07. Januar 2024 07:00

Freiheitsespresso XXI Vom Wert der Frage

Ein Lob des „?“ und ein Infragestellen des „!“ – verbunden mit der Staatsfrage

von Michael von Prollius (Beendet)

von Michael von Prollius (Beendet) drucken

Artikelbild
Bildquelle: sdecoret / Shutterstock Wer, wie, was, wieso, weshalb, warum – wer nicht fragt, bleibt dumm: Das haben wir in der Sesamstraße schon als Kind gelernt

Wir leben in einer Zeit der Ausrufezeichen. Lagerbildung. Likes. Statements. Polarisierung. „So ist es!“ statt „Ist es so?“.

Fragen fördern nicht nur die Erkenntnis, sie sind ein geradezu subversives Mittel. Sie stellen infrage. Sie erweitern die Perspektive. Nichts ist mehr alternativlos. Fragen eröffnen, statt zu schließen, statt Eindeutigkeit herrschen zu lassen. Mit welcher Frage würden Sie sich schwertun? Welche Frage wollten Sie schon lange jemandem stellen, haben es aber bisher nicht gewagt?

Fragen erscheinen unzeitgemäß zu sein. Wir brauchen heute Klarheit, Eindeutigkeit, Führung aus der Krise, Reformen. Wirklich? Max Frisch war mit seinen Fragebögen seiner Zeit voraus. Fragen stehen am Anfang des Problemverstehens. Wer verstehen möchte, kommt um Fragen nicht herum. Zugleich präzisiert eine Frage das Erkenntnisinteresse.

Werden in politischen Belangen zu wenige Fragen gestellt? Und leben wir in einer Zeit, in der wir viel mehr Fragen stellen und Antworten finden können, als je zuvor möglich war? Antworten auf Bekanntes, mitunter neu kombiniert, gibt GPT-4. Welche Frage sollten wir uns als Gesellschaft stellen oder sollte einer Gesellschaft keine Frage gestellt werden? Ich ertappe mich im Anschluss an über 300 Fragen nach der Lektüre von Max Frisch: Fragenbogen selbst Fragen zu stellen, da ich noch in Fragen denke.

Angenehm erscheint mir, dass sich keineswegs alle Fragen für Antworten eignen und nach Auffassung von Max Frisch viele nicht ernsthaft zu beantworten sind. Das sagt einiges aus, sagt es doch, oder? Und worüber?

Drei ausgewählte, unvermutete Beispiele aus den Fragebögen, die Ende der 1960er Jahre entstanden sind:

„Erklären Sie, wieso die Staatsbank bestimmt, wie viel das Geld wert ist, das Sie als Lohn erhalten und gespart haben, und zu wessen Gunsten sich Ihre Ersparnisse plötzlich verflüchtigen?“

„Überzeugt Sie Ihre Selbstkritik?“

„Gibt es Feinde, die Sie insgeheim zu Freunden machen möchten, um sie müheloser verehren zu können?“

Mit Blick auf Freiheitsfreunde erscheinen mir nach wie vor einige Fragen angebracht. Ist es hilfreich, freiheitliche Lagerbildung zu betreiben, dadurch, dass implizit und oder explizit klar ist, was noch toleriert wird, grundsätzlich und innerhalb des Freiheitslagers? Wo verläuft die Grenze? Welche Rolle spielen die Ausgegrenzten in der weiteren politischen Auseinandersetzung? Sollen sie a) ignoriert, b) bekämpft, c) bekehrt, d) am liebsten einer Gehirnwäsche unterzogen werden?

Viel Kritik und viele Auseinandersetzungen drehen sich um den Staat. Eine Position lautet kurzgefasst: Der Staat ist das Problem, kein Staat die Lösung. Fragen wir: Was würde passieren, wenn die EU und die Bundesregierung, die Regierungen der Bundesländer und die kommunalen Verwaltungen erklären würden, dass sie zum 1. Januar 2025 ihre Arbeit dauerhaft einstellen? Das ließe sich vergleichen mit Ayn Rands Idee eines Streiks der Unternehmer, hier nur als fortwährende Regierungslosigkeit der bis dato herrschenden Institutionen. Was wären konkrete Folgen hinsichtlich der bisher übernommenen Aufgaben? Würde jemand an deren Stelle treten wollen und können? Wie würden das erste Halbjahr 2025 aussehen? Welche politischen Organisationsformen würden sich anschließen? Würde das friedlich zugehen? Würde Deutschland besetzt werden? Würden sich den deutschen Regionen Nachbarstaaten anschließen? Und wo würden Sie sich im ersten Halbjahr aufhalten? In welchen Lebensumständen?

Nein! Nicht jede Form der Freiheitsidee hat Aussicht auf Erfolg. Was die Staatsfrage und politische Theorien betrifft, so klafft manche Lücke zur realen Welt. Das Nichtaggressionsprinzip ist Teil einer solchen politischen Theorie: wünschenswert, aber nicht nur aktuell in vielen Teilen der Welt schwerlich anwendbar. Die Wahrscheinlichkeit, in Deutschland realisiert zu werden, würde ich derzeit auf maximal ein Prozent taxieren – also nahezu ausgeschlossen. Was schließe ich daraus? Weniger Kathederlibertarismus, mehr Praxistauglichkeit. Hartes Brot, aber grau ist bekanntlich alle Theorie.


Sie schätzen diesen Artikel? Die Freiheitsfunken sollen auch in Zukunft frei zugänglich erscheinen und immer heller und breiter sprühen. Die Sichtbarkeit ohne Bezahlschranken ist uns wichtig. Deshalb sind wir auf Ihre Hilfe angewiesen. Freiheit gibt es nicht geschenkt. Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit.

PayPal Überweisung Bitcoin und Monero


Kennen Sie schon unseren Newsletter? Hier geht es zur Anmeldung.

Artikel bewerten

Artikel teilen

Kommentare

Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.

Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.