11. Juni 2025 11:00

Vierte Industrielle Revolution Es gibt kein echtes Leben im falschen digitalen

Zeichnet sich eine kerngesunde Trendwende ab?

von Axel B.C. Krauss drucken

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Bildquelle: Kaspars Grinvalds / Shutterstock „Liebe“ in Zeiten von Tinder und Co: Wisch und weg?

Es sind bereits unzählige Analysen geschrieben und Studien durchgeführt worden zum sogenannten „Online-Dating“ sowie Apps wie „Tinder“ oder wesensverwandten Portalen. Sie kamen zum wenig überraschenden Schluss, dass das „Swipen“ von Menschen zu einer Einstellung führen kann, die im Gegenüber irgendwann nicht mehr sieht als einen „Wegwerfmenschen“: Wisch und weg, sobald irgendetwas stört oder dem Bild im eigenen Kopf nicht entspricht.

Die Digitalisierung des Lebens, wie sie von den einschlägig bekannten Futuristen, „Propheten“ und Vorbetern der „Vierten Industriellen Revolution“ gepredigt wurde, die bekanntlich eine „Verschmelzung von biologischer und digitaler Identität“ erträumen – egal, ob ein Schwab, ein Kurzweil, ein Harari oder andere –, und in diesem Fall konkreter des Liebeslebens, war ohnehin eine Farce. Auch das wurde früh genug festgestellt, aber gerne übersehen oder kleingeredet, weil es natürlich den zum Zeitpunkt des Aufkommens solcher Apps oder Websites bereits bestens eingeschliffenen Konsumverhaltensmustern entsprach: Wie in einem Supermarkt der Gesichter, Körper und Profile konnte man die „Regale durchstöbern“ und sich etwas aussuchen, von dem man glaubte, dass es den eigenen Wünschen „perfekt“ entspräche. Was natürlich nicht funktionieren kann, denn die zumeist ohnehin gefilterten und geschönten, gepimpten und frisierten Profile entsprechen eben nur sehr selten der Realität. Mit anderen Worten: Im Internet sieht jede Frau aus wie Heidi Klum oder Angelina Jolie, und jeder Mann ist eine Kreuzung aus George Clooney, Gary Grant und Long Don Johnson.

Eigentlich ist es ganz einfach: Menschen lernen sich kennen – persönlich, wohlgemerkt, von Angesicht zu Angesicht – und stellen dabei fest, ob’s funkt oder nicht. Das war’s. So wie es immer war. Eine Vermittlung durch eine zwischengeschaltete Instanz, einen „dritten Mann“, sei es eine App fürs Smartphone oder eine Website, die schon aus Gründen der Eigenwerbung selbstverständlich verspricht (und auch versprechen muss), eine nahezu 100-prozentige Erfolgsquote zu haben, ist nicht nur nicht nötig, sondern kann gefährliche Folgen haben – weil sie vom realen Menschen abstrahiert und von diesem nur ein virtuelles Wunschbild übrig lässt. Es ist immer eine Idealisierung, die fast zwangsläufig Enttäuschungen nach sich zieht. Die bloße Idee beziehungsweise Vorstellung einer „perfekten Übereinstimmung“ ist eben nur eine Idee. Ein Komponist hat eine Idee für ein Musikstück, muss diese aber beim Komponieren erst mal in Form bringen – die Vorstellung im Kopf reicht nicht. In seiner Imagination klingt es perfekt, aber die Verwirklichung erfordert Arbeit, vielleicht sogar viel Nachbearbeitung, kurz: ein Feilen und Schleifen, bis man zufrieden ist. Ein Schriftsteller hat eine Idee für einen Roman, wird dann aber feststellen, dass die Niederschrift – das konkrete Ausformulieren – eine ganz andere Sache ist. Nicht anders verhält es sich mit Beziehungen.

Die „Welt“ schrieb am 9. Juni (im Artikel „Wer solche Beziehungsmuster einübt, wird mit echten Menschen große Probleme bekommen“): „Das endlose Swipen ermüdet – viele spüren längst: So fühlt sich Nähe nicht an.“

Ei der Daus: Sind „Wisch und Weg“-Menschen etwa nicht in der Lage, echte zwischenmenschliche Nähe zu simulieren? Können ein paar einfache Algorithmen zur Partnersuche das unendlich viel komplexere Kennenlernen von Mensch zu Mensch, bei dem schließlich viel mehr im Spiel ist als nur oberflächliches Abchecken von Wunschlisten oder irgendein (zumeist ohnehin künstlich aufgehübschtes) Profilfoto, den Aufbau echter Partnerschaften nicht ersetzen? Denn unter lackierten „Motorhauben“ findet natürlich viel mehr statt – Lebenserfahrungen, spontane Anziehungen und erst recht Intuitionen laufen unterschwellig, es geht auch um die berühmten „Bauchgefühle“, die „Chemie“, die sich nicht auf eine programmierbare Formel reduzieren lässt.

Das weckt die Hoffnung auf eine Trendwende, eine Rückkehr vom ungesunden digitalen Diminutiv des „Wischens“, das sämtliche zwischenmenschliche Magie und Poesie auf Verfügbarkeit, Profil-View-Zahlen und idealisierte Zurschaustellung herunterbricht, zurück in gute „alte“ analoge Umgangsformen. So wie bei der Digitalisierung von Musik – was seit Langem bekannt ist – immer etwas verlorengeht, Informationen, die zwischen die „Treppenstufen“ der Auflösung (Bits) „fallen“, so kann auch die Digitalisierung des Zwischenmenschlichen nicht den ganzen Komplex an intuitiver „Kompatibilitätsprüfung“ und emotionaler Spontaneität kalkulieren. Denn dort zeichnet der Phonograph eines Menschen eine fließende Erfahrung in ihrer Gesamtheit auf, deren Obertöne dem digitalen „Zerhacker“ aus statischen Momentaufnahmen entgehen.

Wie kaum anders zu erwarten, wurde schon vorgeschlagen, künstliche Intelligenz auch noch den Rest erledigen zu lassen. Im „Welt“-Artikel heißt es weiter: „Jetzt soll KI das Liebesglück retten; mit schlauen Chats und immer neuen digitalen Flirthelfern. Bringt das die Leichtigkeit ins Dating zurück – oder geht dabei verloren, was wirklich berührt?“

Letzteres. Es ginge verloren. Keine KI dieser Welt kann – und sollte dies auch gar nicht, wenn Sie mich fragen – den Menschen auch noch in der Liebe entmündigen. Sie ist und bleibt eine ganz analoge Erfahrung, die man nicht in Schaltkreisen kanalisieren kann.

Bis nächste Woche.


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