Selbstbestimmung: Das Gegenteil von Freiheit ist Angst
Der Schlüssel zur Kontrolle von Menschen und das Gegenmittel
von Christian Paulwitz drucken
Die spontane Antwort auf die Frage, was der Gegenpol zum Begriff „Freiheit“ sei, wird bei den meisten Menschen „Sklaverei“ lauten. So wie es auch George Orwells Roman „1984“ nahelegt, in dem die Partei zur Unterwerfung des Einzelnen zum Gehorsam den logischen Widerspruch zu einer Propagandaformel macht, die von jedem zu verinnerlichen ist: „Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke.“ Doch das ist nicht ganz konsistent, denn Freiheit gibt es nur für das Subjekt. Freiheit geht von dem Individuum selbst aus; sie kann nicht einem anderen gewährt werden, denn aus der Gewährung von Freiheit folgt gleichbedeutend ihre Verneinung. Freiheit ist wesentlich unterschiedlich zur bloßen Abwesenheit von unmittelbarem Zwang. Freiheit kommt von innen und ist vielmehr eine Haltung des Individuums, für sich und sein Handeln Verantwortung zu übernehmen. Menschen können die Unfreiheit trotz Abwesenheit von unmittelbarem Zwang wählen – und sie tun das nicht selten –, doch selbst unter der Einwirkung von unterdrückendem Zwang gibt es in der Regel immer noch einen Spielraum für eigenverantwortliches Handeln.
Sklaverei ist daher nicht wirklich das Gegenteil von Freiheit. Sklaverei kennt einen Handelnden – den Unterdrücker – und ein Objekt des Handelns – den Unterworfenen. Es ist äußere Einwirkung einer handelnden Person notwendig; innere Aspekte, die jemanden die Haltung eines Sklaven annehmen lassen, können hinzukommen. Aber ohne den Unterdrücker gibt es keine Sklaverei. Allgemeine Zwänge, die in der Existenz des Menschen in der realen Welt begründet sind, wie die Notwendigkeit von Nahrung, Schlaf und Schutz vor Kälte, haben nichts mit Sklaverei zu tun und dürfen auch nicht als Bedrohung der Freiheit missverstanden werden, wie das Sozialisten gerne tun, um Zwang und Sklaverei zu rechtfertigen.
Das echte Gegenteil von Freiheit muss ebenso im Inneren des Menschen gesucht werden: es ist die Angst. Wer Angst hat, ist nicht frei. Angst ist ein Konzept – wie auch die Freiheit. Angst an sich ist nicht generell negativ: Sie hat eine Funktion, einen Nutzen, der zum Überleben wichtig ist, sonst wäre sie nicht evolutionär entstanden. Doch der Nutzen von Angst liegt in der akuten Ausnahmesituation, in der existentiellen Bedrohungslage, die die Entscheidung erfordert: Kämpfen oder fliehen. In dieser Situation gibt es kein Nachdenken, nur die instinktive Entscheidung und ihre unmittelbare Umsetzung, die die Mobilisierung aller Kräfte nach sich zieht, um zu überleben. Mehr Energie wird zugänglich, als man unter normalen Umständen zur Verfügung hätte, auf Kosten weniger unmittelbar notwendiger Funktionen. Adrenalin wird in den Körper gepumpt, Schmerz spielt keine Rolle, und in der Flucht oder beim Kampf erfolgt die Entladung. Das ist der natürliche Weg, der unter zivilisierten Verhältnissen glücklicherweise selten erforderlich ist.
Angst außerhalb der akuten Bedrohungssituation ist unnatürlich, ja wird selbst zur Bedrohung. Das Instinkte steuernde Stammhirn übernimmt die Kontrolle, und der Weg zu vernunftbasiertem Denken wird blockiert. Adrenalin kann nicht abgebaut werden und wirkt wie eine Droge. Der freie Wille findet keinen rationalen Anker und kann sich nicht erheben, er ist offen für fremde Kontrolle durch Reizung der Instinkte. Abwägende, verantwortungsvolle Entscheidungen sind nicht möglich. Darum gewinnt Macht über Menschen, wer ihre Angst steuern kann. Sie ist der Schlüssel zur Kontrolle über Sie – passen Sie gut auf ihn auf! Denn wenn Sie die Angst einmal ergriffen hat, wird leicht der zum Feind, der Ihre Angst nicht teilt oder sie Ihnen gar nehmen will. Im natürlichen Angstprogramm – kämpfen oder fliehen – ist die Angst für Sie lebensnotwendig; wer sie Ihnen nehmen will, wird zum Feind. Sie sind nicht frei. Angst schließt Freiheit aus.
Erst die Virusangst, dann der Krieg in der Ukraine und nun in Israel und im Gaza. Barbarische Gewalt. Menschen in Not – nicht die Kämpfer, sondern Menschen wie Sie und ich, die einfach in Frieden ihr Leben leben wollen. Die Bilder dringen auf uns ein und schaffen eine persönliche Betroffenheit, zu deren emotionale Komponenten nicht zuletzt die Angst gehört. In unseren Wohnzimmern, unseren privaten Rückzugsräumen fühlen wir die Hilflosigkeit, die Ohnmacht, die damit auch zu einem Teil unseres Lebens wird. Kämpfen oder fliehen? Wut und Empörung sagen uns: Kämpfen! Partei ergreifen! Und genau das sollen wir ja tun. Bilder mögen sogar Ausschnitte der Realität widerspiegeln; sie werden produziert, damit wir sie sehen, Teil des Konflikts werden, Angst haben, diese weitertragen, indem wir die Bilder weiterverbreiten, weitere Menschen emotional einsteigen, aufhören zu denken und unfrei werden, kontrolliert werden. Wenn schon selbst nicht kämpfen, dann doch andere kämpfen lassen.
Doch wer sind die Lager, für die wir Partei ergreifen sollen? Staaten und organisierte Terrorgruppen – nicht dass hier ein grundsätzlicher Gegensatz besteht. Ein Blick auf das Staatenspektrum sollte auch dem staatstreuen Bürger den fließenden Übergang deutlich machen, nicht selten auch Beispiele der Zusammenarbeit. Manchmal unterscheiden sich die Methoden der Macht- und Gewaltausübung deutlich, manchmal weniger. Offenkundig können wir in einem fernen Konflikt nicht kämpfen und finden keinen echten Feind, gegen den wir unsere Wut sinnvoll richten können; wir können nur andere anstacheln, einen Teil unserer Wut zu übernehmen, die dadurch dennoch nicht kleiner wird.
Also fliehen? – Ja, jedenfalls zeitweise, damit der Verstand sich anschließend wieder sammeln kann und den Gegner erkennt: den, der uns kontrollieren will. Es ist keine Ignoranz, sich bisweilen von der Angst-Nachrichtenflut zurückzuziehen und sich nur soweit auf sie einzulassen, wie man sie mit nüchternem Verstand verarbeiten kann. Im Gegenteil: Es ist ein Erfordernis der Verantwortung für uns selbst, die uns manchmal geradezu dazu zwingt, um nicht zum manipulierten Werkzeug für Machtinteressen zu werden. Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges – warum wird diese Einsicht immer wieder vergessen? Eigentlich stirbt sie regelmäßig bereits vor dem Krieg als Opfer der Politik, die Krieg mit anderen Mitteln ist. Die Narrative, die uns geboten werden, die uns beschwören und keinen Widerspruch dulden, sind bestenfalls lückenhaft, um uns zu manipulieren. Das gilt natürlich für alle Seiten. Wer dann nicht folgt, wird als Anhänger der Gegenseite geschmäht – als Anhaltspunkt reicht die abweichende Meinung – und moralisch unter Druck gesetzt. So erkennen wir unsere unmittelbaren Gegner, die respektlosen Gefolgschaftsforderer, die Feinde der persönlichen Freiheit. Und nun können wir ihnen auch entgegentreten: Mit den Mitteln des Verstands, ohne Angst, mit der Freiheit, die zu behaupten unser Anspruch ist.
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