26. September 2023 23:00

Die Psychologie der Politik Gegenpropaganda und Wendepunkt

Der Weg

von Andreas Tiedtke (Pausiert)

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Bildquelle: Shutterstock Politischer Wendepunkt: Wann ist er erreicht?

In meiner letzten Kolumne verband ich am Schluss Murray Rothbards (1926–1995) pragmatischen Ansatzpunkt mit Immanuel Kants (1724–1804) tiefer gehendem Blickwinkel, dass es zu einer Reform der Denkungsart des „Publikums“, also der Masse der Menschen, kommen müsse, damit eine aufgeklärte („mündige“) Gesellschaft dauerhaft bestehen könnte. Kants wie Rothbards Knackpunkt ist die Verbreitung der „richtigen“ Ideen, um die Menschen bei der Aufklärung zu unterstützen. Maßnahmen, die dies behindern, sind post-moderne Zensurmaßnahmen wie „Cancel Culture“, „Fakten-Checking“, „Kontakt-Shaming“, „Deplatforming“ und Schmierkampagnen bis hin zu „juristischen Verfolgungsjagden“ („Lawfare“). Also Maßnahmen, die geeignet sind, Aufklärung zu unterdrücken und die Menschen einzuschüchtern im Hinblick auf den „öffentlichen Gebrauch ihrer eigenen Vernunft“.

Gegenpropaganda. Rothbards Doppel-Strategie

Edward Bernays (1891–1995), der Neffe Sigmund Freuds und Autor des weithin beachteten Buches Propaganda (1928; später umgetauft in „Public Relations“; Stichwort: „Soft Language“), meinte, dass man Propaganda entgegenwirken könnte, indem man aufdeckt, dass sie unwahr oder unsozial ist. Doch um dies tun zu können, braucht man „Reichweite“. Man müsste die im vorherigen Absatz genannten Behinderungen überwinden können.

Rothbard erkannte dieses Problem. Er ersann 1992 eine Doppel-Strategie für die Gegenpropaganda, die er als „Links-rechts-Kombination“ oder „Doppelschlag“-Strategie („two-punch“) bezeichnete.

Erstens brauche es sinngemäß Denkfabriken, „Think Tanks“, die die Wahrheit über Ökonomie und Soziales begreifbar machen und verbreiteten. Und zweitens bräuchte es charismatische Personen, welche im Stande sind, unter Umgehung der „Wahrheitsvermittler“ in den Leitmedien und der Intellektuellenklasse, direkt und ungefiltert mit der Masse der produktiven Werktätigen in Kontakt zu treten, um diese darüber in Kenntnis zu setzen, dass sie psychologisch verwirrt werden, ökonomisch ausgenutzt und sozial unterdrückt.

Aber diejenigen, welche das Szepter in der Hand hielten, so Rothbard sinngemäß, also Big Business, der Militär-Industrie-Komplex, die Leitmedien, die Bürokraten, Technokraten und intellektuellen Ideologen, sähen genau dies als das Schlimmstmögliche an: Das Umgehen der offiziellen „Wahrheitsvermittler“. Rothbard schrieb, dass es genau das sei, was sie über alles hassten.

Deshalb müsste das Personal des „populistischen“ Teams der „Doppel-Strategie“ nicht nur dynamisch, interesseweckend und effektiv in der Mobilisierung und Bildung einer Bewegung sein, sondern vor allem den „Mumm“ und die „Tatkraft“ („moxie“) haben, den zu erwartenden Schmierkampagnen und Verleumdungen standzuhalten.

Bemerkenswert scheint an dieser Stelle, dass Rothbard hiermit bereits 1992 Bewegungen beschreibt wie diejenige um Javier Milei in Argentinien oder die Bewegungen um Personen wie Donald Trump, Vivek Ramaswamy, Ron DeSantis oder Tucker Carlson in den USA sowie Jordan Peterson in Kanada.

Kant’scher Wendepunkt. Die Revolution frisst ihre Kinder

Immanuel Kant schrieb gegen Ende seines Aufsatzes „Was ist Aufklärung“ (1784), dass diejenigen unter den „Eliten“, würde man heute sagen, die es geschafft hätten, selbst zu denken, schon aus purem Eigeninteresse an der Aufklärung ihrer Mitmenschen interessiert sein müssten.

Kant meinte hier nicht diejenigen unter den gesellschaftlichen „Vormündern“, die sich – allegorisch gesprochen – noch in Dantes (1265–1321) Höllenkreisen befinden, die sich also Linderung ihrer Qualen durch Herrschaft über andere versprechen, psychische Qualen, die aus ihren infantilen und feindseligen Haltungen herrühren. Solche Leute lernte übrigens auch der amerikanische Ökonom und Historiker Antony C. Sutton (1925–2002) kennen. Ich rekapituliere aus der Erinnerung: Sutton beschrieb ein Gespräch mit einem Vertreter von Big Business, der sozialistische Machthaber unterstützte, indem er Waren an diese lieferte, die zu militärischen Zwecken eingesetzt wurden beziehungsweise zur Expansion des Sozialismus. Sutton versuchte ihm klarzumachen, dass die Unterstützung sozialistischer Ideologen irgendwann dazu führen würde, dass der Big-Business-Vertreter selbst unter das Joch des Sozialismus fiele, wenn sich der Sozialismus weltweit durchsetzt. Sutton meinte, der Angesprochene erwiderte trotzig, das sei ihm gleich, er würde es trotzdem wieder tun beziehungsweise weiter tun. Ein typisch kindisches Verhalten, das Rückschlüsse auf die „Unmündigkeit“ oder Infantilität zulässt: „Mir doch egal!“, sagt ein Kind, wenn man es auf „Respice finem“ aufmerksam macht, also auf die Konsequenzen seines Handelns.

Nein, Immanuel Kant meinte solche unter den „eingesetzten Vormündern des großen Haufens“, die bereits „Selbstdenkende“ seien, die „das Joch der Unmündigkeit selbst abgeworfen haben“. Diese müssten sich vergegenwärtigen, dass sie einem „Publikum“ gegenüberstünden, das „aufgewiegelt“ und unmündig sei, das nunmehr selbst danach trachte, die Selbstdenkenden unter dem Joch zu halten. Die „Vorurteile“, die man „dem Publikum eingepflanzt“ habe, würden sich „zuletzt an denen selbst rächen, die oder deren Vorgänger ihre Urheber gewesen sind“.

Kants Ausblick war prophetisch. Bereits neun Jahre nach der Veröffentlichung von Kants Schrift erlebte der französische Politiker Pierre Vergniaud (1753–1793), wie die Dynamik eines Narrativs, an dem er selbst mitgestrickt hatte, außer seine Kontrolle geriet. „Die Revolution (ist wie Saturn, sie) frisst ihre eigenen Kinder“, sollen seine berühmten letzten Worte auf dem Schafott gewesen sein.

Vier Jahre später, im Jahre 1797, ließ Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) seinen Zauberlehrling sagen: „Die ich rief, die Geister werd ich nun nicht los.“ Der Zauberlehrling versucht, durch Worte (heute würde man „Narrative“ sagen) einen Knecht zu schaffen, der für ihn das Wasser schleppen soll. Zu Anfang ist er ganz stolz auf seine „Zauberkünste“, aber schon bald gerät die Situation außer Kontrolle und er ist ihr nicht mehr gewachsen.

Richard Wagner (1813–1883) wollte den Mächtigen seiner Zeit 1876 in Bayreuth mit seinem Musikdrama „Der Ring des Nibelungen“ einen Spiegel vorhalten. Geklappt hat das damals nicht. „Ich und mein Werk haben keinen Boden in dieser Zeit“, stellte er ernüchtert fest.

Viele Jahre später, 1992, als auch Rothbards Aufsatz erschien, gab sich Vicco von Bülow alias Loriot (1923–2011) leicht optimistisch am Ende seiner Abhandlung „Der Ring an einem Abend“ über Wagners Werk: „Noch bleibt uns die Hoffnung, es werde so manches auch unseren Göttern dämmern, ehe der Vorhang endgültig gefallen ist.“

Schlussbetrachtung und Ausblick

Wie Sie aus dieser und meinen vorhergehenden Kolumnen ersehen können, sind wir nicht alleine mit der Feststellung, dass etwas „faul ist im Staate Dänemark“ (William Shakespeare, 1564–1616). Denker und Künstler wie Dante Alighieri, Immanuel Kant, Johann Wolfgang von Goethe, Richard Wagner, Carl Gustav Jung, Ludwig von Mises, Vicco von Bülow, Antony C. Sutton und Murray Rothbard kamen dem bereits auf die Spur.

Betrachtet man Rothbards Doppel-Strategie der intellektuellen Aufklärung in Kombination mit einer populistischen Bewegung, um nicht tatenlos zuzusehen, wie die Dinge den Bach hinunter gehen, so scheinen sich in der aktuellen Zeitgeschichte Ereignisse abzuzeichnen, die dem entsprechen.

Nachdem die Sachlage nunmehr analysiert ist und mögliche Ausgänge aus der geistigen Krise der Gegenwart beschrieben wurden, werde ich in meiner nächsten Kolumne anhand einiger Beispiele auf die Praxis eingehen, wie man sich und seine Mitmenschen „aufklären“ kann, wie man zur Mündigkeit gelangen kann.

Quellen:

Edward Bernays: Propaganda

Murray Rothbard: Rechtspopulismus: Eine Strategie für die Paleo-Bewegung

Andreas Tiedtke: Leben wir in einem aufgeklärten Zeitalter? Zu Immanuel Kants 218. Todestag

Andreas Tiedtke: „Ich bin die Revolution“ – Im Ring des Nibelungen lässt es Richard Wagner Machtpolitikern und Geldmonopolisten dämmern

Andreas Tiedtke: Der Kompass zum lebendigen Leben


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