22. Oktober 2023 08:00

Freiheitsespresso X Der Hofstaat

Über das alternativlose „Weiter so!“ der Mächtigen

von Michael von Prollius (Beendet)

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Bildquelle: Igor Bulgarin / Shutterstock Ein einziger (bürokratischer) „Operettenstaat“: Damals wie heute

„Deutschland wird zum Experten, sich selbst zu besiegen.“ schrieb der „Economist“ im August 2023 und fügte hinzu: „Bürokratie und strategische Fehler beginnen sich zu häufen.“

Der Ökonom Justus Haucap urteilte in „The Pioneer“ zur gleichen Zeit: „Es wird gar keine Rücksicht auf das, was notwendig ist für Deutschland, genommen. Persönliche Machtspiele sind offenbar wichtiger.“

Der Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler kritisierte wenig später die Bürokratielasten des Mittelstands anlässlich eines Besuchs bei einem Unternehmen in Ostwestfalen. Deren Geschäftsführer bezeichneten das Lieferketten- und das Hinweisgeberschutzgesetz als neue bürokratische Monster. Aus der Bürokratiepraxis: Bodenaushub könne nicht mehr in Esslingen, Baden-Württemberg, deponiert werden, sondern müsse nach Benelux transportiert werden. Recyclingmaterial werde auf Wunsch der Politik verstärkt beim Bauen eingesetzt, nicht aber bei staatlichen Aufträgen.

Deutschland hat ein Problem. Dieses Problem ist alt. Es existiert seit über 5.000 Jahren in dieser Welt. Schon die alten Ägypter kannten es: Die Rede ist vom Hofstaat.

Der Hofstaat, kurz bezeichnet als Hof, länger als Höfische Gesellschaft, umfasst die Personen, die ständig den Herrscher umgeben und Aufgaben für ihn wahrnehmen. In monarchischen Zeiten war der Herrscher der Fürst, und seine Familie, darunter der Prinzregent, bildete als herausgehobener Teil der Gesellschaft einen Teil der Führungselite. Die weitere Entourage besaß für ebenfalls herausgehobenes Personal Titel, die eine Nähe zum Herrscher anzeigten, darunter persönliche Ämter wie Mundschenk und Kämmerer sowie im Zuge einer Professionalisierung im 13. Jahrhundert der Hofmeister. Für stärkere Strukturen sorgten später Hofordnungen, die dem Herrschaftsanspruch Ausdruck verliehen und den Hofstaat an die Normen banden. Heute gehören zum Hofstaat, inspiriert durch David Graeber, unter anderem Lakaien, die dem Glanz der Vorgesetzten dienen, die Vorgesetzen selbst als moderne Thronsitzer, Propagandisten als Machtpropheten und Opportunisten.

Ritualisierte Herrschaftsformen gibt es in der Staatsbürokratie und in den Bürokratien von Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen. Hierarchische Funktionsbezeichnungen und explizite, vor allem aber implizite moderne „Hofordnungen“ gehören dazu. Das ist nicht nur in autoritären Regimen der Fall, wie die Untersuchung von Heike Görtemaker von Hitlers engster Entourage am Berghof mit Bediensteten, Regierungsvertretern, Militärs und Parteifunktionären als Ausdruck der Banalität des Bösen andeutet. In Unternehmen kann ein Indikator für Loyalität und Produktivität eine lange Präsenz sein, die Untersuchungen zufolge dort zu einem durchschnittlich höheren Gehalt führt. In Behörden arbeiten Mitarbeiter so an Beförderungen. Präsenz ist allerdings kein Rezept für Innovationen und auch keins für strategisches Denken. Hilfreicher ist ein Spaziergang.

Wer das Gebaren des Hofstaats selbst erlebt hat, einen Blick hinter die Kulissen erhascht oder sich intensiv informiert, der stößt auf eine Reihe von Eigenheiten. So agiert der Hofstaat nach eigenen Regeln. Leistung, Eignung und Befähigung sind die Kriterien, die der Hofstaat zwar hochhält, aber Zugehörigkeit durch Anerkennen und Verkörpern der Spielregeln, ferner Connections, Präsenz, Inszenierung sind essenziell. Der Hofstaat hat gegenüber Leistungsträgern einen enormen Vorteil: Die Kamarilla nutzt die Masse der Zeit für Machtpolitik, für das Netzwerken zu Machtzwecken. Henry Mintzberg, einer der renommiertesten Managementtheoretiker, hat bereits 1990 aufgezeigt, dass Manager den Großteil ihrer Arbeitszeit mit interner Machtpolitik verbringen, während ihr strategisches Planen weitgehend Folklore ist. Folglich können sachorientierte Leistungsträger, die Ideen haben und Innovationen schaffen, schon zeitlich nicht mit Hofstaatlern mithalten.

Grundsätzlich gilt, dass nur 20 Prozent der Mitarbeiter sehr engagiert in ihrem Job sind. Die Nicht-Engagierten verursachen durch Abwesenheit und geringe Produktivität Kosten in Höhe von 3.400 Dollar pro 10.000 verdiente Dollar – zumindest Gallup Research zufolge. Bei einem Unternehmen mit 250 Mitarbeitern und zwölf Millionen Dollar Gehaltszahlung pro Jahr summiert sich das auf über drei Millionen Dollar.

Problematisch wird es, sobald der Hofstaat Alternativen sabotiert. Das kann passieren, weil der Hofstaat in operative Bereiche vordringt, um Innovatoren als Gefahr für das Mittelmaß von Minderleistern und Maximalinszenierern auszuschalten. Die Ausbreitung des Hofstaats kann eine exponentielle Form annehmen. Dann wird alles andere sklerotisiert. Im 19. Jahrhundert versuchten Höfe, ihren Machtverlust mit besonderem Glanz zu kompensieren. Das Ergebnis war der Operettenstaat. Die Bürokratisierung aller Lebensbereiche lässt sich als Dominanz des Hofstaats begreifen.

In der Betriebswirtschaftslehre ist das Phänomen in einer anderen Perspektive gut untersucht. Die Rede ist von Kampfspielen, politischen Prozessen, Mikroprozessen, dem Gezerre hinter den Kulissen. Es gibt nur ein Gegenmittel: Transparenz, in Verbindung mit konsequentem Unterbinden.

Korruption, Nepotismus, Lobbyismus und Bad Governance beschreiben Ausprägungen eines Hofstaates, der zum Selbstzweck geworden ist. Mit Anthony de Jasay ist der Zweck des Staates ohnehin der Staat selbst. Das muss indes nicht sein. Es gibt in der modernen Staatenwelt Bedarf an einer professionellen Verwaltung. Diese erfordert gerade in Deutschland erhebliche Reformen. Vergleichsweise kleinere Staaten haben ihre Hausaufgaben gemacht. Modernisierung und Digitalisierung der Verwaltung sowie Staatsreform sind Begriffe, die in Deutschland zunehmend gebraucht werden, auch wenn der Gebrauchswert für den Bürger bisher kaum spürbar ist.


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