zutrifft, warf Schmidt vor, die Party überhaupt besucht zu haben, und nannte die Veranstaltung „Rotkreuz-Dampfschiff nach Paraguay zum Jahresfest des Völkischen Beobachters“.

Hach wie schön, Klaasi und Böhmi, ihr zwei Lauchgestalten, passt schon – Nazi-Vokabular ist bekanntlich völlig in Ordnung, wenn’s die „Guten“ benutzen, gelle?

Warum Harald Schmidt? Ähnliche Gründe wie bei Till Lindemann, nur ohne „Row Zero“: Ein alter weißer Mann, der diese Eigenschaft sogar überironisierend zelebriert, ebenfalls mit genug Fuck-You-Money, um sich alles meilenweit am Allerwertesten vorbeigehen zu lassen, der einfach sagt, was er will, und sich einen Dreck um die Denk- und Redeverbote von Woko Haram schert. Ein einziger Satz von ihm ist geistreicher als die gesammelte Verbaldiarrhoe all seiner Gegner zusammen. Das muss diesen Staatsclowns wehtun, daher haben all die wadenbeißenden Zwergpinscher des regimetreuen „VEB Spott und Hohn“ sehnlichst auf ihre große Chance gewartet, um dem Gottgleichen endlich ans Bein pinkeln zu können. Zu dumm nur, wenn‘s dann statt für einen dicken Strahl gerade mal für ein Rinnsal reicht, das auf die eigenen Schuhe tropft.

Die Heuchelei in der Causa: Unsere Spitzenpolitiker mit ihren moralinsauren Sonntagsreden haben kein Problem damit, korrupten, mörderischen Despoten die vom Blut Unschuldiger verklebten Hände zu schütteln und bleiben dabei auf wundersame Weise von jedweder Form der Kontaktschuld verschont. Aber Harald Schmidt steckt nach einem kurzen, unverbindlichen Smalltalk mit zwei unbescholtenen Ehrenmännern auf einer Party gleich bis zum Hals im braunen Sumpf.

Die Reaktion des Betroffenen: Zunächst hat „Dirty Harry“ eisern geschwiegen. Das war grandios, besser ging es nicht. Ich ging davon aus, dass er das konsequent durchzieht, und war dann zugegebenermaßen leicht enttäuscht, als er einige Tage später der „Zeit“ ein Interview gab, in dem er dann doch zur Affäre „Photogate“ Stellung bezog. Das gesamte Interview, das ansonsten eine niederschmetternde Generalabrechnung mit dem deutschen Medienbetrieb ist, liegt hinter der Bezahlschranke, aber zahlreiche andere Publikationen haben jeweils verschiedene Ausschnitte daraus gebracht, so dass man sich sein Statement zum Foto mit den Untouchables zusammenreimen kann. Kernaussage: „Natürlich kann ich mir die Aufregung ausrechnen, die ich ernte, wenn ich dahin gehe. Aber es ist mir egal.“

Nach wie vor denke ich, Schmidt hätte besser gar nichts dazu gesagt, wohl wissend, dass die Nummer in spätestens einer Woche keinen Hund mehr hinterm Ofen hervorlockt. Durch das „Zeit“-Interview hat er die Sache nun nicht nur verlängert, sondern auch verbreitert, und dazu noch mehr Brennmaterial geliefert, so dass inzwischen fast alle großen Medien die Story gebracht haben, statt wie zuvor nur eine Handvoll relativ unbedeutende Publikationen. Auslöser war nicht das Foto, sondern sein Interview. Kein guter Move – außer Schmidt hat genau das erreichen wollen, weil er einen ganz anderen Plan verfolgt, der sich mir nur nicht erschließt.

Schweigen ist das Beste. Reden ist deshalb jedoch noch lange nicht das Zweitbeste – das ist es nur dann, wenn man wenigstens genau das Richtige sagt, nämlich nicht entschuldigen, nicht erklären, nicht distanzieren, nicht bedauern, nicht zu Kreuze kriechen, sondern dazu stehen, am besten Flucht nach vorn und noch einen draufsetzen. Und das Ganze überbacken mit irgendeiner Variante von „leck mich fett“ servieren. Das hat Schmidt immerhin goldrichtig gemacht und die Gelegenheit gleich für einen Rundumschlag in die Eier der Eierlosen genutzt, daher gibt’s dafür so gerade noch eine Eins Minus.

Der Ausgang der Hexenjagd fällt unter Kategorie Zwei, denn nach einem Sturm im Pappbecher, den Schmidt selbst noch angeheizt hat, ist die Nummer wirkungslos verpufft. Ihm kann es letztendlich egal sein, denn seine beinharten Fans lieben ihn nach wie vor, oder jetzt vielleicht sogar noch mehr. Wer sich nun öffentlich von ihm abwendet, hat ihn eigentlich immer schon gehasst und nur auf den richtigen Moment gewartet, das endlich mal gratismutig laut hinausposaunen zu können und damit bei den üblichen Lemmingen eine Handvoll Likes abzugrapschen, oder sich sonst wie auf seine Kosten zu profilieren.

Nächste Woche befassen wir uns im dritten und letzten Teil mit dem Trauerspiel um Hubert Aiwanger. Und dann gibt es auch endlich die ultimative Anleitung zum richtigen Umgang mit einer medialen Hexenjagd.


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