„Soziale Gerechtigkeit“: Sind progressive Steuern gerecht?
Wenn herausragende Leistungen bestraft werden
von Olivier Kessler
Heute wird ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Progressivität von Steuersätzen selbst unter dem Gesichtspunkt der Gleichheit vor dem Gesetz unproblematisch sei und der „Leistungsfähigkeit“ entspreche. Dieser Grundsatz macht dabei nicht vor absoluten Zahlen halt, zumal bereits eine proportionale Steuer, bei der alle Personen den gleichen Prozentsatz an Steuern bezahlen, als ungerecht empfunden wird. Und dies trotz der Tatsache, dass Leute, die mehr verdienen, auch mehr Steuern bezahlen müssen.
Gemäß den Verfechtern der „sozialen Gerechtigkeit“ ist ein Steuersystem erst dann annähernd fair, wenn dieses einen progressiven Steuersatz aufweist – wenn also hohe Einkommen nicht nur absolut, sondern auch prozentual mehr Steuern zu entrichten haben, wobei meist der Frage ausgewichen wird, wo denn die obere Grenze liegen soll. Doch bei diesem Gerechtigkeitsempfinden haben sich einige schwerwiegende Fehler eingeschlichen. Diese führen letztlich dazu, dass der gesamten Gesellschaft Schaden zugefügt wird.
Wer in einer wirklich freien Marktwirtschaft – in der es keine gesetzlichen Sonderprivilegien für Einzelne oder Gruppen gibt – viel verdient, hat den Beweis erbracht, dass er verhältnismäßig viel zum Allgemeinwohl beiträgt. Denn in einer Marktwirtschaft herrscht Vertragsfreiheit, was bedeutet, dass niemand zum Kauf von irgendwas gezwungen wird. In anderen Worten: Alle bezogenen Produkte und Dienstleistungen wurden freiwillig erworben.
Wenn beispielsweise ein Auto für 20.000 Franken freiwillig gekauft wird, bedeutet dies, dass der Kunde das Fahrzeug als wertvoller als 20.000 Franken ansieht und deshalb bereit ist, diesen Betrag gegen das Auto zu tauschen. Mit dem Tauschgeschäft hat sich der Kunde um jenen Betrag bessergestellt, welcher der positiven Differenz zwischen dem individuell dem Auto zugeschriebenen Wert und dem tatsächlich bezahlten Kaufpreis entspricht. Der Verkäufer von Fahrzeugen stiftet also all jenen einen Nutzen, die bereit sind, ein solches zu kaufen. Damit erhöht er die Lebensstandards dieser Leute und stellt sie besser. Der Lohn für die Besserstellung anderer Leute ist ein entsprechendes Einkommen. Je höher dieses ausfällt, desto mehr nachweisbaren Nutzen hat die Person der Menschheit gestiftet und desto mehr hat sie zum Gemeinwohl beigetragen.
Welchen Effekt hat nun die steuerliche Progressivität auf diese gemeinwohlfördernden Aktivitäten? Wenn für höhere Einkommen mehr Steuerprozente verlangt werden, kommt dies einer Diskriminierung der Leistungsträger einer Gesellschaft gleich. Es werden jene bestraft, die am innovativsten sind, die Kundenbedürfnisse am besten befriedigen, die Lebensstandards der Menschen am meisten anheben und die deshalb den größten Beitrag zum Allgemeinwohl leisten. Ist das wirklich fair?
Die Bestrafung herausragender Leistungen durch progressive Steuern setzt zweifelsohne fatale Anreize für künftiges Handeln. Werden allgemeinwohlfördernde Handlungen mit hohen Steuern belegt, kommt dies einer Lenkungsabgabe gleich, die dazu anreizt, künftig weniger Spitzenleistungen zugunsten anderer zu erbringen.
Man könnte nun behaupten, dass wir diese Nachteile in Kauf nehmen müssten, um dafür die Verteilungsgerechtigkeit sicherzustellen, und dass es auch mit stark progressiven Steuern wahrscheinlich noch Spitzenleistungen gäbe. Doch da täuscht man sich. Man kann sich diese Fehlüberlegung anhand einer fiktiven Schulklasse verdeutlichen, in welcher der Lehrer eines Tages verkündet, dass ab nun an alle Schüler die Durchschnittsnote der ganzen Klasse erhalten würden und nicht mehr jene Note, die ihre individuelle Leistung widerspiegelt. Während sich die weniger guten Schüler über ihre zunächst höhere Note freuen, sind die Leistungsträger der Klasse natürlich frustriert. Sie werden fortan um die Früchte ihrer Arbeit gebracht und herunternivelliert. Weshalb sollten sie sich künftig anstrengen, um gute Noten zu schreiben, wenn ihnen ohnehin nicht der gebührende Lohn zukommt? In der Folge nehmen in den kommenden Prüfungen unter dem egalitären Notensystem die Leistungen laufend ab. Demotiviert und lustlos traben die Schüler zu den Prüfungen an, während der Notendurchschnitt letztlich auf einen neuen Tiefpunkt absinkt. Selbst den Schwächsten ist damit nicht mehr länger geholfen.
Die Moral von der Geschicht: Weder ein egalitäres Notensystem noch ein progressives Steuersystem tragen zur Verbesserung des Allgemeinwohls bei. Sie vermögen die Leistungs- und Lebensstandards nicht anzuheben, weil sie leistungszerstörende Anreize setzen. Und als fair kann man sie auch nicht bezeichnen, weil rechtmäßig erarbeitete Früchte der Arbeit den einen weggenommen werden, um sie an jene umzuverteilen, die der Allgemeinheit weniger zu Diensten gestanden sind.
Die Tatsache, dass jemand viel verdient und vermögend wird, bedeutet nicht, dass nur er alleine von seinem Reichtum profitiert, während alle anderen leer ausgehen. Denn dieses Geld wird in den allermeisten Fällen nicht einfach unter eine Matratze gesteckt. Es wird – beim Deponieren auf einem Bankkonto auch indirekt – in Projekte und Firmen investiert, die zusätzlichen Wohlstand generieren, Arbeitsplätze schaffen und die Einkommen der Mitarbeiter durch die höhere Produktivität anheben. Werden die höheren Löhne jedoch vom Staat wieder abgeschöpft, fließen sie durch die Kanäle des Wohlfahrtsstaates oftmals direkt wieder in den Konsum der Sozialleistungsempfänger und Beamten. Dadurch wird im Hier und Jetzt zwar mehr konsumiert, dafür aber weniger für die Zukunft investiert. Man verbraucht folglich den bisher angehäuften Kapitalstock und nimmt damit eine relative Verarmung in der Zukunft in Kauf, weil weniger Mittel für eine effiziente Produktion zur Verfügung stehen.
Das vielgehörte Argument, mit progressiven Steuern würden lediglich die „überschüssigen“ Mittel abgeschöpft, welche die hohen Einkommen ohnehin nicht benötigen würden, maßt sich ein Urteil über Dinge an, die man selbst gar nicht beurteilen kann. Welche Mittel „überschüssig“ sind und ab welchem Lebensstandard jemand „genug“ hat, ist eine subjektive, von individuellen Bedürfnissen und Beziehungskonstellationen abhängige Frage, die man nicht objektiv für jemand anderen beantworten kann. In einer liberalen Gesellschaft soll das jeder für sich selbst entscheiden können, welcher Lebensstil für ihn der richtige ist. Eine Legitimation, anderen vorzuschreiben, wie sie ihr Leben zu leben haben, gibt es nicht.
Progressive Steuern widersprechen dem liberalen Grundsatz der Gleichbehandlung vor dem Gesetz. Sie sind eine Diskriminierung produktiver Bürger und ein Verstoß gegen das wichtigste Menschenrecht überhaupt: dem Schutz des privaten Eigentums. Der Ausspruch „Jeder nach seinen Fähigkeiten …“ ist ein marxistisches Prinzip, bei dem davon ausgegangen wird, dass niemand ein Recht auf die Früchte seiner Arbeit hat und alle erwirtschafteten Mittel prinzipiell Kollektiveigentum sind. Dieses Prinzip führt erfahrungsgemäß ins Verderben. Eine menschenrechtskompatiblere Alternative wäre eine proportionale Besteuerung mit hohen Freibeträgen oder noch besser ein begrenzter Staat mit einer vom Einkommen unabhängigen Pauschalsteuer.
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