Kulturgeschichte: Im Bett mit Ayn Rand und Hannah Arendt
Eine Traumküche aus Mandelbrot und Broccoli
von Carlos A. Gebauer (Pausiert)
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Der Feiertag in dieser Woche gab Gelegenheit, mich mit einem Buch zu befassen, das eigentümlich zur Lektüre lockte. Der Ärztliche Psychotherapeut und Psychoneuroimmunologe Christian Schubert hat mit „Geometrie der Seele“ den Versuch unternommen, einen Blick auf unbewusste, aber lebensbestimmende Muster der Welt zu werfen. Als Ansatz nimmt er das Phänomen der „Fraktale“: Musterhafte Bruchstücke, die sich in den Teilen eines Ganzen ebenso finden wie in diesem Ganzen selbst. Als Beispiel beschreibt er die Struktur von Bäumen, deren charakteristische Verjüngung im sich teilenden Auf- und Fortstreben der ersten dicken Hauptäste vom Stamm in den weiteren Verästelungen und Verzweigungen bis in die Kronen konsequent immer wiederholt wird. Gleiches sehe man im Broccoli oder im Romanesco: Das Kleine repetiert das Große, die Prinzipien der Form bleiben gleich.
Schuberts These ist, dass Menschenleben ähnliche Formprinzipien aufweisen könnten: Ein wesentlicher Charakterzug im Persönlichkeitsstamm eines Menschen zeige sich vielleicht nur in anderen Konkretionen an mehreren Stellen. Seine Erfahrung als langjährig praktizierende Psychotherapeut ließen jedenfalls auf solche Parallelen schließen.
Nietzsche-Leser sehen sich an dessen „Jenseits von Gut und Böse“ erinnert, wo es ähnlich heißt: „Hat man Charakter, so hat man auch sein typisches Erlebnis, das immer wiederkommt.“ Doch Nietzsche – so viel ist sicher – kannte nicht Benoît Mandelbrot, dessen mathematische Experimente mit rekursiven Zahlenfolgen irgendwann Christian Schubert zu seiner Analogbetrachtung inspirierten. Und sie alle ahnten nicht, dass ich an diesem Feiertag bei meinen wilden Lektüren quer durch die Bibliothek irgendwann auch in die filmischen Visualisierungen der Mandelbrothaufen und Apfelmännchen abtauchte. Wohnt in diesen irritierenden Tiefen der zwischendimensionalen Kurven und Oberflächenstrukturen am Ende auch Gott? Und werden wir aus unserer irdischen Existenz dereinst in diese Zwischenwelten der diffusen Rekursionen hineintauchen?
Im Gefühl des Zweifels über die Konturenschärfe der Abgrenzung zwischen diesen Sphären entschied ich mich – feiertagstypisch – für einen Mittagsschlaf. Und genau dort, in der Traumwelt meines Bettes, sah ich mich plötzlich (in einem konturenunscharfen Schwarz-Weiß-Film) moderierend zwischen Ayn Rand und Hannah Arendt in einem Fernsehstudio sitzen, von Zigarettenqualm umwölkt, gigantische Kameraungetüme im liebevoll abgedunkelten Hintergrund, diszipliniertes Schweigen im feingekleideten Publikum.
Ein sanft brodelndes Empfinden euphorisierter Freude perlte in meiner aufgeregten Brust auf und ab ob der Dialoge zwischen den beiden messerscharf streitenden Damen, ein warmes Gefühl der Wonne im Angesicht der donnernden Dissense, die mit einschränkungsloser gegenseitiger Wertschätzung – in je typisch eingefärbtem Englisch – vorgetragen wurden. Aus der unwirklichen Ferne des Halbschlafs hörte ich Hannah Arendt noch sagen: „Das ist kein Egoismus, sondern jedes lebende Wesen ist so veranlagt: Es tut alles um seiner selbst willen. So hat der Weltenschöpfer die Natur des vernunftbegabten Wesens veranlagt, dass es kein Gut für sich erlangen kann, ohne etwas zum allgemeinen Nutzen beizutragen. Auf diese Weise handelt man nicht gegen das eigene Interesse, auch wenn man alles um seiner selbst willen tut.“ Und – siehe da – sie hatte Epiktet zitiert. Epiktet, der Ayn Rand insoweit vielleicht nur in einer temporalen Schleife vorangegangen ist? Und irgendwo mittendrin steht ein träumender Zwerg im Torweg eines fiktiven Aufnahmestudios, der den rekursiven Zusammenfall der Interessengegensätze auf beiden Seiten des Tores entdeckt?
Im Gefühl, Teil eines globalen Broccoli zu sein, stand ich vorsichtig auf. Das, dachte ich, muss ich Christian Schubert erzählen!
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