27. September 2023 08:00

Die Bundesrepublik auf Messers Schneide Adenauer, Erhard und ganz viel Glück

Als die Deutschen beinahe das Wirtschaftswunder verpassten

von Oliver Gorus

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Bildquelle: Konrad-Adenauer-Stiftung, KAS-ACDP/Peter Bouserath, CC-BY-SA 3.0 DE, Wikimedia Erfolgreiches Bollwerk gegen den Sozialismus: Konrad Adenauer und Ludwig Erhard

Am 14. August 1949 fand die erste Bundestagswahl statt. Das war die erste freie Wahl in Deutschland seit 1932, also nach einer Demokratiepause von 17 Jahren, in der Deutschland in Schutt und Asche versunken war. Die Wahlbeteiligung lag bei 78,5 Prozent – womit die Deutschen indirekt auch dem provisorischen Grundgesetz zugestimmt hatten, das die von den drei westlichen Besatzungsmächten genehmigte Grundlage für diese Wahl war.

Jede einzelne Partei, die bei der Bundestagswahl 1949 antrat, brauchte dafür eine Genehmigung der Besatzungsmächte. Einige alte Parteien durften antreten, wie die SPD oder die Zentrumspartei, sowie einige neue, zum Beispiel die aus dem Zusammenschluss von 13 liberalen Neugründungen in einzelnen Bundesländern entstandene FDP mit Theodor Heuss als Vorsitzendem.

Auch die CDU war neu. Sie schloss sich 1946 aus acht überkonfessionell-christlichen Parteiverbänden in der britischen Besatzungszone zusammen und wählte direkt Konrad Adenauer zum Vorsitzenden. Die neu gegründeten Parteiverbände in der amerikanischen und in der französischen Besatzungszone erhielten keine Genehmigung der Besatzer, sich mit der Adenauer-CDU zusammenzuschließen, so misstrauisch waren damals die Machthaber gegen die Deutschen. Die Union bildete darum eine Arbeitsgemeinschaft, um einigermaßen geschlossen zur Wahl antreten zu können.

Was heißt da christlich?

Gar nicht einig war sich die „Union“ in der Frage des künftigen Wirtschaftssystems. Auf der einen Seite standen die Marktwirtschaftler um Adenauer, der sich als Christ weltanschaulich klar und deutlich vom marxistischen „Materialismus“ abwendete. Auf der anderen Seite standen eher linke Christen, die 1947 das Ahlener Programm verabschiedet hatten. Darin wurde ein „Dritter Weg“ postuliert, um sowohl den Marxismus als auch den Kapitalismus zu überwinden: eine sogenannte „gemeinwirtschaftliche Ordnung“.

Im Programm stand: „Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein.“ Worte, die ebenso hohl wie merkwürdig aktuell klingen.

Die Prämisse der linken Christdemokraten war somit, dass Kapitalismus und das Wohlergehen des Volkes implizite Gegensätze seien. Dass eine „gemeinwirtschaftliche Ordnung“, die sich den „staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes“ unterzuordnen habe, nichts anderes war als eine sozialistische Planwirtschaft, war nicht nur Ökonomen klar. Ein großer Teil der Christdemokraten vertraute der Marktwirtschaft nicht und wollte den Sozialismus – er sollte eben nur nicht nach Marxismus klingen, sondern „christlicher Verantwortung“ entspringen.

Sozialisten müssen draußen bleiben

Eine Woche nach der Bundestagswahl lud Konrad Adenauer die prominentesten Vertreter des marktwirtschaftlich orientierten Teils der Union in sein Haus im Stadtteil Rhöndorf in Bad Honnef ein. Diese Zusammenkunft, die später „Rhöndorfer Konferenz“ genannt wurde, stellte die Weichen in Deutschland auf 40 Jahre aufstrebenden Wohlstand in Deutschland.

Die Deutschen hatten mit hoher Wahlbeteiligung zwei starke Parteien gewählt: die Union und die SPD. Beide kamen auf etwa 30 Prozent der Stimmen, wobei die Union knapp vorne lag und somit  stärkste Partei geworden war. Nun ging es darum, Koalitionspartner zu finden, einen Kanzlerkandidaten aufzustellen und eine Regierung zu bilden.

Adenauer hatte ganz bewusst die Protagonisten des sozialistischen Ahlener Programms nicht nach Rhöndorf eingeladen. Die starke SPD wollte den Sozialismus, ein großer Teil der Union wollte den Sozialismus, nur der Kreis um Adenauer wollte die Marktwirtschaft. Eigentlich eine aussichtslose Situation.

Zu Adenauers Gästen gehörte auch der bekannte und geschätzte parteilose Ökonom Ludwig Erhard, der aufgrund seiner Expertise der unumstrittene Anwärter auf das Amt des Wirtschaftsministers war.

Zu Beginn des Treffens stand eine große Koalition mit der SPD im Raum. Die gesellschaftlichen Herausforderungen im Nachkriegsdeutschland schienen so groß zu sein, dass nur eine Koalition, die möglichst große Teile der Bevölkerung repräsentierte, infrage kam.

Erhard hatte recht

Aber Adenauer argumentierte dagegen. Er hatte in der Bevölkerung eine Zustimmung zur von ihm propagierten „Sozialen Marktwirtschaft” wahrgenommen und machte daran die große Zustimmung für die Union fest: Die Marktwirtschaft war quasi das antimaterialistische Alleinstellungsmerkmal, das die Christdemokraten von den Sozialisten der SPD unterschied.

Auch Ludwig Erhard warf seine Autorität für Adenauer in den Ring: Er weigerte sich sogar ausdrücklich, in einer großen Koalition Wirtschaftsminister zu sein. Und das war ja auch nur konsequent. Er, der Wirtschaftsprofessor und Direktor des seit 1948 vereinigten Wirtschaftsgebiets der drei westlichen Besatzungsmächte, war ein Verfechter der freien Preisbildung und des marktlichen Wettbewerbs. Und erst kurz zuvor hatte er den Beweis erbracht, dass sein Konzept funktioniert.

Denn er hatte den Mut gehabt, einen Tag vor der Währungsreform 1948 die Zwangsbewirtschaftungen und Preiskontrollen in der Industrie aufzuheben. Zunächst waren die Preise nach ihrer Freigabe sprunghaft angestiegen, manche Lebensmittel waren in wenigen Wochen um Hunderte von Prozenten teurer geworden. Die Löhne waren erst später freigegeben worden, wodurch zunächst die Kaufkraft der Arbeitnehmer stark gesunken war. Zudem war die Arbeitslosenquote nach oben gesprungen, die sozialen Spannungen hatten zugenommen, es wurde ungemütlich. Die Gewerkschaften hatten Ende 1948 zum Generalstreik gegen Erhards Wirtschaftspolitik aufgerufen.

Auf den ersten Blick hatte es so ausgesehen, als hätte Erhard ein Desaster angerichtet. Aber schon bald hatte sich die Wirtschaft nachhaltig erholt. Die Währungsreform hatte eine starke Nachfrage ausgelöst, mit der die Produktion zuerst nicht hatte Schritt halten können. Das hatte die Preise steigen lassen. Aber dann war die Marktwirtschaft ins Rollen gekommen. Die Preissteigerungen hatten Investitionen und die Ausweitung der Produktion nach sich gezogen. Der Wirtschaftsmotor war angesprungen, das Warenangebot für die Bürger hatte sich ausgeweitet, die Verknappung, insbesondere der Lebensmittel, war überwunden, die Preise hatten sich normalisiert. Nach ein paar Monaten war die Marktwirtschaft bereits auf Hochtouren gelaufen. Erhard hatte recht behalten.

Et hätt noch emmer joot jejange

Und dieser Erhard erteilte nun der großen Koalition eine Absage, weil er gemeinsam mit Adenauer unbedingt die Marktwirtschaft durchsetzen wollte. Die Stimmung der anwesenden Unionspolitiker, darunter auch der junge Franz Josef Strauß, stand auf der Kippe.

Dann machte Adenauer eine parteistrategische Rechnung auf: Zusammen mit den knapp zwölf Prozent der FDP und den vier Prozent der rechtsgerichteten Deutschen Partei müsste die Union mit ihren 31 Prozent knapp die Mehrheit im Bundestag haben und den Kanzler wählen können. Diese Aussicht elektrisierte die Anwesenden. Jemand schlug Adenauer als Kanzler vor, Adenauer schlug den FDP-Chef Heuss zum Bundespräsidenten vor, die Konferenz einigte sich, die Parteigremien stimmten anschließend zu. Adenauer hatte sich durchgesetzt.

Zwei Wochen später trat im Plenarsaal des Bonner Bundeshauses der erste Bundestag zusammen, eine weitere Woche später war die Abstimmung zur Regierungsbildung. In den Bundestag waren 402 Bundestagsabgeordnete mit vollem Stimmrecht gewählt worden. Für die Kanzlermehrheit waren also 202 Stimmen notwendig. Adenauer trat an. Der Bundestag stimmte ab.

13 Stimmen wurden nicht abgegeben.
Eine Stimme war ungültig.
44 Abgeordnete enthielten sich.
142 Abgeordnete stimmten gegen Adenauer.
202 Stimmen für Adenauer. Keine Stimme zu viel!

Der Rest der Geschichte ist das deutsche Wirtschaftswunder. Damals stand die Geschichte der Bundesrepublik auf des Messers Schneide. Wäre die Rhöndorfer Konferenz anders gelaufen, hätte die SPD nur einen Prozentpunkt mehr bekommen, hätte Adenauer nicht exakt die erforderliche Stimmenzahl für die Mehrheit errungen, dann hätten wir Deutschen kein Wirtschaftswunder, keine blühende Bonner Republik erlebt und das Land wäre eine ganze Generation früher in den Sozialismus abgekippt. Wir hätten niemals den Wohlstand und die Freiheit des Deutschlands vom Ende des 20. Jahrhunderts erlebt.

So knapp war das.


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