Politischer Streit in Großbritannien: Premierminister macht Klimastunk
Rishi Sunaks pseudopopulistischer Schritt ist nicht ohne Risiko für die herrschende Klasse
von Robert Grözinger
Bemerkenswertes und zugleich Merkwürdiges hören wir aus Großbritannien: Premierminister Rishi Sunak gab in der vergangenen Woche bekannt, die Klimaziele seines Landes ein wenig aufweichen zu wollen. Ein Großteil des Establishments ist empört, zornig und verwirrt. Zwar wolle er am CO2 „Netto-Null-Ziel“ für das Jahr 2050 festhalten, aber man müsse pragmatischer vorgehen als bisher, sagt Sunak. Die Öffentlichkeit, meint er, sei über die wahren Kosten der ehrgeizigen kurzfristigen Ziele „getäuscht“ worden. Sekundiert wurde er dabei von seiner Innenministerin. „Wir werden den Planeten nicht retten“, sagte Suella Braverman, „indem wir das britische Volk in den Bankrott jagen.“
Konkret soll das Verbot der Herstellung und des Vertriebs neuer Diesel- und Benzinfahrzeuge von 2030 auf 2035 verschoben werden. Ebenso das Verbot des Einbaus neuer Gasheizungen zugunsten von teuren Wärmepumpen. Darüber hinaus sollen fünf Millionen Wohneinheiten eine über 2035 hinaus „für immer“ geltende Ausnahmegenehmigung erhalten. Auch die Verpflichtung von Vermietern, bis 2025 die Wärmedämmung auf ein bestimmtes Niveau zu heben, wird hinausgezögert.
Aufmerksame Leser werden erkennen, dass die britische Politik weitestgehend lediglich den marginal weniger drastischen „Klimarettungs“-Zielen der EU angepasst wird. Auch Sunak hält grundsätzlich an dem die Wirtschaft strangulierenden und die Freiheit vernichtenden Klimaschwindel fest. Dennoch, gegen diese Entscheidung laufen die üblichen Verdächtigen Sturm: Die Oppositionsparteien „Liberal Democrats“ und Grüne sowieso. Labour interessanterweise etwas verhaltener. Dafür drohen die Umwelt-NGOs bereits jetzt, gegen dieses Vorhaben juristisch vorgehen zu wollen. Auch Wirtschaftsvertreter meldeten sich zu Wort, da sie aufgrund des Verschiebungsplans um die bisher erwarteten Subventionen für den teuren Umbau ihrer Produktion fürchten.
Aber auch aus den Reihen der Regierungspartei gibt es Kritik. Sunaks Vorgänger Boris Johnson, der die jetzt aufgeweichten Ziele ursprünglich gesetzt hatte, sagte, das Vereinigte Königreich könne es sich nicht leisten, im Hinblick auf die Klimaziele weniger ehrgeizig zu sein. Sein Parteifreund, der Abgeordnete Alok Sharma, der den „Cop26 Klimagipfel“ vor zwei Jahren in Glasgow leitete, bemerkte, durch die Politik Sunaks würden Investitionspläne „erheblichen Schaden“ nehmen. Er glaube nicht, dass eine Partei, die diesen Weg beschreitet, daraus „wahltechnisch einen Nutzen ziehen kann“.
Genau das aber ist wohl der zentrale Streitpunkt. Umfragen deuten an, dass 50 Prozent der Bevölkerung sehr oder eher für die Pläne Sunaks sind, nur 34 dagegen. Für Parteistrategen der Konservativen ist das ein derzeit seltener Lichtblick. Im Meinungsklima steht die Regierung bei weniger als 30 Prozent, die oppositionelle Labour-Partei dagegen bekäme bei einer Wahl derzeit ungefähr 45 Prozent. Aufgrund des relativen Mehrheitswahlrechts könnte das bei einer echten Wahl zu einer deutlichen absoluten Mehrheit für die Sozialdemokraten führen.
Diese Umfragelage ist kein Wunder: Die Konservativen, die 2019 eine historisch starke Mehrheit erhielten, um den Brexit durchzuführen, haben das in sie damals gesetzte Vertrauen in Rekordzeit fast völlig verspielt. Sie wirken verbraucht und glücklos. Der Brexit wird nicht genutzt. Oder, genauer gesagt: Wo er, selten genug, genutzt wird, dann nur im Sinne der WEF-Agenda – es wird also genau das Gegenteil dessen getan, was das bewusste oder unbewusste Motiv vieler Brexit-Befürworter war und ist. Johnson rühmt sich bis heute, dass Großbritannien nur aufgrund des Brexit schneller als die EU die Corona-„Impfungen“ bereitstellen und die ehrgeizigeren Klimaziele aufstellen konnte. Steuersenkungen? Deregulierung? Fehlanzeige. Versuche aus der Regierung in diese Richtung gab es, scheiterten aber entweder an der Ministerialbürokratie, also dem „tiefen Staat“, oder den klagefreudigen NGOs, oder dem Oberhaus, wo in weitaus großer Mehrheit „verdiente“ Pensionäre aus Politik, Verwaltung, Medien und Bildungseinrichtungen sitzen. Also aus dem „Regime der Manager“, die Elite schlechthin.
Auch ansonsten gibt es für die Konservativen nur noch schlechte Nachrichten: Aus Kostengründen soll die neue Schnellbahntrasse nicht mehr von London bis Manchester reichen, sondern schon bei Birmingham ihre Endstation haben. Auch die südenglische Küste erlebt einen Ansturm illegaler Migration, die Wirtschaft leidet unter den Spätfolgen der irren Coronamaßnahmen und in der von Fanatikern dominierten Genderdebatte hüllt sich die Regierung in Schweigen.
Doch dann gab das Schicksal einen Wink mit dem Zaunpfahl. So scheint es jedenfalls. Am 20. Juli mussten drei Nachwahlen stattfinden in Wahlkreisen, in denen zuvor Konservative den Sitz innehielten. Zwei davon gingen der Regierungspartei erwartungsgemäß verloren. Der dritte jedoch, Uxbridge im Westen des Londoner Großraums, den Johnson durch seinen Rücktritt auch als Abgeordneter freigemacht hatte, ging für viele überraschend wieder an die Tories. Der Grund: Der neue konservative Kandidat und sein Team hatten sich gegen die Ausweitung der Londoner Ultra-Niedrigemissionszone ausgesprochen. Aus dieser Position heraus konnten sie auf ihren stärksten Herausforderer, einem Labour-Kandidaten, effektvoll verbal einprügeln. Denn das „Ulez“-Projekt wird vom Labour-Bürgermeister der Großstadt, Sadiq Khan, vehement vorangetrieben.
Es scheint, als habe sich innerhalb der Konservativen jene Fraktion durchgesetzt, die diesen kleinen, unerwarteten Wahlsieg als Hinweis auf den letzten Strohhalm verstehen, mit dem sie vielleicht einen Sieg Labours bei der allgemeinen Wahl, die im nächsten Jahr stattfinden muss, doch noch abwenden können.
Es gibt in dieser Geschichte noch einen weiteren, hochinteressanten Aspekt. Nur zwei Tage nach der Verkündung des Premierministers brach König Charles zu einem lang geplanten Staatsbesuch nach Frankreich auf. Zum ersten Mal gab ein englischer Monarch eine Rede vor dem Senat, dem Oberhaus des französischen Parlaments. Natürlich nutzte der alternde Öko-Blaublüter die Gelegenheit, um über den Klimawandel als unsere „größte existenzielle Herausforderung“ zu schwadronieren. Um diese zu meistern, sei eine neue „Entente cordiale“ nötig – ein Hinweis auf die enge Allianz der zwei europäischen Mächte vor und während des Ersten Weltkriegs. Wie in den zwei Weltkriegen „und jetzt in der Ukraine“, steigerte er die Kriegsrhetorik auf Volldampf, müssten Frankreich und das Vereinigte Königriech zusammenstehen, um die Welt vor einer „katastrophalen Zerstörung der Natur“ zu bewahren.
Dem Premierminister wird der Inhalt der Rede des mit den globalen oberen Zehntausend bestens vernetzten Königs vorher bekannt gewesen sein. Sunak war also bereit, sein gekröntes Staatsoberhaupt während eines in der Heimat vielbeachteten Besuchs bei einem wichtigen Nachbarn zu unterminieren. Dieser Aspekt, der in den Mainstreammedien interessanterweise überhaupt nicht debattiert wird, reiht sich ein in der wichtigsten Dimension der oben beschriebenen Ereignisse. Es gibt offenbar einen tiefen Riss in der herrschenden Klasse über das weitere Vorgehen in Sachen Klima. Die einen wollen weitermachen wie bisher, oder es kann ihnen gar nicht schnell genug gehen. Die anderen wollen durch pseudopopulistische Gesten den aufwallenden Grimm im Volk beruhigen. In Großbritannien hat letztere Gruppe derzeit die Oberhand.
Und das nicht ohne Grund. Nicht nur die erwähnten Umfrageergebnisse beunruhigen diese Gruppe. Auch die handgreiflichen Proteste in London gegen die „Ulez“, insbesondere die Zerstörung und Entwendung der dazugehörigen Überwachungskameras, worüber der Autor dieser Zeilen hier vor drei Wochen berichtete, geht munter weiter. Außerdem sorgt auch in England eine kleine Gruppe von prototerroristischen Hysterikern, die ihr Hirn gegen Klebstoff getauscht zu haben scheinen, für wachsende Skepsis einer größer werdenden Zahl von Menschen der Klimareligion gegenüber.
Die Politik Sunaks ist, wie gesagt, pseudopopulistisch. Aber, und das erklärt einen Teil der Unruhe in der Oberschicht, sie ist nicht ohne grundsätzliches Risiko für die Herrscherklasse. Der Premierminister erkennt mit seinem Schwenk implizit an, dass es, oh Wunder, unterschiedliche Meinungen zum Thema Klima gibt. Dass eindimensionales Denken vielleicht ein bisschen suboptimal ist. Dass eine Kosten-Nutzen-Analyse auch bei der Klima-„Rettung“ angebracht wäre. Ist dieser Kratzer in der Außendarstellung einer zentralen Säule der Politik der alles und überall dominierenden „Globalisten“ ein Riss, der zum Dammbruch führen kann?
Für Skeptiker dürfte es auf jeden Fall ermutigend sein, dass eine Regierung einer führenden Industrienation sich gezwungen sieht, beim neosozialistischen Tanz um das Klimakalb eine Verschnaufpause zu fordern.
Robert Grözinger: Londoner Ultra-Niedrigemissionszone ULEZ: Die Einzupferchenden wehren sich (Freiheitsfunken)
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