07. Oktober 2023 23:00

Kein Wahlrecht für Transferempfänger? Demokratie ist das Problem

Die Aufregung ist auf beiden Seiten übertrieben

von Thorsten Brückner

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Bildquelle: ArtFamily / Shutterstock Demokratie: Eine Spielwiese für Machtphantasien?

Sollen sich Arbeitslose zwischen Wahlrecht und Sozialhilfe entscheiden müssen? Der Vorstoß von Markus Krall polarisiert. Ich muss ehrlich zugeben, dass mich als überzeugten Nichtwähler das Thema nur mäßig interessiert. Ich scheine damit, wenn man die Debatte so verfolgt, zu den wenigen zu gehören, die das Thema emotional ziemlich kaltlässt.

Gedanken habe ich mir dennoch darüber gemacht. Zunächst mal finde ich es gut, wenn in der starren, festgefahrenen BRD-Debattenkultur mal ein neuer Impuls gesetzt wird und auch mal etwas gesagt wird, das vielleicht ein paar Menschen vor den Kopf stößt und dadurch zum Nachdenken anregt.

Doch selbst wenn man sich auf Kralls minimalstaatliche und die Demokratie bejahende Perspektive einlässt, überzeugt mich das Ganze nicht. Zunächst mal habe ich mich gefragt: Was würde es eigentlich konkret ändern, wenn etwa Sozialhilfeempfänger nicht mehr wählen könnten? Denn darauf läuft es am Ende hinaus. Kein Arbeitsloser mit einem Funken Verstand wird sich dafür entscheiden, als einer von 82 Millionen lieber alle vier Jahre einen neuen Herrscher zu wählen, als Leistungen zu erhalten, die ihm das Überleben sichern. 

Bei der vergangenen bayerischen Landtagswahl 2018 haben Arbeitslose wie folgt gewählt: 

CSU 26 %
SPD 10 %
Freie Wähler 9 %
Grüne 14 %
FDP 1 %
Linke 7 % 

AfD 22 %

Was an diesem Ergebnis jetzt genau schlimmer sein soll als am Gesamtresultat, erschließt sich mir nicht. Eher im Gegenteil.

Oder werfen wir einen Blick auf die vergangene Bundestagswahl. So haben Arbeitslose 2021 gewählt:

SPD 23 %
Grüne 17 %
CDU/CSU 14 %
FDP 8 %
Linke 11 % 
AfD 17 %

Die Ampel hätte eine Mehrheit, allerdings wäre die AfD und nicht die Union Oppositionsführerin. So weit, so unspektakulär. Oder geht es vielleicht um die vage Hoffnung, dass eine libertäre Partei ohne Arbeitslose in der Statistik auf 0,2 statt auf 0,1 Prozent käme? Warum in einem Land, in dem die große Masse, ungeachtet ob arbeitslos oder berufstätig, staatshörig bis ins Mark ist, warum da de facto eine Gruppe rauspicken und die vor den Kopf stoßen? 

Zumal es nicht die Transferempfänger sind, die die Party am Laufen halten. Wer Steuern zahlt, trägt nach meinem Dafürhalten an den aktuellen Zuständen mehr Schuld als etwa ein Bürgergeld-Empfänger. Ich werfe das niemandem vor. Das System ist so, wie es ist, und ich verstehe nur zu gut, wenn jemand gutes Geld verdienen will, um sich und seiner Familie einen bestimmten Lebensstandard ermöglichen zu können. Ich habe einmal in meinem Leben so richtig gut verdient. Doch was ich damals von meinem Gehalt behalten durfte, hat mir jede Motivation geraubt, noch einmal in solche Gehaltskategorien vorstoßen zu wollen – das ist den zeitlichen Aufwand einfach nicht wert.

Eine weitere Frage, die ich mir gestellt habe: Wo zieht man in einem Land, in dem alles von der Geburt bis zum Tod staatlich eingetaktet ist, eigentlich die Grenze zwischen Nehmern und Gebern? Was ist etwa mit Staatsbediensteten? Haben die nicht ein noch größeres Interesse, sich alle vier Jahre die richtigen Typen in Amt und Unwürden zu wählen? Sollen die ihr Wahlrecht behalten dürfen? Das sind Menschen, zum Beispiel in den staatlichen Verwaltungen, die in ihrem Leben oft weniger Produktives geleistet haben als so mancher Langzeitarbeitsloser. 

Viele Menschen haben auch zwischen 2020 und 2023 wegen der Covid-Schikanen ihren Job verloren und sind bis heute ohne Erwerbstätigkeit, etwa weil sie sich nicht impfen ließen, einen staatlich angeordneten Test verweigerten oder nicht mit dem Gehorsamslappen im Gesicht arbeiten konnten oder wollten. Sollen diese Menschen, die ja erst durch staatliche Schikanen arbeitslos geworden sind, auch ihr Wahlrecht verlieren, wenn sie sich für die Annahme von Sozialleistungen entscheiden?

Ich halte es für klug, wenn Menschen, die Jahre oder Jahrzehnte ins System einbezahlt haben, im Falle etwa der eigenen Arbeitslosigkeit versuchen, sich die Gelder, die sie zwangsweise abtreten mussten, auch wieder zurückzuholen. Dasselbe gilt fürs Kindergeld. Es wäre doch dumm, das nicht wieder einzustecken. Wie viele Sozialhilfeempfänger könnten heute wohl bequem ein paar Jahre Arbeitslosigkeit überbrücken und für sich selber sorgen, wenn ihnen der Staat nicht über lange Zeit einen Großteil ihres Einkommens gestohlen hätte? 

Übrigens halte ich die Vorstellung, dass der Sozialstaat zurückgefahren wird, wenn es weniger Transferempfänger gibt, für reichlich blauäugig. Den Sozialstaat gibt es nicht aus Barmherzigkeit. Das Ziel ist, die Menschen in Abhängigkeit zum Staat zu halten, also das gleiche Prinzip, das am Ende der Kita-Politik zugrunde liegt: Man nimmt den Menschen das Geld weg, sodass sie nicht mehr für sich selbst und ihre Kinder (vor)sorgen können, und zwingt sie so in die Sozialhilfe oder ihre Kinder in die subventionierte Fremdbetreuung. Selbst wenn morgen wie durch ein Wunder eine halbe Million Menschen weniger arbeitslos wären, würde deswegen keine einzige Steuer sinken.

Es klappt nicht, sich einen Baustein des Systems herauszunehmen und daran Reformen ansetzen zu wollen. Nicht eine bestimmte Gruppe, sondern das demokratische System an sich ist das Problem. Alle vier oder fünf Jahre können die Menschen über ihre Stimmabgabe indirekt Dinge tun, die sie legal nie selbst tun dürften oder würden. Andere auszurauben, ist dabei nur eine Motivation. Andere wollen über ihre Stimme Ausländer außer Landes schaffen. Wieder andere verbinden mit ihrer Stimme die Hoffnung auf eine noch härtere Gangart der Polizei – gegen welche Gruppe auch immer. 

Mir ist nie klargeworden, was Menschen dazu antreibt, über ihre Mitmenschen herrschen zu wollen, sie über staatliche Gewalt zu einem bestimmten Verhalten zwingen zu wollen. Die Demokratie ist die Spielwiese für genau solche Machtphantasien, sie bringt oft das Schlechteste im Menschen hervor. Keine Mehrheit dieser Welt hat das Recht, über mein Leben zu bestimmen. Ich habe nicht das Recht, über anderer Leute Leben zu bestimmen. Doch mit meiner Stimmabgabe maße ich mir genau dieses Recht an.

Sind es also vielleicht am Ende die Wähler und nicht die Transferempfänger, die für die gegenwärtigen Zustände verantwortlich sind? Diejenigen, die zudem mit ihrer Stimme alle vier Jahre das bestehende System legitimieren? Ich weiß es nicht. Ich halte meine minimalstaatlichen Ansichten von früher heute meist für ziemlich undurchdacht und inkonsequent. Aber ich möchte dennoch dem einzelnen Wähler keine bösen Absichten unterstellen. Es leuchtet mir, auch wenn ich anderer Meinung bin, ein, was Lysander Spooner über das Wählen als Selbstverteidigung geschrieben hat: „In der Tat ist die tatsächliche Stimmabgabe des Individuums nicht als Beleg für seine Zustimmung zu werten.“ Vielmehr sei zu bedenken, „dass ein Mensch, ohne jemals gefragt worden zu sein, sich von einer Regierung umgeben sieht, gegen die er nichts ausrichten kann; einer Regierung, die ihn zwingt, Geld abzudrücken, Zwangsdienste zu leisten und auf die Ausübung zahlreicher seiner natürlichen Rechte zu verzichten unter Androhung harter Strafen“. Ein solcher Mensch sehe, wie andere „diese Tyrannei über ihn ausüben, indem sie den Stimmzettel benutzen“. Er sehe, „dass wenn er selbst den Stimmzettel benutzt, er die Möglichkeit hat, sich von der Tyrannei der anderen zu befreien, indem er sie seiner eigenen unterwirft und findet sich ohne seine Zustimmung in einer solchen Lage, dass er, wenn er den Stimmzettel benutzt, ein Herr werden kann; wenn er ihn nicht benutzt, muss er ein Sklave werden. Und er hat keine andere Alternative als diese beiden. Zur Selbstverteidigung versucht er die erste“.

Ich möchte keine Tyrannei über andere ausüben, auch nicht zur Selbstverteidigung. Seine Stimme abzugeben und gleichzeitig das Wählen richtigerweise als tyrannisch zu definieren, scheint mir nicht konsistent. Doch auch die Aufregung über eine Koppelung des Wahlrechts an die Abstinenz von staatlichen Versorgungstöpfen halte ich für übertrieben. Selbst wer Parteiendemokratie und Wahlen für einen Segen der Menschheit hält, sollte doch nicht den Fehler machen und seine individuellen Möglichkeiten überschätzen, im bestehenden System etwas zu verändern.  


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