18. Juni 2025 11:00

Rückkehr des Kriegsdienstes(?) Die Wehr-„Pflicht“-Debatte ist ein zivilisatorischer Rückschritt

Schickt politische Redenschwinger einfach mal an die Front

von Axel B.C. Krauss drucken

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Bildquelle: Shutterstock AI Folgsame Soldaten: Ziehen wie die Lemminge ins Verderben

„Ein kluger Kopf passt in keinen Helm“, soll Albert Einstein einmal gesagt haben. Er setzte sich zeit seines Lebens für vernunftbasierte, friedliche Lösungen ein, hatte kein Problem damit, es sich als weltweite Berühmtheit mit so manchen „Mächtigen“ zu verscherzen und machte sich für Kriegs-„Dienst“-„Verweigerer“ stark. In einem Interview mit der Zeitschrift „Christian Century“ von 1929 sagte er: „Mein Pazifismus ist instinktiver Natur – ein Gefühl, von dem ich besessen bin. Der Gedanke des Mordes an einem menschlichen Wesen erfüllt mich mit Abscheu. Meine Haltung ist nicht von intellektueller Theorie, sondern von einem tiefen Widerwillen gegenüber jeglicher Art von Grausamkeit und Hass motiviert.“

Und in seinem 1930 erschienenen Buch „Wie ich die Welt sehe“ schrieb er – wobei ich jedes Wort unterschreiben möchte: „Wenn einer mit Vergnügen in Reih und Glied zu einer Musik marschieren kann, dann verachte ich ihn schon; er hat sein großes Gehirn nur aus Irrtum bekommen, da für ihn das Rückenmark schon völlig genügen würde“ (Albert Einstein, „Wie ich die Welt sehe“, Einstein-Archiv der Hebräischen Universität Jerusalem).

Die Verachtung, von der Einstein im Zitat spricht, entsprang übrigens keinem Hass, es war kein intellektueller Snobismus, keine hochnäsige Arroganz – sondern Verzweiflung über ein altbekanntes Problem, das nicht zuletzt der französische Mediziner und Psychologe Gustave Le Bon in seiner (hoffentlich) allseits bekannten „Psychologie der Massen“ ganz hervorragend analysiert hatte: Warum lassen sich Menschen in Massen von Ideologien und Demagogen verführen? Worin besteht der Reiz, die eigene Individualität im Fühlen und Denken aufzugeben, den eigenen moralischen Kompass beiseitezulegen und lieber vorgefertigte und angefütterte Parolen nachzubeten? Wieso marschieren Menschen überhaupt in „Reih und Glied zu einer Musik“, wie Einstein schrieb, und – das Wort erweckt in mir nur noch Abscheu – „folgen“ einer kleinen Gruppe – oder gar nur einem einzelnen Menschen – in Tod und Verderben? Was ist eigentlich so verführerisch am Kollektivismus?

Eine der wichtigsten, vielleicht sogar die wichtigste Antwort darauf lautet: aufgrund der psychologischen Entlastungsfunktion. Auch das hatte Le Bon bereits hinreichend aufgeschlüsselt: Man braucht selber keine Verantwortung mehr zu übernehmen. Man muss sich nicht mehr der Anstrengung unterziehen, sich selber die Frage nach Sinn und Zweck zu stellen. Moralische beziehungsweise ethische Zweifel lassen sich vortrefflich hintanstellen: Natürlich ist es viel einfacher, sich „hinzugeben“, seine „Pflicht“ zu tun, bereits ausgearbeiteten Narrativen zu folgen, da sie die Orientierung erleichtern: Meine „Vorgesetzten“ werden schon wissen, was sie tun (Ich bin ja nur gefolgt beziehungsweise habe Befehle befolgt). Eine Hoffnung, die sich nur allzu oft als falsch, ja fatal erwiesen hat.

Le Bon schrieb dazu in besagtem Buch: „Im gewöhnlichen Wortsinne bedeutet Masse eine Vereinigung irgendwelcher Individuen von beliebiger Nationalität, beliebigem Berufe und Geschlecht und beliebigem Anlasse der Vereinigung. Vom psychologischen Gesichtspunkt bedeutet der Ausdruck ‚Masse‘ etwas ganz anderes. Unter bestimmten Umständen und bloß unter diesen besitzt eine Ansammlung von Menschen neue Merkmale, ganz verschieden von denen der diese Gesellschaft bildenden Individuen. Die bewusste Persönlichkeit schwindet, die Gefühle und Gedanken aller Einheiten sind nach derselben Richtung orientiert. Es bildet sich eine Kollektivseele, gewiss transitorischer Art, aber von ganz bestimmtem Charakter. Die Gesamtheit ist nun das geworden, was ich mangels eines besseren Ausdrucks als organisierte Masse oder, wenn man lieber will, als psychologische Masse bezeichnen werde. Sie bildet ein einziges Wesen und unterliegt dem Gesetz der geistigen Einheit der Massen“ (Seite 9–10).

Doch eine der wichtigsten Erkenntnisse findet sich auf Seite 16: „Die Hauptmerkmale des in der Masse befindlichen Individuums sind demnach: Schwund der bewussten Persönlichkeit, Vorherrschaft der unbewussten Persönlichkeit, Orientierung der Gefühle und Gedanken in derselben Richtung durch Suggestion und Ansteckung, Tendenz zur unverzüglichen Verwirklichung der suggerierten Ideen. Das Individuum ist nicht mehr es selbst, ist ein willenloser Automat geworden.“

Weshalb Machteliten, wie Sutton völlig richtig bemerkte, immer sehr gerne den Kollektivismus und kollektivistische Ideologien beziehungsweise politische Programme fördern: Es erleichtert ihnen das „Massenmanagement“, wie ich es gerne nenne, ganz enorm.

Wenn nun also ein Joschka Fischer (nebst anderen), ehemaliger Außenminister, fordert, es brauche eine Wehrpflicht, die Verteidigung könne angesichts der angespannten Lage nicht mehr der Freiwilligkeit überlassen werden, so stellt das einen gewaltigen geistigen Rückschritt dar, einen zivilisatorischen Rückfall. Da nützt es auch nichts, darauf hinzuweisen, irgendwelche aktuellen „Bedrohungslagen“ machten es nun mal „erforderlich“: Denn für die „Follower“ der Führer anderer Länder gilt ja genau dasselbe.

Es gibt nämlich keine Ausreden mehr: Woher soll ich wissen, ob die mir servierten offiziellen Begründungen überhaupt stimmen? Warum sollte ich Leib und Leben für bloße Behauptungen riskieren? Hat nicht die Geschichte immer wieder eindrücklich bewiesen, wie oft dabei manipuliert und schlicht gelogen wurde? Dafür soll ich „kämpfen“, so was soll ich „verteidigen“ und dafür schlimmstenfalls mein Leben verlieren? Sollte eine politische Elite per willkürlich gesetztem Recht einfach über die Leben junger Menschen bestimmen und sie „abkommandieren“ dürfen?

Eine ganz andere Sache ist es natürlich, wenn man tatsächlich angegriffen wird und sein natürliches Recht auf Selbstverteidigung gegen einen Aggressor wahrnimmt. Auf individueller Ebene ist das völlig in Ordnung – aber auf kollektiver ist größte Vorsicht geboten. Aber Russland! Das „Land“ hat doch ein anderes – die Ukraine – überfallen! Nein. Eine Gruppe von Soldaten „folgte“ einfach dem Angriffsbefehl eines Präsidenten. Und wenn ein US-Präsident behauptet, ein anderes Land habe Massenvernichtungswaffen, weshalb man präventiv intervieren müsse – kann ich das einfach so glauben? Und wenn sich hinterher herausstellt, dass es gelogen war – dafür habe ich dann andere Menschen erschossen? Dafür habe ich mir unter Umständen eine hübsche posttraumatische Belastungsstörung zugezogen, deshalb ging meine Ehe in die Brüche, deshalb wurde ich zu einem psychisch verkrüppelten Veteranen, der mit ein paar armseligen Kröten abgespeist wurde für seinen „Dienst“ am „Vaterland“ und für die Erfüllung seiner „Pflicht“? Dafür bekomme ich als Dank vielleicht einen kleinen Orden an die Brust geheftet? Oder dafür, dass ein Imperium die geostrategische Lufthoheit behält?

Henry Kissinger soll angeblich einmal gesagt haben, Soldaten seien „wie dumme Tiere“, die man „auf einem Schachbrett hin und her schieben kann“. Ob das nun stimmt oder nicht: Wer immer nur anderen folgt, riskiert, als Lemming zu enden.

Bis nächste Woche.


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