12. September 2023 18:00

Lappalien in der demokratischen Amtsführung Keine Anlässe für eine mediale Rücktrittsforderung

Eine höchst unvollständige Übersicht

von Christian Paulwitz

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Bildquelle: Shutterstock Rücktritt aufgrund von Korruption und Inkompetenz: Deutsche Politiker denken gar nicht daran

Das eigentlich Interessante, wenn die Kampagnenpresse mal wieder Stimmen zum Rücktritt eines Politikers oder Amtsträgers einfordert (im Falle Aiwangers lief die Maschine immerhin über eine Woche lang, zumindest in Bayern mit hoher Priorität innerhalb der Nachrichtenzusammenstellungen), sind die nicht geforderten Rücktritte beziehungsweise die als Belanglosigkeit maximal aus der dritten oder vierten Reihe nur am Rande geforderten, ohne größere Aufmerksamkeit zu erregen. Nur mit diesen zusammen ergibt sich ein systemisches Gesamtbild, mit dem eine konkrete Kampagne angemessen gewürdigt und eingeordnet werden kann. Da Raum und Zeit begrenzt sind, will ich hier nur ein paar besonders prominente Beispiele anführen, dafür aber am Ende das entstandene Bild dahingehend bewerten, was es mit uns allen zu tun hat.

Ein Blick über den Teich ist hier nicht angebracht, fangen wir also mit der Spitze der Europäischen Union an, und zwar mit der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Ihre Abmachungen mit dem Pfizer-Vorstand zur Bestellung experimenteller Impfstoffe – insgesamt rund 10 Dosen pro EU-Bürger mit einem Gesamtvolumen von 35 Milliarden Euro – hat es durchaus in die Hauptstrom-Berichterstattung gebracht; die EU-Staatsanwaltschaft ermittelt bereits seit Oktober letzten Jahres und gibt sich alle Mühe, ihre Untersuchungen bis zur nächsten EU-Wahl und der Installation der nächsten Kommission hinauszuzögern, damit man sie dann sang- und klanglos in den digitalen Papierkorb wandern lassen kann. Ihre SMS-Nachrichten sind gelöscht und angeblich verloren. Normale Bürger in der EU-Überwachungsbürokratie sollten sich auf solche Umstände besser nicht verlassen, wenn sie etwas schreiben, was nicht für andere bestimmt ist. Jedenfalls hatte sie für die Verhandlungen nach eigenen systemischen Regeln keinerlei Befugnis; Volumen und Umstände riechen förmlich nach Korruption, die angesichts der Geheimhaltung über die genauen Vertragsinhalte – man spricht eben nur gerne über Transparenz – und der Zurückhaltung anderer EU-Organe die Ausmaße eines Sumpfes haben dürfte, der eigentlich sämtliche CO2-Speicherungsbestrebungen lösen müsste. Mediale Rücktrittsforderungen? Unterhalb der Rauschgrenze.

Wer an Bundeskanzler Scholz denkt, dem fällt sofort ein, woran dieser sich nicht erinnert, nämlich an die Gesprächsinhalte seiner drei Begegnungen und der Telefonate mit dem Warburg-Eigentümer Christian Olearius. Dieser hielt in seinem Tagebuch fest, dass ihm vom Ersten Bürgermeister Olaf Scholz im November 2016 telefonisch geraten worden sei, ein Verteidigungsschreiben zur Cum-Ex-Affäre kommentarlos an den Innensenator Peter Tschentscher zu leiten. Kurz darauf entschieden die Finanzbeamten, auf die Rückforderung des Cum-Ex-Geldes zu verzichten. Zur Einordnung: Die Verteidigung von ehrlich erworbenem Eigentum gegen den Zugriff des Staates („Steuerhinterziehung“) verfolgt der Staat als Straftat und mit Gefängnisstrafen. Für die doppelte Abrechnung von Steuerrückforderungen wie bei Cum-Ex-Geschäften – ein offenkundiger Betrugsvorgang – hat das in Gesetzen gefasste Rechtssystem des Staates eine ganze Weile gebraucht, um sie als unrechtmäßig zu erkennen. Und dann hat die staatliche Finanzverwaltung Hamburgs offenkundig in mindestens einem Fall auf Erstattungen des unrechtmäßig ausgezahlten Geldes verzichtet. Offenkundige Korruption in der Hamburger Finanzverwaltung unter Bürgermeister Scholz und die Indizienlage der Verwicklung des heutigen Kanzlers in die Sache sind erdrückend, wenn ihm auch dank seines Gedächtnisschwundes und wohlwollender Staatsanwaltschaften nichts Genaues nachgewiesen werden kann. Komm schon, ein bisschen Korruption unter Freunden – wer wird denn da von „politischer Verantwortung“ sprechen? Und überhaupt, ging es ja angesichts der EU-Dimensionen lediglich um ein paar Milliönchen – zum Beispiel um 47 Millionen Euro für die Erstattungen aus den Cum-Ex-Geschäften allein im Jahre 2009 der Bank. Deswegen wollen wir doch nicht die Demokratie gefährden und einen Kanzlerrücktritt fordern?

Apropos Demokratie: Vor seiner Wahl versprach ebenjener Kanzler, dass es keine allgemeine „Impfpflicht“ geben werde, wie auch die führenden Köpfe seiner Kartellparteien aus Regierung und kooperierender Opposition. – Nach der Wahl wurde dann das genaue Gegenteil propagiert, doch wo kämen wir hin, wenn Demokraten nach der Wahl zu dem stehen müssten, was sie vor der Wahl gesagt hätten? Wer daraus eine Untragbarkeit im Amt ableiten will, hat Demokratie nicht richtig verstanden. Übrigens bin ich neugierig auf die irgendwann erarbeitete Promotion in einigen Jahren, die die Hintergründe beleuchtet, warum diese „allgemeine Impfpflicht“ mit den experimentellen mRNA-Präparaten dann doch in den Abstimmungen gescheitert ist. Spannend.

Noch einmal zur richtig verstandenen Demokratie: Ob in den nächsten Wochen im mittlerweile gefaeserten Innenministerium wohl noch einmal das Angstpapier unter dem vormaligen Minister Horst Seehofer ausgegraben wird? Auch ein Dokument, das noch auf seine historisch-psychologische Würdigung wartet. Es wurden Maßnahmen für eine „offene Kommunikation“ gefordert, um eine gewünschte „Schockwirkung“ zu erzielen. Da finden sich Sätze wie: ‚Kinder werden sich leicht anstecken, selbst bei Ausgangsbeschränkungen, zum Beispiel bei den Nachbarskindern. Wenn sie dann ihre Eltern anstecken, und einer davon qualvoll zu Hause stirbt und sie das Gefühl haben, schuld daran zu sein, weil sie zum Beispiel vergessen haben, sich nach dem Spielen die Hände zu waschen, ist es das Schrecklichste, was ein Kind je erleben kann.‘ Bereits im April 2020 (!) ist dieses von Psychopathenhand geschriebene Papier an die Öffentlichkeit gelangt. – Keine Rücktrittsforderung aus den Medien, etwa weil es der Rolle einer demokratischen Regierung nicht zukomme, der Bevölkerung Angst zu machen, um sie zu einem bestimmten Handeln zu bewegen, sondern dies eine herabwürdige Missachtung des vorgeblichen Souveräns sei. Nein. Sie haben mitgemacht.

Sicher hat da der Geldsegen für die Medien aus dem Hause Lauterbach und Spahn keine Rolle gespielt. Nach einem Pressebericht vom März 2022 habe die Bundesregierung in den Jahren 2015 bis 2019 durchschnittlich rund 58 Millionen Euro pro Jahr für Werbung ausgegeben. Kein geringer Propagandaetat, aber im Jahr 2021 hat allein das Bundesgesundheitsministerium unter Spahn und dann Lauterbach mit 144,6 Millionen Euro rund zweieinhalb Mal so viel Geld aufgewendet, wie in einem durchschnittlichen früheren Jahr die gesamte Bundesregierung als Propagandaetat beansprucht. Wie aus einer „Kleinen Anfrage“ der SED von Anfang 2022 hervorgeht, gingen dabei 64,2 Millionen Euro für Anzeigen in Printmedien heraus. Welche Medien beauftragt wurden, konnte das Ministerium zufällig nicht mitteilen. Kein Wunder, dass die medialen Rücktrittsforderungen gegen den verbliebenen der beiden Pharmalobbyisten im Gewande des Gesundheitsministers nicht wirklich deutlich zu hören waren. Wer solche Argumente hat, dessen demokratische Gesinnung und honorige Amtsführung stehen außer Zweifel, auch wenn er, wie im Falle von Karl Lauterbach, für Denunziation zur Durchsetzung der Coronazwangsmaßnahmen geworben und im feinsten totalitären Duktus Sätze von sich gegeben hat wie: „Derjenige, der die Verstöße meldet, der macht damit auch etwas für die allgemeine Gesellschaft. Das dürfen wir nicht brandmarken.“ – Ein lupenreiner Demokrat eben. Nur Rechtsradikale können da einen Rücktritt fordern.

Wenn man dabei ist, Gelegenheiten für verpasste Rücktritte zu suchen, darf in der Liste natürlich keinesfalls Vetternwirtschaftsminister Robert Habeck fehlen. Stichwort Graichen, Agora Energiewende, Öko-Institut. Selbst die der Klima-Kriegswirtschaft positiv gegenüberstehende „taz“ titelte Ende 2021 „Energiewende als Familienprojekt“ und mutmaßte indirekt, dass die hohe Zahl an Staatssekretären (Verzeihung: SekretärInnen) im Hause wohl dadurch begründet sei, dass bei der Mittelvergabe für die Unterschrift noch jemand ohne direkte Verflechtung zur Verfügung stehen müsse. Wie wir mittlerweile wissen, hat das ja nun auch nicht immer geklappt, und wenigstens Patrick Graichen musste gehen, um seinen Chef zu retten. Er wird dadurch kein armer Mann geworden sein. Die Familie wird ihn wohl auf die eine oder andere Art aufgefangen haben – obwohl böse Zungen zu seiner Entlassung ja behaupteten, er wolle nun erst einmal seine Familie nicht mehr so oft sehen. Wesentlich auseinandergenommen hat das die Clanstruktur im Hause Habeck jedenfalls nicht – heute jedoch längst kein Thema mehr.

Aber wie kann man auch von Vetternwirtschaft sprechen, wo doch der politische Betrieb in Deutschland insgesamt einer großen Familie gleicht, in der sich jeder um gegenseitiges Verständnis bemüht? Also, jeder innerhalb des „demokratischen“ Teils der Familie natürlich. Wie innig es da zugeht, haben wir während der Regentschaft Merkel erfahren, die nach der Installation des bis 2018 für die CDU im Bundestag sitzenden Stephan Harbarth als Präsident des Bundesverfassungsgerichts einen regelmäßigen Austausch zwischen Regierung und Verfassungsrichtern pflegte. Letztere hätten in einem nach Idealvorstellungen gewaltengeteilten Staat übrigens die Aufgabe, die Verfassung zu schützen – und nicht etwa ein Regierungsgeheimdienst – und zwar vor der Regierung. Aber unter Freunden sind das natürlich Spitzfindigkeiten. Da sind gemeinsame Stuhlkreise zur Förderung des gegenseitigen Verständnisses viel wichtiger, zum Beispiel in Form eines Abendessens am 30. Juni 2021 im Bundeskanzleramt bei Gastgeberin Merkel mit allen 16 Verfassungsrichtern und den meisten Bundesministern.

Thema seien dabei unter anderem die Corona-Politik mit der sogenannten „Bundesnotbremse“ gewesen – trotz laufender Verfahren am Bundesverfassungsgericht. Darauf folgende Befangenheitsanträge hat dasselbe Gericht zurückgewiesen, da es sich praktischerweise selbst für unbefangen erklären kann. Die „Welt“ berichtete aus einem Vortrag Harbarths mit Zuschauernachfragen seine Antwort, „dass es sich dabei um einen regelmäßigen Austausch zwischen den Verfassungsorganen handele. Die Vorstellung, dass solche Treffen die Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit des Bundesverfassungsgerichts gefährdeten, hält er für ‚abwegig‘“. – Die „Compliance Officer“ börsennotierter Unternehmen reiben sich verwundert die Stirn. – Wer könnte auch auf so etwas kommen, wenn man doch Harbarth als überzeugten Verteidiger der Freiheit kennt. Nach dem Bericht der Welt hatte er in seiner Rede darüber aufgeklärt, dass der Gebrauch der Freiheitsrechte dazu geeignet sein könne, die Verfassungsordnung zu delegitimieren. Dem Staat komme die Aufgabe zu, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu sichern. Eine Beschränkung von Freiheitsrechten könne darum legitim sein. Alles klar?

Warum aus den Medien keine Rücktrittsforderungen kommen, dürfte jedenfalls einigermaßen klar sein, denn gute Familienbeziehungen werden ja auch anders als mit gemeinsamen Abendessen gepflegt. Immerhin scheinen sich manche Medien zumindest zeitweise ein wenig vernachlässigt zu fühlen und an zu geringer Zuwendung zu leiden (Achtung: Hier steht der Singular – nicht, dass jemand auf die Idee kommt, ich würde hier etwas unterstellen! Emotionale, nicht materielle Zuwendung!)

Nun wäre eigentlich noch die Bundesinnenministerin Faeser in der Liste zu nennen – die objektiven Rücktrittsgründe sind nicht nur überaus zahlreich, sondern hier auch ausreichend bekannt. Warum ich sie dennoch ausklammern will: Ich schreibe diese Zeilen am Sonntag und möchte den Artikel nicht bis zur Veröffentlichung am Dienstag wieder ändern müssen. Denn in ihrem Fall kommt so viel zusammen, dass ich den Erwartungswert für ihre verbleibende Zeit im Amt tatsächlich als sehr gering annehme. Vor allem aber ist sie offenbar – wahrscheinlich aus ganz anderem Grunde – in der Gunst gefallen. Die medialen Zeichen zur Vorbereitung ihrer Entfernung scheinen mir doch recht deutlich zu sein.

Ach ja, da war ja noch der Aiwanger, bei dem vor 35 Jahren als Schüler ein Flugblatt in der Schultasche gefunden wurde. Keine Lappalie also. Er hat nun fast zwei Wochen Rücktrittsdiskussion auf Hochtouren überstanden. Ein tatsächlicher Grund, nämlich seine Mittäterrolle im totalitärsten Corona-Regime in Deutschland, spielte offiziell keine Rolle. Da es aber in dieser Zeit ein bisschen gedauert hat, bis er voll auf Corona- und 2G-Kurs gebracht werden konnte, wird er die Zeichen wohl verstanden haben. Ich denke, die Willigkeit, mit der er die Demütigungen hat über sich ergehen lassen, ohne auch nur einmal den Stinkefinger zu zeigen, dürften ihn für neue Aufgaben ausreichend qualifizieren.

Wie soll man die Liste der verpassten Rücktritte bewerten? – Jedenfalls nicht schockiert. Politiker sind so dreist; Korruption ist systemimmanent, wo man den einen das Recht gibt, Zwang auszuüben, und andere durch Einflussnahme auf das Zwangssystem die Möglichkeit haben, ihre persönlichen Ziele effizient zu erreichen. Die Show spiegelt den moralischen Zustand der Allgemeinheit wider. Früher hätte es in einigen der obigen Fälle vielleicht Rücktritte gegeben, weil das Anstandsempfinden – nicht der Politiker, sondern das der allgemeinen Bevölkerung – ein höheres war, und dem Rechnung getragen werden musste. Man musste bei Politikern Bilder vor Augen haben, mit denen sich leidlich unkorrumpierte Menschen in beträchtlicher Zahl noch identifizieren konnten. Die Show musste glaubwürdiger sein. Dabei hat es immer Kampagnen gegeben, um bestimmte Personen gezielt abzuschießen, und andere Dinge wurden unter den Teppich gekehrt und einfach nicht öffentlich diskutiert. Das war noch nie anders in der Zeit der medialen Massengesellschaft; die Welt hinter der Bühne war immer eine andere als davor. Was in der Masse nach und nach sozusagen mit wachsender Staatsquote erheblich anders geworden ist, das ist die Bereitschaft zu akzeptieren, was von oben kommt, egal welcher Qualität. Es hat sich das Ausmaß der inneren Korruption bei den normalen Menschen erheblich erhöht, aus der gewachsenen Abhängigkeit vom Staat heraus. Erst wenn die innere Korruption in der Breite der Bevölkerung abnimmt, kann wenigstens die Show wieder besser werden. Angesichts der Dynamik, die das Ganze angenommen hat, wird wohl ein guter Teil der Show dabei beendet werden.


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