09. Oktober 2023 23:00

Unterhaltung im Postmodernismus Wenn keiner dazwischen geht, tötet euch!

Kulturverfall macht vor nichts Halt – auch nicht vor Kampfkünsten

von M 2.0 (Pausiert)

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Bildquelle: Shutterstock Pervertierung von Kampfkunst: Mixed Martial „Arts“

Als junger Hüpfer praktizierte ich einige Jahre Taekwondo. Trotz meines jungen Alters verinnerlichte ich die dahinterstehende Philosophie sehr schnell, was auch damit zusammenhing, dass ich mich mit ihr identifizieren konnte. Im Wesentlichen gibt es in sämtlichen fernostasiatischen Kampfkünsten Parallelen beziehungsweise Gemeinsamkeiten, wenn es um entsprechende Philosophien geht. Ob nun Taekwondo, Kung Fu, Karate, Judo, Jit Jitsu et cetera – allen ist nicht nur ein auf Selbstverteidigung liegender Fokus gemein, sondern sie alle betonen darüber hinaus eine Geisteshaltung, welche die Harmonie zwischen Körper und Geist fördert. Für Gichin Funakoshi (1868–1957), den Begründer des modernen Karate, war die Schulung des Geistes, des Charakters und der inneren Einstellung das Hauptziel des Karate-Do. Mir klingen auch noch die Worte meines „Bomsanim“ in den Ohren, wonach es nicht darum gehe, andere mutwillig zu attackieren.

Die „Taekwondo Elite Nürnberg“ formuliert die Angelegenheit treffend, wenn sie zur Philosophie des Taekwondo schreibt: „Es ist vor allem die Natürlichkeit des Verhaltens, die das energetische Gleichgewicht des Organismus und die innere Ruhe gewährleistet. Die Gelassenheit und innere Sammlung ermöglichen es, auf die feinsten Schattierungen der Ereignisse scharfsinnig zu reagieren, so wie der Wasserspiegel vom winzigsten Windhauch in Bewegung gerät. Dem Prinzip der Natürlichkeit folgend, wird der Mensch sogar in schwierigsten kritischen Momenten die Selbstbeherrschung nicht verlieren.“

Als meine Tochter kürzlich zum ersten Mal an einem WingTsun-Training teilgenommen hatte, unterhielt ich mich sehr lange mit dem dortigen „Sifu“, welcher nach seinen persönlichen Erfahrungen mit chinesischen Großmeistern auch nochmal betonte, man müsse den Kids von Anfang an klar machen, dass es nicht darum gehe, irgendwem „auf die Schnauze zu hauen“, sondern den Kampf als letztes Mittel zu betrachten.

Warum erzähle ich das alles?

Meines Erachtens entsteht immer dann ein kultureller Tiefpunkt, wenn sich der hierfür notwendige Verfall „unabhängig“ voneinander auf allen möglichen Ebenen offenbart. Oder schärfer formuliert: Wenn Menschen und deren Handeln in vielen verschiedenen, gesellschaftsrelevanten Bereichen degenerieren. Man kann dies theoretisch auch positiv sehen – so wie ich in meiner vergangenen Kolumne –, sofern man darin Anzeichen einer eventuellen Zeitenwende erkennen möchte (siehe Link unten). Logischerweise muss vor einer (zyklischen) Wende zum Besseren erst so gut wie alles kaputt, verkommen, verraten, ausgelaugt und heruntergewirtschaftet sein. Betrachten Sie meine folgende, ganz persönliche Einschätzung also nicht als „Beweis“ für irgendwas, sondern vielleicht als kleines Mosaiksteinchen innerhalb „unserer“ gegen alles Natürliche, Zivilisierte und Heilige zunehmend verstoßenden und deshalb letztlich zum Scheitern verurteilten Zeit des Postmodernismus.

So sehr ich mich aus oben genannten Gründen schon immer für fernöstliche Kampfkünste begeistern konnte, so wenig wusste ich bisher von etwas namens „Mixed Martial Arts“ (MMA). Entsprechend entsetzt war ich, als mir vor einiger Zeit ein entsprechender Clip in die Timeline gespült wurde. Dort standen sich im Zuge einer „Ultimate Fighting Championship (UFC)“-Veranstaltung zwei Männer in einer Art Käfig gegenüber, die, wie ich als fortgeschrittener Laie erkennen konnte, verschiedene Kampfstile miteinander kombinierten. Soweit an und für sich eigentlich recht interessant. Ihr Alter würde ich auf etwa Anfang bis Mitte 20 schätzen. Der große Schock für mich entstand dann, nachdem einer der beiden nach einem Tritt zum Kinn so offensichtlich „K.O. ging“, dass es selbst für die Putzfrau ersichtlich gewesen sein musste; allerdings stoppte der Kampf im Zuge dessen nicht, sondern der noch stehende „Kämpfer“ beugte sich über den bereits bewusstlosen Gegner und schlug ihm mit aller Macht seine Faust ins Gesicht. Der „Kampf“ endete dann schließlich dadurch, dass sich der Ringrichter förmlich zwischen die beiden warf und quer auf dem vollkommen benommenen Opfer lag, auf dass im Anschluss der „siegreiche“ „Kämpfer“ seine Tat mit einem gleichermaßen infantilen wie respektlosen Tänzchen durch die Manege garnierte und dabei grenzdebil in die Kamera blickte.

Jaja, ich weiß schon, was sicherlich von vielen kommt: Ist ja alles freiwillig, keiner wird gezwungen, dort mitzumachen, keiner wird gezwungen, dafür zu bezahlen und sich das anzusehen. Ist schon klar. Geschenkt. Mir geht es auch nicht darum, so etwas zu verbieten, sondern meinen persönlichen Ekel für eine Praxis kundzutun, in der ganz offensichtlich sämtliche Tugenden, Werte und Philosophien der ganz oben genannten Kampfkünste verraten, missbraucht und über den Haufen geworfen werden. Die Wörter „Kampf“ und „Kämpfer“ im Absatz zuvor stehen bewusst in Anführungszeichen, da meines Erachtens nichts davon mit tatsächlichen „Kampfkünsten“ zu tun hat. Einen tatsächlichen Kämpfer umgibt für mich seit jeher stets auch eine gewisse Aura, welche Maß, Bescheidenheit, Taktgefühl und nicht zuletzt Ehre beinhaltet. Nichts davon war hier zu sehen. Ich frage mich, was geschehen wäre oder grundsätzlich geschehen würde, sofern es keinen Ringrichter gegeben hätte beziehungsweise gäbe, der die entsprechenden Testosteronbomber (und heutzutage selbstverständlich auch -bomberinnen) von ihren bereits halbtoten Opfern zerrte. Würden diese Leute irgendwann von ihrer „Beute“ ablassen? Ich kann diese Frage – und ich meine es ernst – nicht mit einem abschließenden „Ja“ beantworten. Ich hatte mir in der Folge noch andere „Kämpfe“ dieser Art angesehen, da ich nicht glauben konnte, dass so etwas die gängige Praxis sein könne, aber ich wurde enttäuscht. Man sah den meisten „Kämpfern“ förmlich an, dass es ihnen mitnichten um ein respektvolles Messen eigener Fähigkeiten und Techniken ging, sondern darum, maximalen Schaden beim Gegner zu verursachen, um ihn im Anschluss nicht selten auch noch zu verhöhnen – und wenn der Gegner dabei stirbt, so what?

Vielleicht mag es sich bei diesen Kämpfen sogar um „natürliches Verhalten“ handeln, da die (niedersten) natürlichen Vernichtungstriebe des Menschen offen ausgelebt werden können, aber es möge dann doch bitte wenigstens keiner dieser „MMA-Kämpfer“ irgendwelche Stories von „Respekt für den Gegner“ daherreden. So dennoch geschehen, beispielsweise bei einem gewissen Lyoto Machida, einem in Brasilien geborenen „MMA-Kämpfer“ mit japanischen Wurzeln. Dieser redet in einem Interview darüber, wie wichtig doch im japanischen Karate der Respekt für den Gegner sei, da „dieser dir seinen Körper zum Lernen und Anwenden deiner Technik leiht“. Von demselben Herrn sehen wir kurz darauf Ausschnitte, wie (auch) er bereits bewusstlos am Boden liegenden Gegnern mit den Fäusten ins Gesicht schlägt und – Sie ahnen es – erst von ihnen ablässt, nachdem er vom Ringrichter zurückgezerrt wird. (Es verwundert nicht, dass sein Vater, selbst Karatelehrer und die Philosophie des Karate anscheinend tatsächlich wertschätzend, die Wünsche seines Sohnes, „Karate“ einst in einem Käfig ausleben zu wollen, als abscheulich empfand.)

Vielleicht können Sie mir aber in dieser Angelegenheit weiterhelfen, denn womöglich ist auch einfach mein Verständnis von „Respekt“ nicht mehr zeitgemäß. Ich frage: Was hat das bitte mit Respekt zu tun? Empfinde nur ich Machidas Worte und Taten als Widerspruch? Das ganze Gerede über Respekt, Philosophie, Ehre, aber auch das Verbeugen nach dem Sieg über einen Gegner wirkt wie Makulatur. Und Machida scheint, soweit ich das einigermaßen überblicke, noch zu den „gemäßigteren“ „Kämpfern“ zu gehören. Ich zitiere nochmal aus der Philosophie des Taekwondo: „Dem Prinzip der Natürlichkeit folgend, wird der Mensch sogar in schwierigsten kritischen Momenten die Selbstbeherrschung nicht verlieren.“

Die „UFC“ scheint diesen und anderen Prinzipien völlig konträr zu laufen, nachdem 1993 ganz offensichtlich das Verlieren der Selbstbeherrschung als Marktlücke entdeckt wurde und insbesondere seit 2006 ein immer größeres Publikum von (voyeuristischen?) Schaulustigen angelockt wird, das – nur eine Vermutung – seine eigene Ohnmacht, Wut und angestauten Stress mittels barbarisch-blutiger, respektloser und vernichtungswütiger „Kämpfe“ kanalisiert.

Die Philosophie des Taekwondo (TKD-Elite)

Interview Lyoto Machida (Youtube, englisch)

Hoffnungsschimmer am Horizont: Stehen wir vor einer lang ersehnten Wende? (Freiheitsfunken)


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