01. Oktober 2023 23:00

Made in Germany – ein Auslaufmodell Who is John Galt?

Der Abwärtstrend scheint unaufhaltbar

von Stephan Unruh

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Bildquelle: Mayli Stocks / Shutterstock Es war einmal …: Ein deutsches Qualitätssiegel

„Fabian! What’s going on in Germany? The country has changed!“, so meldete sich jüngst einer meiner Kunden am Telefon. Der Sudanese pakistanischer Abstammung, nennen wir ihn Ismael, lehrte rund 20 Jahre an Universitäten in den USA, Großbritannien und China, bevor er sich mit einem Unternehmen in Hongkong selbständig machte und einen nicht ganz unerheblichen Teil zum Aufbau der chinesischen Halbleiterindustrie beitrug. Eigentlich wollte er sich schon längst mit seiner britischen Frau, deren deutsch-holländische Wurzeln nicht alleine die nach wie vor blonden Haare verraten, in Spanien, genauer an den Hängen des Duero, wo er bereits vor einigen Jahren ein Weingut erworben hat, zur Ruhe gesetzt haben … aber er kann es nicht übers Herz bringen, sein „Baby“ zu verkaufen.

Über den Sommer war er für einige Wochen nach Europa gereist – natürlich auch, um auf seinem Weingut nach dem Rechten zu schauen: Vor seiner Abreise hatte er mir noch sein Leid geklagt, dass der neue Pool am Alterssitz nun plötzlich doch nicht genehmigt worden sei und er umorganisieren müsse. Aber daneben sollte es auch für einige Tage nach Deutschland gehen, denn die Nichte seiner Frau wollte den Bund fürs Leben eingehen. Die abschließenden Feierlichkeiten sollten dabei in Regensburg stattfinden, und so nahmen Ismael und seine Frau erst den Flieger von Madrid nach München und dann den Zug vom Münchner Hauptbahnhof in die ehemals freie Reichsstadt an der Donau, Regensburg.

Aber ach – Sie, liebe Leser, ahnen freilich schon, was nun kommt, denn das Gros von Ihnen hat inzwischen sicherlich mehr als einmal ähnliche Erfahrungen machen „dürfen“. Daher nur die Kurzversion: Der Zug hatte Verspätung, in der ersten Klasse wurde kein Champagner, ja nicht einmal Prosecco ausgeschenkt, sondern nur Wasser in Pappbechern, die Ledersitze waren abgewetzt und schmutzig, die Toiletten haben im gesamten Zug nicht funktioniert, weshalb es auf halber Strecke eine 15-minütige Pinkelpause gab, und entsprechend wuchs sich die Verspätung aus. Ob das Jawort der Nichte darob verpasst wurde, habe ich bedauerlicherweise vergessen zu erfragen. Aber vermutlich hätte er es erwähnt.

Nun sind derartige Erzählungen längst Legion und für den Nichtbeteiligten zumeist Quelle heiterer Feixereien. Ändern lässt sich ja doch nichts, allen geht es ähnlich, und da den meisten Deutschen auch ein vernünftiger Vergleichsmaßstab fehlt, dürften sie entsprechend annehmen, dass es in anderen Ländern kaum anders sei. Wer ist schon regelmäßiger Fahrgast der chinesischen Staatsbahn oder kommt mit den Zügen der Central Japan Railways Company schnell, sicher, sauber und pünktlich ans Ziel? In diesem Falle: Ismael ist ständiger Nutzer der First und Business Class in chinesischen Zügen und hat entsprechende Ansprüche. Der Mann weiß, wie und wo es anders und besser läuft.

Auch ich finde eine solche Geschichte zunächst einmal launig, aber eben nicht nur, insbesondere dann nicht, wenn jemand wie Ismael sie erzählt. Denn hier spricht ja nicht irgendein „Michel“, der sich mal über die skandalösen Zustände beim Zugverkehr der Deutschen Bahn Luft verschaffen will, sondern es ist ein wichtiger Kunde. Einer, der bei uns seit Jahren stabil kauft und das nicht zuletzt deshalb, weil wir „Made in Germany“ liefern. Dessen Welt- beziehungsweise Deutschlandbild, das in den 1980er Jahren geprägt wurde – als in (West-) Deutschland alles, auch und gerade die Zukunft, besser war –, nun nachhaltig erschüttert worden war und der diese Geschichte ja nicht nur mir, sondern sicher auch etlichen anderen Kunden, Kollegen, Käufern erzählen wird.

Eine Geschichte, die sich nahtlos einreiht in zahllose Episoden dieser Art. Der peinliche, ewig lange dauernde Bau des Berliner Flughafens (auf den ich hier in China immer noch angesprochen werde) ist dabei genauso ein herausragendes Beispiel wie das zweimalige klägliche WM-Ausscheiden in der Gruppenphase, wobei 2022 deutlich schlimmer war als 2018. Denn zunächst die moralische Aufplusterei und dann die anschließende Klatsche durch den Fußballzwerg Japan spiegelten eben jenen in Deutschland weit verbreiteten Hochmut, der vor dem Fall kommt, sehr deutlich wider. Zusammen ergeben all die kleinen und großen Episoden dann das Mosaik: Deutschland hat sich verändert, und zwar nicht zum Guten.

Mehr und mehr bemerkt man dies auch im Ausland: Deutschland bekommt immer weniger „gebacken“. Und natürlich fragt man sich auch, was das eigentlich für ein Staat und für ein Volk sind, die sich elementare Infrastrukturen einfach so wegsprengen lassen, ohne dies weiter zu adressieren, oder die auch die halbe Welt zu sich einladen, dabei sogar mehr als nur Kost und Logis spendieren, ohne auch nur ein einziges Mal zu fragen: Was bringt’s? Die Rede von Scholz vor einer komplett leeren UN-„Voll“versammlung passt dabei trefflich ins Bild. Der Nimbus ist längst im Schwinden begriffen, wenn er nicht sogar schon weitgehend verschwunden ist. Was passiert, wenn (vielleicht schon in naher Zukunft) nicht nur Fachkräftemangel, hohe Steuern, Bürokratie und politische Gängeleien den Unternehmen das Leben schwermachen, sondern „Made in Germany“ statt eines Verkaufsarguments das genaue Gegenteil ist …?

Für unser kleines Unternehmen ist das relativ einfach. Spätestens dann wird eben nicht mehr in Deutschland, sondern woanders gefertigt. In Südostasien gibt es mehr als genug qualifizierte Unternehmen dafür – halb Japan lässt beispielsweise längst in Thailand fertigen. Die Qualität unserer Geräte, die entsprechenden Qualitätskontrollen vorausgesetzt, wird das nicht beeinträchtigen. Lediglich unsere Margen würde dadurch größer werden beziehungsweise die Produkte billiger und damit (noch) konkurrenzfähiger. Die Pläne hierfür liegen längst in der Schublade – und wir sind sicher nicht die Einzigen.

Who is John Gault?


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