05. Oktober 2023 08:00

Fehlverhalten wirtschaftlicher Akteure Sind Unehrlichkeit und Betrug Folgen des Kapitalismus?

Über die unselige Rolle des Staates

von Olivier Kessler

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Bildquelle: SGM / Shutterstock Täuschung bei Abgaswerten: Führte zu Imageverlust von VW

Die Theorie und die Erfahrung haben gezeigt, dass Ehrlichkeit in einer freien Marktwirtschaft gerade belohnt und deshalb gefördert wird. Der freie Markt begünstigt aus der eigenen Logik heraus Werte wie Zuverlässigkeit, Aufrichtigkeit und Friedfertigkeit. Agiert eine Person verlogen, aggressiv oder hinterhältig, schadet dies ihrem persönlichen Ruf, womit sie sich diverse unternehmerische und berufliche Opportunitäten verbaut. Solange kein ausgebauter Sozialstaat zu Hilfe eilt, schaden sich die Personen selbst, die sich so benehmen.

Gleiches gilt für ein Unternehmen, das seine Produkte unzuverlässig ausliefert, unehrlich mit seinen Kunden umspringt oder diesen sogar droht: Sein Ruf oder die Reputation seiner Marke wäre schnell zerstört, woraufhin sich viele Kunden von ihm abwenden dürften. Dies trifft umso mehr im heutigen Internetzeitalter zu, wo innerhalb kurzer Zeit für alle sichtbar Rezensions-Sternchen vergeben sowie Kundenbewertungen und Erfahrungsberichte verfasst werden können. Es ist also im ureigenen Interesse der Marktteilnehmer, sich adäquat, aufrichtig und anständig zu verhalten.

In einer freien Marktwirtschaft gibt es viele solcher Mechanismen zur Eindämmung und Sanktionierung schlechter Verhaltensweisen. Diese ermöglichen es, dass die Informationsasymmetrien zwischen Hersteller und Verbraucher auf ein problemloses Minimum herabgesenkt werden können. Neben dem Ruf der Führungsperson oder einer Firma gibt es beispielsweise das Mittel der Garantie. Diese ist ein äußerst wirkungsvolles Instrument gegen Betrug, weil sie vertraglich abgeschlossen und notfalls gerichtlich durchgesetzt werden kann, wenn ein Konsument mit einem Produkt nicht zufrieden ist. Ein ebenfalls bewährter Mechanismus ist das kostenlose Ausprobieren eines Produkts: So kann man sich beispielsweise risikolos – ohne zu bezahlen – bei Onlineshops Kleider und andere Produkte nach Hause bestellen und diese zunächst anprobieren. Überzeugen sie nicht, kann man sie problemlos wieder retournieren. Bei komplexeren Produkten wie etwa Medikamenten oder Nahrungsmitteln, bei denen für die Kunden die Qualität nicht immer auf Anhieb ersichtlich ist, könnten unabhängige private Zertifizierungsstellen – die sich im Wettbewerb bewähren müssen – die Qualität und Eignung prüfen und sie zum Nutzen der Kunden entsprechend begutachten.

Eines der wichtigsten marktwirtschaftlichen Instrumente, das Unehrlichkeit und Betrug verhindert, ist die Freiwilligkeit von Vertragsabschlüssen. Weil das Privateigentum von jedermann geschützt ist, kann jeder selbst entscheiden, mit wem und zu welchen Konditionen er Verträge eingeht. Bei Unzufriedenheit mit einem Anbieter hat jeder Konsument die Möglichkeit, zu einem anderen Anbieter zu wechseln, weshalb unehrliche und betrügerische Akteure in der Regel rasch wieder vom Markt verschwinden.

Im heutigen staatsinterventionistischen System mit seinen unzähligen „Service public“-Angeboten jedoch ist das Auftreten von Betrug und Unehrlichkeit wahrscheinlicher als im freien Markt. Warum? Weil hier die Wahl- und Vertragsfreiheit der Menschen an allen Ecken und Enden eingeschränkt wird und dadurch entsprechende Disziplinierungsmechanismen fehlen: Bei Unzufriedenheit mit den Angeboten der SRG (Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft) etwa kann man als Konsument nicht einfach sein Abo kündigen. Verkehrsteilnehmer, die ein Auto oder Fahrrad gegenüber den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) oder dem Postauto bevorzugen, werden nichtsdestotrotz dazu verdammt, Steuergelder zur Finanzierung von SBB und Postauto zu bezahlen. Wer mit dem Leistungspaket der obligatorischen Krankenkasse nicht einverstanden ist, kann die entsprechenden Verträge nicht auflösen, sondern wird von der Politik weiterhin gezwungen, das alternativlose Paket zu akzeptieren.

In der freien Marktwirtschaft bleiben die Fehler, Irrtümer und der Betrug auf wenige beschränkt, weil niemand gezwungen werden darf, Produkte von Betrügern und Halsabschneidern in Anspruch zu nehmen oder zu finanzieren. Das heißt nicht, dass Unehrlichkeit und Betrug im Kapitalismus nicht vorkommen würden. Aber letztlich bleiben die Auswirkungen solcher Fehlentscheide begrenzt. Freiheit und Verantwortung sind untrennbar. Werden solche Betrugsfälle erst einmal aufgedeckt, steht es allen offen, ihre Schlüsse aus diesen Vorkommnissen zu ziehen. Die Marktwirtschaft ermöglicht Lernprozesse, die zu laufenden Verbesserungen und Optimierungen führen.

Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit im Kapitalismus, dass solche Skandale an die Öffentlichkeit kommen, viel höher als in einem staatsinterventionistischen oder sozialistischen System, weil der Wettbewerb zwischen Konkurrenten dafür sorgt, dass die Wettbewerber sich gegenseitig im Auge behalten und Fehlverhalten der anderen oftmals aus Eigeninteresse anprangern. Das hat sich beispielsweise im Fall des „Spiegel“-Journalisten Claas Relotius gezeigt – einem Hochstapler, dem nachgewiesen werden konnte, dass große Teile seiner Texte frei erfunden waren. Privatwirtschaftliche Konkurrenten wie etwa die „Neue Zürcher Zeitung“ wiesen prominent auf diese Verfehlungen beim Konkurrenten hin, was dem Image des „Spiegels“ nicht dienlich gewesen sein dürfte. Über die unzähligen faktenuntreuen Verfehlungen, Weglassungen und propagandistischen Lügen im Mediensystem der Sowjetunion jedoch wurde mangels Konkurrenz kaum je öffentlich berichtet. Im Gegenteil: Wie der ungarische Publizist Paul Lendvai in seinem Buch „Der Medien-Krieg“ dokumentierte, wurde dort mit staatlicher Zensur, Einschüchterung und Gewalt verhindert, dass die Öffentlichkeit über diese Verfehlungen in Kenntnis gesetzt wurde.

Auch der VW-Skandal, bei dem bekannt wurde, dass der Automobilkonzern Abgasmessungen im großen Stil gefälscht hatte, wurde in der medialen Öffentlichkeit breit dokumentiert und besprochen. VW kam dabei nicht gut weg. Die Aktienwerte fielen. Im Gegensatz dazu konnte es in der DDR kaum Kritik über die miserablen Autos des Trabant-Monopolisten geben. Denn Trabant befand sich in Staatsbesitz, und die Politik hatte kein Interesse an einer Imagekrise des eigenen Betriebs, weil dies auch ein schlechtes Licht auf die politische Führung geworfen hätte.

Heute werden fehlerhafte Akteure bei Fehlverhalten oftmals vom Staat gerettet und die individuell verursachten Kosten der Gesellschaft aufgebürdet. Die Finanzkrise 2008 lässt grüßen. Dies bedeutet, dass Fehlverhalten umso wahrscheinlicher wird, weil eine entsprechende Korrekturfunktion des Marktes fehlt.

Unehrlichkeit und Betrug gibt es in jedem politischen und wirtschaftlichen System. Sie sind menschliche Konstanten. Die Frage ist, welche Auswirkungen diese menschlichen Eigenschaften im jeweiligen System haben. Bietet dieses Menschen, bei denen diese schlechten Eigenschaften überwiegen, die Möglichkeit, sich auf Kosten anderer besserzustellen oder nicht? Je breiter sich der Staat in der Gesellschaft einnistet und je mehr er die Akteure vor dem eigenverantwortlichen Handeln bewahrt, desto eher kommt es zu fehlerhaftem Verhalten. Die freie Marktwirtschaft fördert zur Wahrung der Reputation und der langfristigen Geschäftsbeziehungen aber tendenziell ehrliche und zuverlässige Verhältnisse.


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