04. November 2023 22:00

Politik und Davidstern Mit zweierlei Maß

Nach Eklat des israelischen UN-Vertreters

von Thorsten Brückner

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Bildquelle: Middleeastmonitor.com Israelischer Politiker und Diplomat Gilat Erdan: Erschien im UN-Sicherheitsrat mit gelbem Stern

Können Sie sich noch an die Debatte über Davidsterne auf Demonstrationen gegen die Covid-Restriktionen erinnern? Medien und Politik hyperventilierten damals in Dauerschleife und überboten sich mit Forderungen, einer solchen „Verharmlosung des Holocausts“ mit der ganzen Staatsgewalt entgegenzutreten. Zur Erinnerung für alle, die es vergessen oder verdrängt haben: Demonstranten hatten sich auf verschiedenen Kundgebungen vereinzelt gelbe Sterne an die Brust geklebt, teilweise mit der Aufschrift: ungeimpft. Damit wollten sie auf die Tatsache aufmerksam machen, dass sie als Ungeimpfte unter 2G in einer ähnlichen Weise vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen wurden wie Juden zur Zeit des Nationalsozialismus. 

Boris Pistorius, damals noch niedersächsischer Innenminister, forderte die Polizei auf, das Tragen von Davidsternen „konsequent zu unterbinden und strafrechtlich mit allen Mitteln zu verfolgen“. Denn: „Es ist zutiefst verwerflich, dass einige Wenige die heutige Situation, in der die große Mehrheit der Bevölkerung sich in den letzten zwei Jahren solidarisch gezeigt und insbesondere durch Rücksichtnahme zur Eindämmung dieser Pandemie beigetragen hat, mit der Situation derer vergleichen, die durch die Nationalsozialisten brutal ermordet wurden.“ Ihm fehle dafür jedes Verständnis. Und weiter: „Demonstrierende, die derartige Symbole verwenden, haben den Bereich der legitimen Meinungsäußerung auf unerträgliche Weise verlassen, verharmlosen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft und verachten deren Millionen Opfer. Damit werden die Grenzen der grundrechtlich geschützten Versammlungs- und Meinungsfreiheit eindeutig überschritten.“

Auch der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl forderte ein hartes Durchgreifen gegen solch ein „abstoßendes und widerwärtiges“ Verhalten. „Da werden Opfer des Nationalsozialismus dafür missbraucht, Kritik an der Corona-Politik zu üben – das verhöhnt diese Opfer, das relativiert ihr unermessliches Leid, das ist verachtenswert.“ Ähnlich äußerte sich der bayerische Justizminister Georg Eisenreich, der ein Vorgehen gegen die Demonstranten mit dem Satz begründete: „Für Antisemitismus darf es keinen Platz in Deutschland geben.“ Eisenreich scheint nicht zu erkennen, dass er selbst Antisemitismus verharmlost, wenn er den unbegründeten Vorwurf als Munition gegen friedliche Demonstranten einsetzt.

Dass es den ob der Restriktionen teilweise bereits tief verzweifelten Menschen damals nicht um eine Verharmlosung des Nationalsozialismus ging, sondern um eine Betonung des eigenen Leids durch einen starken Vergleich, hätte jedem Menschen mit etwas gutem Willen klar sein müssen. Auch den Politikern und Staatsanwälten, die sich sogleich an die Verfolgung dieses Meinungsdelikts machten. Bei allem Verständnis für die Demonstranten hatte die Analogie natürlich schon ihre Schwächen. Juden wurden zu Bürgern zweiter Klasse, lange bevor sie im Herbst 1941 gezwungen wurden, in der Öffentlichkeit den gelben Stern zu tragen. Und anders als für verfolgte Juden, wäre es für Kritiker des Corona-Terrors ein Leichtes gewesen, sich in ein Flugzeug zu setzen und so den Hygiene-Schikanen zu entfliehen. Es gab genügend Länder, wo man zu jedem Zeitpunkt, auch mit einem niedrigen Budget den zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen grassierenden Wahnsinn hätte aussitzen können. Niemand hätte einen an der Ausreise gehindert, und mit dem deutschen Pass kommt man auch fast überall relativ einfach und unbürokratisch hin. 

Das offizielle Deutschland ist eben einfach aufgrund der deutschen Geschichte furchtbar sensibel, wenn es um historisch schiefe Vergleiche geht, die dazu geeignet sind, das Leid jüdischer Menschen zur damaligen Zeit zu relativieren, könnte man zugunsten des herrschenden Meinungskartells einwenden. Dass für israelische Politiker dabei andere Standards gelten als für Covid-Parias ist mir auch klar. Quod licet Iovi, non licet bovi. Wie geräuschlos allerdings der Auftritt des ständigen Vertreters Israels bei den Vereinten Nationen, Gilad Erdan, am vergangenen Montag hierzulande abgehandelt wurde, hat mich dann aber doch etwas überrascht. Erdan und seine Mitarbeiter, ganz auf Linie der israelischen Regierung, die die Hamas mit den Nazis und die strategische Bedrohung Israels mit dem Holocaust vergleicht, erschienen in New York mit gelben Sternen, die die Aufschrift „Never Again“ trugen. 

Auch bei seiner anschließenden Rede brannten Erdan alle Sicherungen durch. Zivile Opfer in Gaza dürfe man genauso wenig mit israelischen Opfern vergleichen wie deutsche zivile Opfer während des Zweiten Weltkriegs mit britischen. Die Forderung nach einem humanitären Waffenstillstand in Gaza ist für Erdan, als hätte man dies 1943 von der Sowjetunion gefordert, bevor diese Stalingrad zurückerobern konnte. Und auch gegen den Weltsicherheitsrat keilte Erdan. Hätte es diesen 1944 schon gegeben, hätte er sich wohl damit beschäftigt wie viel Strom und Treibstoff die Bürger Münchens noch hätten. 

Kritik aus Deutschland? Nur ganz vereinzelt. Und im Gegenteil: Ausgerechnet die Unionsfraktion im Bundestag solidarisierte sich mit der Davidstern-Aktion Erdans. „Angesichts der Schande, dass die Vereinten Nationen als Hüter der internationalen Ordnung und der Menschenrechte nicht in der Lage waren, den Hamas-Terror gegen Israel klar zu verurteilen, ist die Reaktion des israelischen Botschafters nur zu verständlich“, sagte deren außenpolitischer Sprecher Jürgen Hardt der dpa. Abgründe an Heuchelei.

Nazi-Vergleiche gehören zum Standard-Repertoire israelischer Regierungen. Das hat auch eine innenpolitische Funktion und dient der israelischen Regierung, ein ständiges Bedrohungsszenario aufrechtzuerhalten, mit dem nicht nur Wehrdienst, Reservedienst und Besatzung gerechtfertigt werden können. Bei den Grenzen vor dem Sechstagekrieg habe er sich an Auschwitz erinnert gefühlt, sagte einmal der frühere Außenminister Abba Ebban. Für die schmale, nur wenige Kilometer breite Stelle zwischen Mittelmeer und Grüner Grenze, etwa auf Höhe von Ra’anana und Kfar Saba, habe ich in Israel auch immer wieder die Bezeichnung „Auschwitz-Linie“ gehört – ungeachtet der Tatsache, dass sich die Westbank nun wirklich nicht als Aufmarschgebiet eignet und sich im Osten an die Grüne Linie nicht etwa Hamas-Stützpunkte anschließen, sondern jüdische Siedlungen wie Alfei Menashe, Karnei Shomron und Elkana. Sofort musste ich bei Erdans Auftritt auch an jenen irren Satz des damaligen israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin denken. Den Einmarsch im Libanon 1982 rechtfertigte der Friedensnobelpreisträger damals mit den Worten. „Glauben Sie mir, die Alternative ist Treblinka, und wir haben beschlossen, dass es kein Treblinka mehr geben wird.“ Stattdessen gab es dann Sabra und Schatila.

Ich muss gestehen, dass ich trotz aller Kritik im Detail deutlich mehr Verständnis für die Parallelen habe, die die Gegner des Covid-Terrors zum nationalsozialistischen Unrechtsstaat ziehen, als den Versuch einer Atommacht, sich mit wehrlosen Menschen zu vergleichen, die ihres Besitzes beraubt auf Zügen in Vernichtungslager deportiert wurden. Mich verwundert nicht, dass die schärfste Kritik an Erdan aus Israel kommt. Und zwar vom Leiter der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, Dani Dayan. Erdans Auftritt sei „eine Schande – sowohl für die Opfer des Holocausts als auch für Israel“. Der gelbe Stern symbolisiere das hilflose Ausgeliefertsein von Juden. Heute habe man „einen unabhängigen Staat und eine starke Armee“, so Dayan. Ein unabhängiger Staat, in dem sich ungeimpfte Bürger in den vergangenen Jahren zeitweise fühlen mussten wie Juden im Deutschland der 30er Jahre. Dayan hätte hier auch im eigenen Laden einiges an Aufarbeitung zu erledigen. Schließlich sperrte Yad Vashem zum Holocaust-Gedenktag 2021 selbst Shoa-Überlende ohne Grünen Pass von der alljährlichen Gedenkveranstaltung aus. 


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