Freiheitsespresso XI: Brücken bauen, Eigenheiten bewahren
Klar und konsequent in der Sache, verständnisvoll im Austausch
von Michael von Prollius (Beendet)
von Michael von Prollius (Beendet) drucken
Politik ist Konflikt. Unterschiedliche Interessen, Maßstäbe, Ziele und Werte treffen aufeinander. Idealerweise werden in einem Aushandlungsprozess gemeinsam vertretbare Ergebnisse erzielt – nicht nur für die Parteien, sondern vor allem für die von den Entscheidungen Betroffenen. Ideale Lösungen werden so nicht erzielt, aber mehr als Kompromisse sind im Alltag häufig nicht drin. Das erkannte auch Ludwig von Mises, nicht zuletzt durch seine wirtschaftspolitische Tätigkeit als „Chefökonom“ Österreichs. Mises unterschied treffend zwischen einer stimmigen Lehre und realpolitischen Abweichungen vom als Richtig erkannten. Angesichts divergierender Ansichten und Präferenzen sowie nicht planbarer komplexer Ordnungen (Katallaxie) ist vielfach unklar, wie die ideale Lösung zumindest verwickelter Probleme aussieht.
Die unterschiedlichen Präferenzen sind nicht zuletzt Ausdruck unterschiedlicher Weltanschauungen. Die drei wesentlichen politischen Lager hat der amerikanische Ökonom und frühe Internetunternehmer Arnold Kling in seinem kleinen Buch „Three Languages of Politics“ (Erstauflage 2013) einsichtsreich herausgearbeitet. Er macht drei bipolare Achsen aus, die als ideologische und moralische Positionen das politische Spektrum der USA kennzeichnen und darüber hinaus in anderen Ländern anwendbar sind. Dementsprechend denken die Sozialisten entlang der Achse Unterdrücker und Unterdrückte, die Konservativen entlang der Achse Zivilisation und Barbarei, die Liberalen entlang der Achse Freiheit und Zwang.
Die Achsen bergen einerseits einen Erkenntniswert bei der Betrachtung von Problemen und dem Verstehen der jeweiligen Weltsicht, andererseits weisen sie auf die Gefahr hin, die in der angenommenen Überlegenheit nur des eigenen Weltanschauens und der Abwertung der anderen Lager liegt. Beispielsweise kann der Libertäre Arnold Kling anhand der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung aufzeigen, dass die Sozialisten eine einsichtsreiche Perspektive bieten. Worauf Kling indes hinauswill: Die drei Stämme sprechen drei unterschiedliche Sprachen, kaum miteinander und politische Diskussionen dienen vor allem der Polarisierung, dem Abschließen des Denkens, statt von der Vernunft kritisch Gebrauch zu machen. Zu den Konsequenzen zählen unaufhörliche fruchtlose Debatten. Politik wird zur identitären Ersatzreligion.
Was kann das für Freunde der Freiheit bedeuten? Zunächst erscheint es mir mit Arnold Kling wichtig, unterschiedliche Sprachen zu kennen, um verstehen zu können. Das gilt nicht zuletzt, um die eigene Position etwas besser vermitteln zu können. Dann gilt es immer wieder auf Inseln der Freiheit und Freiheitsalternativen hinzuweisen. Anschließend lassen sich Brücken zu diesen heute weitgehend unliebsamen Freiheitsinseln bauen. Wichtig erscheint mir dabei eine gewisse Flexibilität, ohne labil zu werden, also ohne sich mit falschen Freunden in einer Vereinigung gemein zu machen oder eigene Prinzipien mit Falschem und mit nicht triftigen Schlüssen zu vermischen. Eine Stärke der Liberalen ist das Eintreten für Lösungen, die langfristig und für alle Menschen ein besseres Leben ermöglichen – ganz im Sinne von Hazlitts „Economic in one Lesson“.
Seit rund 3.000 Jahren bauen Menschen Brücken, um Bäche, Flüsse, Gräben, Täler zu überwinden und zwei Strecken miteinander zu verbinden. Von Seilen, Holz und Stein zu Beton und Stahl für unterschiedlichste Brückentypen, unter anderem Bogen-, Balken-, Fachwerk-, Hänge-, Schrägseilbrücken. Brücken verbinden zwei Gebiete miteinander, weil sich das lohnt. Über Brücken kann man gehen. Man muss aber nicht seine Lebensweise aufgeben und seine Gegner im eigenen Lebensumfeld dauerhaft aufnehmen. Auf Brücken kann man hinweisen. Gastfreundschaft kann angebracht sein.
Stefan Blankertz und ich haben eine Freiheitsbrücke gebaut, Trennendes zwischen Anarchisten und Liberalen identifiziert, auf jeweils eigene Fehler hingewiesen und Stärken der anderen Position in unseren „Vincent-Sessions“ benannt. Koalitionen wären historisch in Italien und Deutschland heilsamer für viele Menschen gewesen. Nationale Großmannssucht und zentralistisch organisierte Armut für die Massen im Namen der Gleichheit hätten weniger Unterstützung durch Liberale einerseits und Anarchisten andererseits gefunden.
Das Verhältnis zu Konservativen scheint mir realpolitisch weniger geklärt zu sein. Das kann an der „konservativen“ Menge von Menschen liegen und an einer „konservativen“ Wirtschaftsliberalität sowie an sogenannten konservativen Werten, die als private Moral viele Menschen teilen und mit einer freiheitlichen Ordnung auf der nichtpolitischen Ebene nicht kollidiert. Das sollte jedoch nicht über Etatismus, Dirigismus und Nationalismus als drei „konservative“ Gefahren hinwegtäuschen. Liberale werden hier regelmäßig weiter den Kürzeren ziehen.
Das Verhältnis zu Sozialisten scheint die intensivsten Brückenbauprojekte über reißende Flüsse und tiefe Gräben zu erfordern. Der Wagenknecht’sche Missbrauch ordoliberalen Vokabulars ist nur ein Fingerzeig. Beim Wort genommen, ist die Befreiung der Menschen durch den Liberalismus viel eher möglich als durch eine sozialistische Elite mit dem Gewaltmonopol.
Freiheit sollte für jeden anschlussfähig sein – wäre da nicht die Machtfrage. Und das ist als Staatsfrage eben die liberale Perspektive. Insofern leben wir in einer widersprüchlichen Epoche. Eigentlich, idealtypisch sind die Voraussetzungen vorhanden, damit jeder nach seiner Façon glücklich leben kann. Die Zeit von Zentralismus und „Immer größer“ könnte vorbei sein. Dennoch dominieren politisch „one size fits all“, Top-down, Standardisierung, Harmonisierung und Dominanz einer Ideologie. Was können Liberale tun und erreichen, um mehr Experimente und Wettbewerb zu erreichen? Mindestens Krisen weiter prognostizieren, die aus falscher Politik resultieren. Wer immer wieder Brücken baut und die Wahrheit sagt, kann gehört werden.
Kommentare
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