Ohne Übung keine Meister: Über das weichste, wichtigste und freieste Organ des Menschen
Oder warum Big-Tech-CEOs ihre Kinder in den ersten Lebensjahren von Bildschirmen fernhalten
von Axel B.C. Krauss
Vielleicht ist die Überschrift ein wenig missverständlich: Mit der Behauptung, das Gehirn sei das „weichste“ Organ des Menschen, ist die nicht physische Beschaffenheit gemeint, sondern die Tatsache, dass es das formbarste ist – und zwar ein Leben lang.
Es geht also im Wesentlichen um die vom kanadischen Psychobiologen und Professor für Psychologie Donald O. Webb in der Mitte des 20. Jahrhunderts so genannte und beschriebene „neuronale Plastizität“, also die strukturelle Reorganisierbarkeit neuronaler Strukturen abhängig von ihrer Aktivität. Mit anderen Worten: Das Gehirn ist – entgegen früheren Annahmen der Humanbiologie – kein zu einem bestimmten Zeitpunkt der menschlichen Entwicklung fest ausgebildetes und fürderhin unveränderliches Organ, sondern kann durch geistige Beschäftigung auf neurophysiologischer Ebene in gewissen Grenzen „umgemodelt“ werden. Neue neuronale Verbindungen und Netzwerke können geknüpft werden. Es bleibt lernfähig.
Es lässt sich „programmieren“ beziehungsweise „konditionieren“ – ein Umstand, der nicht umsonst gerade von Regierungen auch fleißig erforscht wurde. Eines der bekanntesten und auch berüchtigtsten Programme in dieser Hinsicht dürfte wohl das amerikanische „MKUltra“ sein, bei dem unter anderem neurochemische Experimente zur Verhaltensmodifikation durchgeführt wurden – beispielsweise durch Verabreichung halluzinogener Drogen, oftmals ohne Wissen der Probanden. Die mittlerweile in großer Zahl vorliegenden freigegebenen Dokumente, insbesondere die Protokolle von US-Kongressanhörungen, machen zuweilen sprachlos. Rücksichtslos wurde getestet, wie man Menschen dazu bringen kann, zum Beispiel auf bestimmte audiovisuelle Reize ein vorbestimmtes Verhaltensprogramm ablaufen zu lassen (vorwiegend zu militärischen und geheimdienstlichen Zwecken).
Doch abgesehen von solchen Extrembeispielen, die schon aufgrund ihrer krassen Gestaltung und Zielsetzung in den letzten Jahrzehnten natürlich in den Vordergrund der Diskussion rückten, gibt es bereits seit vielen Jahrzehnten laufende staatliche Forschungsprogramme zur „soften“ Verhaltensmodifikation. Am britischen „Tavistock Institute of Human Relations“ werden schon lange Propaganda- und „Nudging“-Strategien ausgearbeitet, um politisch erwünschte Ansichten leichter unter die Leute zu bringen. Ein Zweig dieses Instituts, die Tavistock-Klinik in London für Transgender-Behandlungen, geriet vor einiger Zeit in die Schlagzeilen, als ihr schwere Versäumnisse und Verfahrensmängel im Umgang mit Kindern vorgeworfen wurden – sie wurde daraufhin geschlossen. Und im Laufe der sogenannten Pandemie kam heraus, dass eine Abteilung der englischen Regierung für psychologische Kriegsführung (!) Techniken entwickelte, wie man Menschen – vereinfacht ausgedrückt – möglichst viel Angst und Schrecken einjagen könnte, um sie zur Einhaltung der Vorschriften und zur Akzeptanz der damit verbundenen politischen Zielsetzungen zu bringen. Dasselbe gilt für die „77th Brigade“, die 77. Brigade der britischen Armee, die zum Kampf gegen „Desinformationen“ im Zusammenhang mit Covid auch in sozialen Netzwerken eingesetzt wurde.
Doch genug davon, denn hier soll es um die Frage gehen, welchen Grund es denn haben könnte, dass viele Führungskräfte und leitende Angestellte von Firmen aus dem „Big Tech“-Sektor ihre Kinder tatsächlich auf Schulen schicken, an denen ebenjene Geräte, die von diesen Firmen hergestellt werden und die von der Bevölkerung möglichst umfassend genutzt werden sollen, verboten sind.
Historisch betrachtet sind diese neuen bildschirmgestützten Technologien ein kurzes Blinzeln – es gibt sie erst seit vergleichsweise kurzer Zeit, weshalb die potenziellen Folgen einer ausufernden Nutzung nicht leicht abzuschätzen sind. Es läuft auf die altbekannte Frage hinaus, die eigentlich bei jeder neuen Technologie aufkommt: Fluch oder Segen?
Studiert man die bislang vorliegenden Forschungsarbeiten, kommt man zum wenig überraschenden Schluss, dass es ganz einfach vom Ausmaß der Nutzung abhängt: Ein Zuviel kann durchaus schädlich sein, gerade in den ersten Lebensjahren, wenn das kindliche Gehirn noch besonders formbar und empfänglich für neue Inhalte ist. Und dies dürfte wohl auch der Grund sein, warum ein Steve Jobs höchstselbst einmal zugab, dass iPads für seine Kinder „tabu“ seien: „Dass Apple nicht gerade offenherzig mit der Presse kommuniziert, ist schon längst kein Geheimnis mehr“, hieß es in einem Artikel der Website „maclife“ vom 10. August 2015 („Steve Jobs: Wieso für seine Kinder das iPad tabu war“). „Und dennoch nehmen immer wieder ranghohe Manager Stellung zu gewissen Fragen. So einst auch Steve Jobs, als ihn ein ‚New York Times‘-Reporter fragte: ‚Ihre Kinder müssen das iPad lieben, oder?‘. Der damalige Apple-Mitbegründer und CEO antwortete daraufhin mit einer – für viele vielleicht unerwarteten – Antwort: ‚Sie haben es noch nicht verwendet. Wir schränken die Zeit ein, die unsere Kinder zu Hause mit Technologie verbringen.‘“
Ob das wirklich eine unerwartete Antwort ist, hängt eben davon ab, aus welcher Perspektive man sich der Problematik nähert und welche Informationen man darüber hat. Der französische Soziologe Gérald Bronner stellte in seinem 2021 erschienen Buch „Kognitive Apokalpyse“ (das ich in einem früheren Beitrag kurz vorgestellt hatte) – ebenfalls vor einem größer gespannten kultur- und zivilisationsgeschichtlichen Hintergrund – die Frage, wie Menschen mit der durch die technisch-wissenschaftliche Entwicklung „freigesetzten Gehirnzeit“ umgehen. Womit er meint, dass durch die im Vergleich zu früheren Zeiten beschleunigte Entbindung des Menschen von den „Naturzwängen“ dank Technik geistiges Potenzial zwar in großer Menge frei wurde, man jedoch fragen müsse, wie es denn eingesetzt wird. Auch er analysiert die bisher aufgelaufenen Forschungsergebnisse dazu und kommt zum Schluss, dass eine Abkehr von der „Bildschirmfixiertheit“ nötig sei, von einem überhöhten Medienkonsum, der Menschen von der selbständigen, kreativen Entwicklung und Nutzung dieser „freigesetzten Gehirnzeit“ durch die Überflutung mit vorproduzierten Inhalten, deren Informationsgehalt seiner Ansicht nach oft fragwürdig sei und deren Richtigkeit vom Einzelnen zudem auch meistens gar nicht richtig eingeschätzt werden könne, abhalte, statt sie zu fördern.
Der bekannte deutsche Neurowissenschaftler und Psychiater Manfred Spitzer kommt gar zu einem vernichtenden Schluss – wofür ihm manche vorwarfen, er überdramatisiere die Situation. Spitzer fällte in seinem Buch „Digitale Demenz“ ein Urteil, das sich mit jenem Bronners teilweise überschneidet (aus dem Klappentext des Buches): „Digitale Medien nehmen uns geistige Arbeit ab. Was wir früher einfach mit dem Kopf gemacht haben, wird heute von Computern, Smartphones, Organizern und Navis erledigt. Das birgt immense Gefahren, so der renommierte Neurowissenschaftler Manfred Spitzer. Die von ihm diskutierten Forschungsergebnisse sind alarmierend: Digitale Medien machen süchtig. Sie schaden langfristig dem Körper und vor allem dem Geist. Wenn wir unsere Hirnarbeit auslagern, lässt das Gedächtnis nach. Nervenzellen sterben ab, und nachwachsende Zellen überleben nicht, weil sie nicht gebraucht werden. Bei Kindern und Jugendlichen wird durch Bildschirmmedien die Lernfähigkeit drastisch vermindert. Die Folgen sind Lese- und Aufmerksamkeitsstörungen, Ängste und Abstumpfung, Schlafstörungen und Depressionen, Übergewicht, Gewaltbereitschaft und sozialer Abstieg. Spitzer zeigt die besorgniserregende Entwicklung und plädiert vor allem bei Kindern für Konsumbeschränkung, um der digitalen Demenz entgegenzuwirken.“
Ist das vielleicht der Grund, warum ein Jobs die von seiner eigenen Firma hergestellten iPads für seine eigenen Kinder erst mal zum „Tabu“ erklärte? Befürchtete er, dass die Geräte zu einem Phänomen führen könnten, das Bronner wiederrum als „Aufmerksamkeitsdiebstahl“ bezeichnet? Und könnte das auch der Grund sein, warum, wie bereits erwähnt, ausgerechnet Führungskräfte von Big-Tech-Konzernen den Konsum für ihre Sprösslinge einschränken? Bronner: „Für jede Zivilisation sollte es die oberste Priorität sein, den bestmöglichen Gebrauch von ihrem Aufmerksamkeitsschatz zu machen und einen Teil ihrer Ressourcen darauf zu verwenden, besondere Talente aufzuspüren, wo immer sie zu finden sein mögen. Zweifellos ist das auch der Grund, weshalb Bill Gates, Steve Jobs oder Chamath Palihapitiya, der einst in leitender Funktion bei Facebook arbeitete, großen Wert darauf legen, ihre Kinder von Bildschirmen fernzuhalten, sie also vor Aufmerksamkeitsdiebstahl zu schützen. Im Silicon Valley gibt es sogar eine Schule – die Waldorf School of the Peninsula –, die den Gebrauch von Bildschirmgeräten verbietet und nur Bücher aus Papier sowie Stifte erlaubt. Wie sich zeigt, gehen viele Kinder von Beschäftigten von Google, eBay oder Apple dort zur Schule“ („Kognitive Apokalypse“, Seite 254).
Es ist fraglich, ob man nur einen einzelnen Faktor als den alles bestimmenden für solche Entwicklungen ausmachen kann oder man nicht vielmehr sicher annehmen kann, dass hier mehrere unterschiedliche Einflüsse hineinspielen. Erst in meinem letzten Beitrag zum Beispiel hatte ich den Arzt und Molekularbiologen Dr. med. Michael Nehls zitiert, der in seinem Buch „Das indoktrinierte Gehirn“ davon ausgeht, dass die Covid-19-Impfungen in Zukunft zu einer drastischen Zunahme an Demenzfällen führen könnten, da sie – so behauptet er – einen äußerst wichtigen Prozess im Gehirn hemmen („Hippocampale Neurogenese“).
Tatsache ist allerdings, dass bereits seit einigen Jahren – die Presse war und ist heute noch regelmäßig voll davon – ein dramatischer Verlust mentaler Fähigkeiten beklagt wird, gerade bei Kindern und Jugendlichen. Ob man nun das staatliche Schul- und Bildungssystem und seine (strukturellen) Mängel dafür verantwortlich machen will, eine übermäßige Nutzung „neuer Medien“ beziehungsweise einen Überkonsum von Bildschirminhalten oder irgendwelche anderen Faktoren, so dürfte es eher das Zusammenspiel solcher Einflüsse sein, die letztendlich den Ausschlag geben.
Eine keineswegs neue, sondern alte Erkenntnis ist hingegen, dass Lesen die geistige Entwicklung fördert.
Und eines ist ja klar: Wenn Führungskräfte oben erwähnter Firmen ihre Kinder in den ersten Jahren von Bildschirmen fernhalten oder deren Nutzung stark einschränken, so tun sie das gewiss nicht aus einer bloßen Laune heraus, aus Jux und Tollerei. Sie werden sich etwas dabei denken.
Bis nächste Woche.
Kommentare
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