Freiheitsespresso IX: Deutschland – (k)ein Land der Ideen
Macht und Moralparolen statt Freiheit
von Michael von Prollius (Beendet)
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„Ideen sind unser wertvollster Rohstoff, ein Garant für eine lebenswerte Zukunft.“ Das steht auf dem Internetauftritt von „Deutschland. Land der Ideen“, eine Standortmarketing-Initiative anlässlich der WM 2006.
Wie ist es um den Standort und vor allem um die Ideen bestellt? Das ist nicht leichthin zu beantworten, wenn man nicht Gefahr laufen möchte, lediglich eine vorgefasste Meinung zu bestätigen. Fangen wir mit dem einfacheren Sachverhalt an: Die Performance der deutschen Fußballnationalmannschaft war bei der WM nahe am Sommermärchen. Es folgten der Weltmeistertitel 2012 und 2017 noch ein Confed-Cup-Sieg. Dann implodierte die Mannschaft, und der deutsche Fußball kann seitdem international nicht mehr mithalten.
Der deutsche Wirtschaftsstandort gilt in vielerlei Hinsicht als unattraktiv. Mangelhafte Infrastruktur, überbordende Bürokratie, zu hohe Energiekosten, zu hohe Steuern und Abgaben, zu wenig Arbeitsstunden und fehlende Fachkräfte gehören zu den Problemen, die an dieser Stelle nicht weiter betrachtet werden. Es soll vielmehr um die Ideen gehen.
Ein aktueller Eindruck, wahrgenommen beim diese Woche stattfindenden Festival of Lights in Berlin mit dem Motto „Colors of life“: Deutschland kann in puncto Ideen, Kreativität und Ausdruck nicht mithalten mit Bulgarien, Japan, Iran – Segal Media Iran hat eine sensationelle Lichtshow auf das Schloss Charlottenburg projiziert. Stattdessen moralische Schlagworte auf dem Bebelplatz an der Oper unter den Linden („Colors of Diversity“) und als einzige Nation eine bizarre Geschichte, wenig ansehnlich, auf das Hotel de Rome – dafür preisgekrönte Ökowarnung.
Was gibt es mehr als den subjektiven Einzeleindruck an einem Abend? Die Mehltau-Analogie kursiert seit rund einem Dutzend Jahren. Die Sklerose-Diagnose auch. Helmut Krebs publizierte das Buch „Sklerose. Leitbilder und Ideologien einer alternden Gesellschaft“ bereits 2015 in der Edition Forum Freie Gesellschaft. Bundeskanzlerin Merkel bog von der Bierdeckel-Steuerreform und der propagierten Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft wenige Jahre nach dem Leipziger Parteitag 2003 noch im Zeichen der Sozialen Marktwirtschaft scharf links ab ins interventionistisch-bürokratische Lager.
Ein paar empirische Hinweise: Was sagen die Patentanmeldungen? 2022 waren das immerhin 57.214, aber der Trend geht seit 2018 um 16 Prozent abwärts. Nun gibt es üblicherweise Wellenbewegungen. Der Anteil der Patente pro 100.000 Einwohner zeigt für die Bundesländer, was die Hauptstadt draufhat: 13 – im Vergleich zu 121 in Baden-Württemberg und 45 im Bundesdurchschnitt. Mit dem Hauptstadtumzug kamen die üppig versorgten Beamten, und die Wohnungen wurden knapper, nicht zuletzt durch enormen Zuzug und implizite Baustopps, für die die Politik mit ihren Entscheidungen sorgte. Keine gute Idee. Im internationalen Vergleich steht Deutschland 2022 immerhin an zweiter Stelle nach den USA mit Patenten, ist aber das einzige Land in den Top Ten, dass einen Rückgang verzeichnet und das mit erheblichen 4,7 Prozent. Es sind nicht allein die Ausgaben, auch die Ideen fehlen.
Im Global Innovation Index ist Deutschland 2021 auf Platz zehn abgerutscht. Es gibt zu wenige Unternehmensgründungen, insbesondere auch Spin-offs aus Universitäten. Nur 4,8 Prozent der 18- bis 64-Jährigen wollen sich das in Deutschland antun. Viel zu bürokratisch. Bedenklich: Die Anzahl der Existenzgründungen sinkt im Zeitraum 2012 bis 2022. Zugleich deuten Umfragen an, dass die nachrückende Generation am liebsten in den Staatsbürokratien arbeiten möchte.
Ein weiterer Indikator ist das Wirtschaftswachstum. Deutschland wächst nur mit einem Minus davor. In den letzten zehn Jahren waren es immerhin 1,6 Prozent pro Jahr reales Bruttoinlandsprodukt – eine problematische Größe. Subjektive Einschätzungen können als Fingerzeig dienen. Ernst & Young veröffentlichte im Januar 2023 eine Konsumentenumfrage. Die relativ meisten befragten deutschen Bürger sagen, ihr Lebensstandard habe sich verschlechtert (38 Prozent), und nie zuvor erwarteten mehr Befragte eine sich weiter verschlechternde finanzielle Situation (41 Prozent). 65 Prozent gehen sogar von einer sich verschlechternden gesamtwirtschaftlichen Entwicklung aus. Besonders bemerkenswert: Kaum jemand fürchtet um seinen Arbeitsplatz. Ein Teufelskreis.
Meine Hypothese: Wir haben einen fetten, keinen fitten Staat. Wir erleben Arbeitssicherheit und Lebensstagnation. Über die Verhältnisse leben geht stets mit Geldwertverlust und Substanzverzehr einher. Wir leben in einer Anrechte-Gesellschaft mit bürokratischen Zuteilungen. Das bedeutet Privilegien im Zuge der Wählerbewirtschaftung und Abhängigkeit von der Gunst derjenigen, die aus den Fleischtöpfen in die Tröge austeilen – ohne seine Mahlzeiten aus eigenem Zutun beeinflussen zu können. Die untere Mittelschicht kann ihren Lebensstandard aus eigener Kraft nicht mehr verbessern. Mit Roland Baader: Was vorgefressen wurde, muss nachgehungert werden. Nur nicht oben.
Gibt es ein strategisches Problem und eine Lösung? Matt Ridley, ein britischer Journalist, Sachbuchautor, Unternehmer und Adeliger (Viscount), hat ein lehrreiches Buch über Innovationen geschrieben. Eine zentrale Botschaft lautet, dass Innovationen eines mehr alles andere benötigen: Freiheit. Freiheit zum Austausch, zum Experimentieren, Freiheit zum Vorstellen, Investieren und Scheitern, Freiheit von Restriktionen und von (vorschnellen) Konsumenten.
Innovationen entstehen, sobald Menschen frei denken, experimentieren und spekulieren und wenn sie miteinander handeln können. Innovationen entstehen dort, wo Menschen relativ wohlhabend sind und nicht verzweifelt. Innovationen entstehen überwiegend in Städten und benötigen Investitionen. Innovationen sind der wichtigste Wohlstandstreiber, und sie verändern unser Leben vor allem dadurch, dass sie uns in die Lage versetzen, füreinander zu arbeiten.
Also, weg mit dem Moralismus, her mit der Freiheit. Bürokratieabbau durch ersatzloses Streichen. Das wird indes der große Hofstaat nicht wollen, der Deutschland im Griff hat. Denn das sind die Leute, die auf Macht spezialisiert sind und keine Ideen haben. Wer packt die Reformen an?
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