Ökonomie: Soziale und kulturelle Folgen von Inflation
Schon Goethe erkannte den Kern des Problems
von Karl-Friedrich Israel (Pausiert)
von Karl-Friedrich Israel (Pausiert) drucken
Die kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Inflation ist so alt wie die Ökonomik selbst, und sie geht natürlich über die Ökonomik als Wissenschaft hinaus. Schon Goethe hat in seiner „Faust“-Tragödie auf den Kern des Problems verwiesen. Das Inflationsproblem beginnt immer dort, wo man die Knappheit realer Mittel mit einer Knappheit an Geld verwechselt, beziehungsweise dort, wo man durch Geldschöpfung über die Knappheit realer Mittel hinwegzutäuschen versucht.
So spricht Mephistopheles, im ersten Akt des zweiten Teils der Tragödie, am Hofe des Kaisers:
Wem fehlt’s nicht
irgendwo auf dieser Welt?
Dem dies, dem das, hier aber fehlt das Geld.
Und trotz der Warnungen des Kanzlers:
Der Satan legt euch
goldgewirkte Schlingen:
Es geht nicht zu mit frommen rechten Dingen,
sagt der Kaiser:
Ich habe satt das ewige
Wie und Wenn;
Es fehlt an Geld, nun gut, so schaff es denn.
Hier wird der individualwirtschaftliche (mikroökonomische) Standpunkt des Kaisers zum Maßstab für ein allgemeinwirtschaftliches (makroökonomisches) Problem. Das individualwirtschaftliche Problem des Kaisers kann über die Geldschöpfung aus dem Nichts gelöst werden, nicht aber das allgemeinwirtschaftliche Problem der Knappheit realer Mittel und Ressourcen. Letztere können durch Geldschöpfung nicht vermehrt, sondern nur umverteilt werden. Und damit geht die von Mephistopheles in Aussicht gestellte Lösung der Geldschöpfung aus dem Nichts zulasten Dritter. Es wird umverteilt aus der breiten Masse in die Hände weniger Profiteure. Viele der sozialen und kulturellen Folgen von Inflation können auf diese Umverteilungswirkung zurückgeführt werden.
Das tückische (oder teuflische) an der Geldschöpfung aus dem Nichts ist die Täuschung, in die sie die breite Masse der Menschen zunächst führt. So erklärt der Schatzmeister dem Kaiser die ersten Wirkungen des Papiergeldexperiments in der Szene im Lustgarten:
Damit die Wohltat allen
gleich gedeihe,
So stempelten wir gleich die ganze Reihe,
Zehn, Dreißig, Fünfzig, Hundert sind parat.
Ihr denkt euch nicht, wie wohl’s dem Volke tat.
Seht eure Stadt, sonst halb im Tod verschimmelt,
Wie alles lebt und lustgenießend wimmelt!
Die Wirtschaft scheint zunächst zu florieren. Die Geldausgaben und -einkommen steigen. Das Papiergeld hat einen Tauschwert, der erst langsam zu erodieren beginnt. In dieser Phase wirkt bereits die Umverteilung, die noch nicht von allen bemerkt wird: Gewinner sind jene, die zum richtigen Zeitpunkt reale Anlagegüter erwerben, die auch nach Zerplatzen der Illusion noch werthaltig sind. Bei Goethe hat es unter allen Charakteren der Narr am besten verstanden. Man zahlt ihn in Papiergeldnoten aus, die zu diesem Zeitpunkt noch eine Kaufkraft am Markt haben, und er frohlockt:
Heut Abend wieg' ich mich im Grundbesitz!
Darauf Mephistopheles:
Wer zweifelt noch an unsres Narren Witz!
Dieses Glück des Grundbesitzes beziehungsweise des realen Anlagebesitzes wird nicht allen Bürgern gleichermaßen zuteil. Aber auch bei denen, die am Ende leer ausgehen, wird zumindest für eine gewisse Zeit die Illusion größeren Wohlstands durch höheren Konsum aufrechterhalten – bis die Entwertung des Papiergeldes die Illusion zum Platzen bringt: dem Zeitpunkt, da die reale Umverteilungswirkung für alle sichtbar zutage tritt.
Es ist nicht verwunderlich, dass diese Thematik Einzug in Goethes Poesie erhalten hat. Papiergeldexperimente waren auch zu Goethes Zeiten bekannt und ihre Wirkungen zu verheerend, als dass sie ein universal gebildeter Mann wie er hätte übersehen können. Eine historische Episode, die Goethe als Vorbild gedient haben könnte, ist die Mississippi-Blase in Frankreich Anfang des 18. Jahrhunderts.
John Law erhielt von Philipp II., dem Regenten des minderjährigen Louis XV., nach dem kostspieligen Spanischen Erbfolgekrieg das königliche Monopol zur Herausgabe von Banknoten. Die von ihm geleitete Banque Générale wurde 1817 in Banque Royale umbenannt. Außerdem erhielt er für seine Compagnie des Indes, besser bekannt als Mississippi-Kompagnie, das königliche Monopol für den Handel mit den französischen Überseekolonien, insbesondere Louisiana, dem heutigen US-Bundesstaat, durch den der Mississippi in den Golf von Mexiko mündet.
Die Unterstützung der Krone verlieh den von John Law geleiteten Unternehmungen sehr schnell großes Vertrauen in der breiten Öffentlichkeit. Die Banque Royale vergab ungedeckte Papiergeldkredite, unter anderem für den Ankauf von Anteilen an der Mississippi-Kompanie, was eine massive Spekulationsblase verursachte, die im Laufe des Jahres 1820 platzte. Die breite Masse verlor ihre investierten Ersparnisse. Einige wenige gewannen. In diesem Jahr hielt das Wort „millionnaire“ Einzug in den französischen Sprachgebrauch. Einer der wichtigsten Nutznießer der Blase, der noch rechtzeitig das überbewertete Papier in Edelmetalle und andere reale Anlagegüter umtauschte, war der berühmte Richard Cantillon (1680–1734).
Cantillon brachte seine aus der Praxis als Bankier und Spekulant gewonnenen Erfahrungen in seinem erst posthum veröffentlichten Werk „Essai sur la nature du commerce en général“ (1755) zu Papier und hinterließ der Nachwelt damit eines der Gründungswerke der modernen Ökonomik. Cantillon ist zum Beispiel einer der wenigen namentlich erwähnten Autoren im „Wohlstand der Nationen“ von Adam Smith. Einige der größten Autoren des Faches, wie etwa Friedrich August von Hayek, haben Cantillons Beiträge zur Ökonomik später gewürdigt.
Zentrale Idee in Cantillons Werk ist die Umverteilungswirkung der Geldschöpfung und des wirtschaftlichen Handelns im Allgemeinen. Auch jeder Produzent, der Gewinne erwirtschaftet, führt eine Form der Umverteilung von Einkommen zu seinen Gunsten und zum Nachteil seiner Konkurrenten herbei. Der Unterschied zur Geldschöpfung aus dem Nichts ist, dass er etwas Werthaltiges produziert, das anderen einen Nutzen stiftet. Der Vorteil für den Herausgeber von Papiergeld ist, dass er nicht erst „markten“ müsse, wie es Goethes Mephistopheles sagt. Er stellt nichts bereit, was Käufern zugutekommt.
Die Umverteilungswirkung, die Cantillon analysiert hatte, tritt auch dann zutage, wenn wir es mit moderater Inflation statt massiven Spekulationsblasen zu tun haben. Es sind die frühen Empfänger des neugeschaffenen Geldes, insbesondere also Staaten und staatsnahe Sektoren, die auf Kosten anderer profitieren. In anderen Worten können wir sagen, dass die Gewinner diejenigen sind, deren Verkaufspreise früher und schneller steigen als die Einkaufspreise.
Ein wichtiger Kanal in der heutigen Zeit, über den die Umverteilung wirkt, ist die aus der allgemeinen Preisinflation entspringende überproportionale Vermögenspreisinflation. Sie ist auf einen Wandel im Sparverhalten zurückzuführen. In einer inflationären Wirtschaft steigen die Opportunitätskosten der Geldhaltung und damit die Anreize, Ersparnisse in inflationsgesicherte Anlagegüter umzuleiten. Überproportionale Aktien- und Immobilienpreisinflation sind Auswüchse dieses Phänomens.
Überproportionale Vermögenspreisinflation gereicht den bereits vermögenden Schichten tendenziell zum Vorteil und vergrößert die Kluft zwischen Arm und Reich. Vermögenswerte steigen im Verhältnis zu den Einkommen, insbesondere den Arbeitseinkommen, und erschweren damit den sozialen Aufstieg. Es wird zum Beispiel verhältnismäßig schwieriger, mit einem Einkommen in Höhe des Medianlohns eine Immobilie zu erwerben.
Wir können damit in der heutigen Zeit unter anderem vier wichtige Umverteilungstendenzen erkennen:
Erstens: Von der
Privatwirtschaft zum Staat und zum öffentlichen Sektor
Zweitens: Von Unvermögenden zu Vermögenden
Drittens. Von Arbeitseinkommen zu Kapitaleinkommen und Kapitelgewinnen
Viertens: Von Jung zu Alt (da junge Generationen oft (noch) keine Vermögen
besitzen und stärker von Arbeitseinkommen abhängig sind.)
Diese Umverteilungstendenzen führen zu einer Erhöhung der wirtschaftlichen Ungleichheit und damit zu einer der wichtigsten sozialen Folge von Inflation. Diese Umverteilung wirkt in vielfältiger Weise auf die Kultur und Lebenshaltung in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen.
Allgemein fördert die steigende Ungleichheit den Verdruss gegenüber dem System und der Politik. Dies kann Ursache sowohl einer sinkenden Wahlbeteiligung als auch eines Abdriftens an die politischen Ränder sein. Diese Tendenz ist besonders in jungen Generationen ausgeprägt. Existenzängste und das Gefühl, abgehängt zu werden, machen sich breit und verursachen erhöhten Stress. Sie führen schlimmstenfalls zu Selbstaufgabe und Resignation.
Es gibt seit Jahrzehnten, insbesondere bei jungen Menschen, steigende Indikatoren für psychische Leiden. Drogenkonsum und Selbstmordraten steigen. Diese Phänomene haben zahlreiche potenzielle Ursachen. Eine von ihnen ist die Umverteilung zulasten junger Generationen. Diese kann aber auch zu anderen kulturellen Veränderungen führen. Wenn der soziale Aufstieg über den Ersparnisaufbau aus Arbeitseinkommen erschwert wird, so kann dies zu einer stärkeren Gegenwartsorientierung führen. Der notwendige Aufwand für den Vermögensaufbau in Form von harter Arbeit und Konsumverzicht wird als zu groß eingeschätzt. Statt zu sparen und für die Zukunft vorzusorgen, gibt man sich den Konsumvergnügungen der Gegenwart hin. Die Yolo-Kultur („you only live once“) kann als ein Auswuchs dieser Tendenz verstanden werden.
Bei älteren Generationen und der politischen Klasse, die tendenziell eher vom Umverteilungsprozess profitiert, stellt sich eine kollektive Korruption ein. Man erkennt die systemischen Probleme nicht an, selbst wenn man sich über sie völlig im Klaren ist, denn es ist nicht zum eigenen Vorteil, etwas zu verändern. Diese Form der Heuchelei, wie sie im öffentlichen Diskurs vielfach zu finden ist, verstärkt ihrerseits, wenn sie wahrgenommen wird, den Verdruss bei den Benachteiligten dieses Umverteilungsprozesses.
In der politischen Klasse stellt sich überdies eine Form der Megalomanie ein. Man unterschätzt die realen Kosten von inflationsfinanzierten politischen Großprojekten wie dem Klimaschutz oder militärischen Konflikten. Inflation führt zu einer Aufweichung der Grenzen des politischen Handlungsspielraums. Auch dies kann den Verdruss gegenüber der Politik bei all jenen erhöhen, die diese Entkopplung erkennen und für problematisch halten, selbst dann, wenn man an anderer Stelle vielleicht sogar vom Inflationsprozess profitiert.
Damit verursacht Inflation nicht nur ein verstärktes Ungerechtigkeitsempfinden, sondern fördert eine Kultur des Misstrauens und der Missgunst. Man misstraut den Eliten und der Politik. Man misstraut aber auch erfolgreichen Unternehmern, denn ihr wirtschaftlicher Erfolg beruht nicht zwingend auf produktiver Wertschöpfung, sondern kann ein Resultat inflationärer Umverteilung sein. Oft ist es eine Mischung aus beiden. Man missgönnt ihnen also den Erfolg. Und so erodiert das gesellschaftliche Fundament, auf dem ein marktwirtschaftliches System aufgebaut ist. Die Marktwirtschaft verspricht, eine Meritokratie zu sein – also wirtschaftlichen Erfolg für jene, die anderen etwas bieten, für das sie bereit sind, zu zahlen. Der Reichtum, den man erwirtschaftet, ist Reichtum zum Nutzen anderer. Inflationäre Umverteilung stellt dieses System auf den Kopf. Reichtum aus Inflation bedeutet Reichtum zulasten anderer.
Jörg Guido Hülsmann „Die Ethik der Geldproduktion“
Fiat Money and Collective Corruption
Kommentare
Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.
Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.