10. Oktober 2023 18:00

Staatsfunk gegen parlamentarische Opposition Propagandaauftrag statt Journalismus

Man gibt sich nicht die geringste Mühe, wenigstens einen Anschein zu wahren

von Christian Paulwitz

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Bildquelle: photocosmos1 / Shutterstock.com Seriöser Mainstream-Journalismus in der Causa Chrupalla: Fehlanzeige

Mein dieswöchiger Beitrag hat eine Vorgeschichte: Ich wollte etwas über Propaganda in den Medien und fehlenden journalistischen Anspruch schreiben, wie dies für jedermann leicht zu erkennen sei und es anhand eines Beispiels herausarbeiten. So nahm ich mir vor einer Woche vor, am Freitag auf „tagesschau.de“ zu gehen, wo ich mit hoher Wahrscheinlichkeit fündig zu werden glaubte, und dann sportlich das heranzuziehen, was eben da war; notfalls mit zwei Meldungen, wenn eine allein an diesem Tag nicht genügend Stoff liefern würde. Das war jedoch nicht nötig. Das Thema: Tätlicher Angriff auf einen AfD-Vorsitzenden; bereits zuvor Polizeischutz aufgrund der Bedrohungslage für die Co-Vorsitzende inklusive ihrer Familie – vier Tage vor den Landtagswahlen in Bayern und Hessen. Da liefen die Propagandamühlen heiß, um keinen Sympathie-Bonus aufkommen zu lassen. Dabei verstehe ich gar nicht, warum? Ebenfalls am Freitag meldete der Bayerische Rundfunk, dass 40 Prozent der Wähler per Brief abstimmen würden. Bei einer angenommenen Wahlbeteiligung von 60 Prozent war die Sache zu diesem Zeitpunkt also praktisch bereits gelaufen – zwei Drittel der Stimmen waren schon abgegeben.

Titel und Schlagzeilentext sind die Kernbotschaft

Wenden wir uns dem Artikel vom Morgen des sechsten Oktobers zu, der nicht der erste zum Thema war. Er beginnt unter der Überschrift „Kein schnelles Ende der Chrupalla-Ermittlungen“ mit folgendem Absatz:

„Von einem ‚tätlichem Vorfall‘ und einer ‚Einstichstelle‘ sprach die AfD – von einem geröteten Arm die Ermittler. Bislang deute nichts darauf hin, dass Co-Bundeschef Chrupalla in Bayern angegriffen wurde. Die CSU vermutet ein Wahlkampfmanöver.“

Überschrift und erster Absatz sind entscheidende Teile, denn viele lesen nicht mehr. Bei reiner Informationsabsicht würde man sich in den ersten Textzeilen – anders als bei meiner klar erkennbaren, absichtlich meinungsgefärbten Kolumne – einer klaren Wertung enthalten, sondern vielmehr möglichst mit Fakten zum Thema hinführen. Die scheinbare Unparteilichkeit – der Standpunkt beider Seiten wird erwähnt – ist jedoch oberflächlich, denn die CSU sollte hier eigentlich keine Seite in dem Vorfall sein. Stellungnahme der AfD – Aussage der Ermittler, das könnten die Pole sein. Der letzte Satz, der das Interpretationsgewicht verschiebt, ist an dieser Stelle völlig überflüssig und als reine Gefälligkeit erkennbar. Wer ohne weiteren Hintergrund nur die ersten Zeilen liest und nicht weiter, mag sich sogar fragen, ob es um Ermittlungen gegen den AfD-Vorsitzenden Tino Chrupalla wegen Vorspiegelung einer Straftat handele.

Die Stellungnahme der AfD am vierten Oktober zu dem Vorfall (Bundesverband – beim Landesverband habe ich nichts gefunden) war sachlich und zurückhaltend formuliert. Die Stichworte dort sind ‚tätlicher Angriff‘ und ‚Stichverletzung‘; möglicherweise gibt es weitere Aussagen seitens der AfD, die die „Tagesschau“ hier jedoch nicht explizit als Quelle nennt. Der Hinweis auf die Bundesgeschäftsstelle ließ mich einen Blick auf die Pressemitteilungen werfen, aber es kann ja auch zusätzlich noch eine Anfrage der „Tagesschau“ gegeben haben. Ferner schreibt die AfD in derselben Stellungnahme: „Tino Chrupalla konnte mittlerweile Ingolstadt verlassen und wird sich in weiterführende ärztliche Behandlung begeben. Die Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln wegen des Verdachts der Körperverletzung gegen Unbekannt.“ – Eine Aufbauschung des Vorfalls kann wohl kaum daraus abgeleitet werden. Insofern kann man den Vorwurf des Wahlkampfmanövers von Seiten der CSU wohl nur als schäbig bezeichnen – um nicht bairisch zu sagen, als „hinterfotzig“; und ebenso, eine solche Verleumdung in den Schlagzeilentext mit hineinzunehmen.

Inkonsistenzen: Schlamperei oder Manipulationsabsicht?

Konterkariert wird der Schlagzeilentext durch den folgenden Absatz:

„Die Ermittlungen nach einem Vorfall bei einer Wahlkampfveranstaltung mit AfD-Chef Tino Chrupalla in Oberbayern dürften laut einem Polizeisprecher noch mehrere Tage dauern. Ergebnisse von Chrupallas Blutproben und Tests an seiner Kleidung würden diese Woche wohl nicht mehr vorliegen, sagte der Polizeisprecher. Es würden auch noch weitere Zeugen vernommen.“ – Immerhin wird also noch ermittelt, und sogar noch über mehrere Tage. Das relativiert die Aussage, nichts deute auf einen Angriff gegen Chrupalla hin, schon beinahe in das Gegenteil. Die eigentliche Sachlage scheint zu sein, dass die Ermittler noch keine hinreichenden Erkenntnisse über einen etwaigen Angriff hatten. Hätte man ja auch im Anfangstext schreiben und entsprechend zurückhaltend bewerten können. Offenbar wollte man das aber nicht.

Dass dagegen die Ergebnisse des Bluttests erst nach dem Wahlsonntag vorliegen sollen, erscheint mir als Laien, der Standardbluttests beim Hausarzt mit Auswertungen am Folgetag kennt, plausibel. Denn in diesem Fall weiß man ja nicht, wonach man genau suchen soll; da sind sicher Tests in Speziallaboren zu erwarten mit entsprechenden Verzögerungen.

Andererseits: So ein bisschen weiß man vielleicht schon, wonach man suchen sollte, was aber vielleicht dennoch nicht zu finden ist. Denn Attacken durch sogenanntes „Needle-Spiking“ – wobei hier nicht der mRNA-Schlonz gemeint ist, sondern unerwartete Stiche mit Nadeln gegen Ahnungslose – sind durchaus kein unbekanntes Phänomen, sondern als Geschehnisse in mehreren europäischen Ländern bei Veranstaltungen und Tanzclubs bekannt (siehe als Beispiel untenstehende Verlinkung). Auch in Deutschland. Muss man aber weder als bayerische Polizeiermittler noch als Innenminister, und schon gar nicht als „Tagesschau“ wissen. Zumindest bei letzterer meine ich das durchaus nicht ironisch, denn ein Redakteur kann ja tatsächlich nicht alles wissen, was ein professioneller polizeilicher Ermittlungsapparat auf dem Schirm haben sollte.

Regierungserklärung nimmt ein Drittel des vorgeblichen Nachrichtentexts ein

Was ein Redakteur allerdings wissen und merken sollte: Wenn sein Nachrichtenbeitrag zur Regierungserklärung wird, wie das im letzten Drittel des „Tagesschau“-Artikels der Fall ist, in dem nur der Innenminister zitiert wird. Das wäre noch in Ordnung, wenn er sich als Dienstherr der Polizei in sachlicher Weise zum Ermittlungsstand äußern würde. Doch unter der Überschrift „Infamer Versuch, Kapital zu schlagen“ findet sich zunächst folgender Text:

„Bayerns Innenminister Joachim Herrmann machte der AfD schwere Vorwürfe. Es sei erschreckend, ‚wie infam und hinterfotzig die AfD im Landtagswahlkampf versucht, aus den Vorfällen bei ihrer eigenen Klientel Kapital zu schlagen, ohne die Ermittlungen abzuwarten‘, kritisierte der CSU-Politiker.“ – Sagt der „CSU-Politiker“, ohne die Ermittlungen abzuwarten, angesichts der durchaus zurückhaltenden AfD-Pressemitteilungen, und obwohl er gleichzeitig Innenminister und Dienstherr der bayerischen Polizei ist, die noch ermittelt. Vor vielleicht 20 Jahren, als der staatliche Anspruch in diesem Land wenigstens noch etwas oberhalb einer korrupten Bananenrepublik lag, wären diese Sätze gleichbedeutend mit einer Rücktrittserklärung gewesen, und sogar der eine oder andere Staatsfunkredakteur hätte das gemerkt. Denn das ist klarer Amtsmissbrauch. Solche Sätze kann selbstverständlich CSU-Politiker Hans Dampf aus der zweiten Reihe und ohne Mitglied der Staatsregierung zu sein als Wahlkampfmeinung von sich geben, aber nicht der Innenminister im Amt. Ja, geht’s eigentlich noch?

Weiter heißt es am Ende: „‚Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln weiter mit Hochdruck‘, sagte Herrmann ebenfalls. Dabei gelte es auch, gesichertes Beweismaterial auszuwerten.“ – Aha, es wurde also Beweismaterial gesichert, das es auszuwerten gelte. Ist ja interessant. Der österreichische Publizist und Politiker Gerald Grosz, der bei dem Vorfall in Ingolstadt etwas abseits zugegen war, ohne ihn direkt beobachten zu können, spricht in einer Videomitteilung von einer „circa zwei Zentimeter großen“ Nadel, die gefunden und „von der Spurensicherung“ sichergestellt worden sei. Bin gespannt, ob von dieser in den nächsten Tagen noch die Rede sein wird.

Kein Hinweis auf offenkundigen Interessenkonflikt

Eine Wahlkampf-Regierungserklärung als Teil einer vorgeblichen Nachrichtenmeldung, und nicht einmal ein einordnender redaktioneller Hinweis zum Interessenkonflikt zwischen lauthals wahlkämpfendem CSU-Politiker und Dienstherr der Ermittlung: Das ist der Zustand der „Tagesschau“. Etwas subtiler angebrachte Propaganda hätte ich schon erwartet. Ich fürchte, dazu ist die Qualität nicht mehr vorhanden.

Während ich diesen Beitrag abschließe, melden die Hochrechnungen zur bayerischen Landtagswahl einen leichten Verlust der CSU auf nun 36 Prozent, und man muss schon in das Jahr 1950 zurückgehen, um ein noch schlechteres Wahlergebnis zu finden. Hubert Aiwanger nimmt in seinem Wahlkreis der CSU das Direktmandat ab. Die „Fortsetzung der Koalition“ – allein die Formulierung eines solchen Ziels wäre für einen bayerischen Ministerpräsidenten noch vor 20 Jahren gleichbedeutend mit dem politischen Karriereende gewesen – hat Söder erreicht; doch auf diesem Niveau ist das Geschäftsmodell der CSU als Staatspartei und zuverlässiger Postenlieferant für die Köpfe der duldenden Gefolgschaft kaum noch tragfähig. Der hier untersuchte Tagesschaubeitrag und andere Berichte und Kommentare zum Angriff auf Chrupalla hatten zu dem Ergebnis genauso wenig beigetragen wie zu dem der AfD als nun voraussichtlich zweitstärkste Kraft noch vor Freien Wählern und Grünen. Wahlbeteiligung noch nicht bekannt. Ein Innenminister Herrmann kann wieder ins Amt gesetzt werden, denn er hat das geliefert, was man von ihm erwartet, nämlich sein Amt als Parteisoldat auszuüben, nicht nur in diesem Fall. Niemanden interessiert das sonst. Auch der Staatsfunk wird weiter liefern – es ist sein Auftrag.

Quellen:

Kein schnelles Ende der Chrupalla-Ermittlungen (tagesschau.de)

Stellungnahme zum Zustand des Bundessprechers Tino Chrupalla (afd.de)

Neue Erkenntnisse zum Vorfall in Ingolstadt (afd.de)

Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Nadelattacken in Clubs (20min.ch)


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