27. Oktober 2023 08:00

Staatsentstehung und -entwicklung – Teil 10 Der Freiheit eine Gasse!

Wege in die Freiheit

von Stefan Blankertz

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Bildquelle: alphaspirit.it / Shutterstock Freiheit wird uns nicht geschenkt: Sie muss stets von Neuem mühsam errungen werden

Gibt es angesichts der faktischen Mächtigkeit der Staatsgewalt und der Universalität, mit der an ihre segenreiche Notwendigkeit geglaubt wird, eine Aussicht auf freiheitliche Entwicklungen? Viele Freunde der Freiheit sind inzwischen überzeugt davon, dass die Mehrheit der Menschen bereit ist, sich der Gewalt zu fügen. Für sie geht es nur darum, Nischen zu finden, in denen sie persönlich so viel Freiheit wie möglich realisieren. Das sei ihr gutes Recht. Doch eine hoffnungsvolle Botschaft ist das nicht.

Auf der anderen Seite hat der leider ganz aus dem Blick geratene libertäre Theoretiker Christian Michel in einem grandiosen Vortrag auf einer Konferenz in Warschau Ende Juni 2008 erläutert „Why There Are So Few Libertarians and Why It Doesn’t Matter“. Seine (marxistische) These lautete, dass es völlig unerheblich sei, wie viele Libertäre es gebe, denn der Staat schaffe sich gleichsam automatisch ab, da er gegenüber der gesellschaftlichen Komplexität derart unterkomplex werde, dass er letztlich in der Funktionsuntüchtigkeit münde. Wenn es so kommt, umso besser. Ich habe schon damals mit neomarxistischer Skepsis eingewandt, dass das Beharrungsvermögen der Staatsgewalt vielleicht größer als erwartet sei. Vor allem aber befürchte ich, dass der Zusammenbruch bestehender staatlicher Strukturen dann nicht zu einer libertären, sondern zu einer autoritären (faschistischen) Entwicklung führen wird, sofern nicht genügend Libertäre darauf vorbereitet sind, die Chance zu ergreifen.

In Staaten mit parlamentarischer Demokratie und einer halbwegs intakten Meinungsfreiheit liegt die Gründung einer eigenen Partei nahe. Ich will nicht ausschließen, dass es historische Situationen gibt, in denen eine libertäre Partei Sinn macht. Aber als Plattform, um die Botschaft der Freiheit zu verbreiten, eignet sich kaum etwas weniger als eine Partei. Der Aufbau einer Partei kostet viel Kraft, Zeit und Geld – Ressourcen, die besser eingesetzt werden können. Sobald eine solche Partei auch nur etwas Erfolg haben sollte, wird sie sofort in das System der Staatsgewalt integriert. Der erste Schritt ist die Finanzierung durch die Erstattung von Wahlkampfkosten, der nächste die öffentliche Förderung einer Stiftung. Sobald die libertäre Partei in Parlamenten vertreten ist, muss sie sich ständig in Abstimmungen zwischen Alternativen positionieren, von denen für sie nach libertären Grundsätzen keine infrage kommt.

Eine andere libertäre Strategie ist das Engagement in bestehenden Parteien, in denen man freiheitliche Ansätze erblickt, die man stärken will. So etwa in der (kurzen) Phase des Erfolgs von neoliberalen Politikern. Doch die Erfahrung hat gezeigt, dass die libertären Unterstützer von neoliberalen Politikern durch den Gruppendruck ihrer jeweiligen Parteien dazu genötigt wurden, Positionen zuzustimmen und sie öffentlich zu verteidigen, die ihren Überzeugungen entgegenstanden. Heute geht die Tendenz dahin, dass Libertäre meinen, konservative (oder in der gegenwärtigen Nomenklatur: rechtspopulistische) Parteien seien wenigsten geeignet, Schlimmeres zu verhindern. Diese sogenannten rechtspopulistischen Parteien haben noch weniger libertäre Substanz als der ältere Neoliberalismus. Sie zu unterstützen, schleppt jede Menge Positionen mit sich, die die Staatsgewalt effektiv intensivieren. Die Vermischung des libertären Standpunkts der Freiheit mit diesen Positionen ist dazu geeignet, dem Ruf der Freiheit schweren Schaden zuzufügen – und hat es bereits getan.

Wofür könnten meines Erachtens die Ressourcen von Freunden der Freiheit, seien sie nun klein oder groß, besser eingesetzt werden? In seinem legendären Manifest „For A New Liberty“ von 1973 schreibt Murray Rothbard, der Begründer des modernen Libertarismus, die erste Aufgabe des Libertären sei die „Schulung“ (education). Das hört sich nicht spektakulär an, ist aber notwendig, um eine solide Grundlage zu schaffen. Mit Schulung ist nicht Propaganda gemeint, nicht die Strategie, alle Aussagen möglichst populär, möglichst einfach und möglichst mundgerecht zu servieren. Ein tieferes Verständnis für die ökonomischen und gesellschaftlichen Abläufe ist geeignet, dem Populismus der herrschenden Meinung (Meinung der Herrschenden) entgegenzutreten und ihm seinen rhetorischen Erfolg zu entziehen. Über das revolutionäre Bewusstsein werde ich im nächsten und abschließenden Teil dieser Serie schreiben.

Daneben scheint mir besonders wichtig, eine andere Art des Aktivismus als die Unterstützung von politischen Parteien oder auch von Formen des Protests wie Demonstrationen zu etablieren. Der Staat hat so viele Bereiche des alltäglichen Lebens fest im Griff, dass viele Menschen sich gar nicht mehr vorstellen können, wie es möglich sein soll, sie anders als mittels Gewalt zu organisieren. Handelsbeziehungen und Produktionsstätten außerhalb des Konnexes der Staatsgewalt gehören dazu ebenso wie das Angebot nichtstaatlicher Sicherheitsdienstleistungen und Schlichtungsstellen, insbesondere auch nichtstaatliche gegenseitige Hilfe bei Krankheit und Not sowie schließlich als weiteres wichtige Beispiel die nichtstaatliche Organisation von Bildung (Homeschooling, freie Schulen). Digitale Währungen haben sich in den letzten Jahren zu einer wichtigen Konkurrenz zu den staatlichen Währungen mit Inflationstendenz herausgebildet. (Aber Achtung: Zurzeit arbeitet die Staatsgewalt darin, sich die digitale Form der Währung nutzbar zu machen und sich einzuverleiben.) Für alle diese Bereiche gibt es zahlreiche Ansätze. Sie müssen nicht neu erfunden, sondern intensiviert und vor allem mit dem Selbstbewusstsein ausgestattet werden, der bessere Weg zu sein als der über Staatsgewalt. (Diese Strategie firmiert unter dem Begriff „Agorismus“, einen Begriff, den der unvergessene Samuel Edward Konkin III prägte.)

Bei einer hinreichenden Größe und Stärke der libertären Bewegung ist auch der Angriff auf eine der zentralen Säulen der Staatsgewalt denkbar, der Angriff auf die Steuereinnahmen. Steuerverweigerung ist als individuelle Aktion gefährlich, weil die Staatsgewalt sie mit besonderer Brutalität verfolgt, und verlangt auch größte Geheimhaltung. Als Aktion einer hinreichend großen Protestbewegung eignet der Steuerverweigerung eine Kraft; auch in historischer Perspektive zeigt sich das.

In seiner besten Zeit erarbeitete Murray Rothbard drei solide strategische Grundsätze:

Erstens: Zusammenarbeit mit allen Bewegungen, die echte Reduzierungen der Staatsgewalt anstreben, wie geringfügig diese auch sein mögen. Mit echten Reduzierungen ist gemeint, dass nicht etwa die Staatsgewalt in einer Hinsicht reduziert, in einer anderen jedoch ausgebaut wird (etwa rechter Populismus: weniger Sozialstaat, aber noch mehr Polizeigewalt; linker Populismus: weniger Polizeigewalt, aber noch mehr Sozialstaat).

Zweitens: Obwohl kleinste Schritte in Richtung eines (echten) Staatsabbaus zu begrüßen und zu forcieren sind, so wäre es falsch, einen Stufenplan festzulegen. Die Bewegung muss immer bereit sein, auch einen schnelleren oder einen Abbau in einer anderen Reihenfolge zu unterstützen, falls eine dementsprechende Neigung in der Bevölkerung vorhanden ist.

Drittens: Bei dieser Zusammenarbeit muss deutlich werden, in welcher Hinsicht sie bestehen kann und wo Differenzen offen bleiben. Die Zusammenarbeit darf niemals dazu führen, die Agenda des Koalitionspartners zu übernehmen. Wenn der Koalitionspartner dies nicht aushält, gibt’s keine Zusammenarbeit.

Die bemerkenswerte Rede im Jahr 2008 von Christian Michel auf Youtube

Und meine damalige (neomarxistische) Antwort auf seine Thesen


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