07. November 2023 17:00

Bayerischer Landtag Die Problem-Macherinnen und -Macher

Blick in eine von der Realität abgekoppelte Kult-Blase

von Christian Paulwitz

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Bildquelle: Sandro Halank, Wikimedia Commons Problemverursacher, der sich als Problemlöser sieht: Aigner und Co. (CSU)

Dem Possenspiel der Wahl folgt das Brimborium der ersten Parlamentssitzungen. In Bayern werden die beiden jüngsten Abgeordneten für die erste Sitzung zu Protokollanten gemacht und sitzen dazu mit im Präsidium. Nur 22 Jahre sind diese jeweils alt – und beide Abgeordnete der AfD. Doch nicht über die Tragik wurde gesprochen, dass so junge Menschen in die womöglich prägende Gesellschaft eines derart zweifelhaften Kreises geraten, dessen erklärtes Ziel es ist, Politik durch Gesetze zu machen, also einen Rahmen zu schaffen, um Partikularinteressen gegen Individualinteressen mit Mitteln des Zwangs durchzusetzen. In der Umsetzung bedeutet das, auf Eigentum anderer Menschen zuzugreifen sowie deren Entscheidungen zu lenken. Übrigens hatte man einmal gerade in der AfD den Anspruch, als Abgeordnete Menschen ins Parlament zu bringen, die in ihrem Leben bereits einen Stand und produktive Lebenserfahrung hatten – als Gegenmodell zum Bild des Berufspolitikers, der vom Hörsaal direkt in den Plenarsaal zieht. Doch das ist auch in der AfD mittlerweile kein Thema mehr, erst recht nicht außerhalb. Von medialer Bedeutung war etwas ganz anderes, nämlich die Verhaftung eines der beiden jungen Männer wegen angeblicher Volksverhetzung, am Morgen des ersten Sitzungstages, während er am Abend desselben nach anwaltlicher Intervention wieder aus der Haft entlassen wurde und so bereits am zweiten Sitzungstag teilnehmen konnte. Als sein Name in Abwesenheit aufgerufen wurde, hieß es „entschuldigt“, was von einem Teil des Parlaments mit höhnischem Gelächter quittiert wurde. So zeigte das Parlament seine Würde. Immerhin war als Folge der Verhaftung wenigstens einer der beiden jungen Protokollanten in der Eröffnungssitzung am 30. Oktober ein 23-jähriges CSU-Mitglied.

Die alte und neue Präsidentin des bayerischen Landtags – der Name spielt keine Rolle, aber natürlich ist sie Mitglied der CSU-Sekte – will zu Beginn ihrer Antrittsrede eine Präsidentin für alle Fraktionen sein. Den Rest davon benötigt sie vor allem, um das Gegenteil herauszustreichen, eingeleitet mit dem Satz „Ich bin nicht ohne Haltung“. Sie bekennt, bereits seit 29 Jahren dem Gremium anzugehören. In den Dienst am Gemeinwohl eingetreten, so ist ihre Beschreibung und womöglich sogar die Selbstwahrnehmung. Mit einem verpfuschten Leben, das sie offenkundig zum großen Teil nicht mit produktiver Tätigkeit genutzt hat, sondern vielmehr vergeudet auf Kosten anderer, steht sie nicht alleine. Auch ihr Sekten-Boss Markus Söder sowie der als Innenminister berüchtigte Polizei- und Geheimdienstchef Joachim Herrmann sind seinerzeit mit ihr erstmalig in das Parlament eingezogen. Im Wahlkampf fiel letzterer damit auf, dass er Erkenntnisse über einen Anschlag am oppositionellen Parteivorsitzenden Chrupalla vertuscht und zurückgehalten hat, während er perfiderweise stattdessen den Eindruck zu erwecken suchte, dieser spiele zusammen mit seiner Partei eine Mitleidskampagne.

In der Rede ist innerhalb von weniger als einer halben Stunde das Wort „Demokratie“ in höherer Anzahl gefallen, als es der Staat schafft, sie an Milliarden Euro in der gleichen Zeit an Schulden aufzunehmen. Und das will was heißen. „Wir werden das tun, was auch gut ist für die Demokratie in Bayern“, sagt die Parlamentspräsidentin. Versuchen Sie nicht, diesen Begriff wörtlich zu nehmen, was auch immer Sie damit verbinden; das Wort wird rein symbolisch verwendet ohne einen mit dem Begriff korrelierenden Sachbezug. Im Laufe der Rede wird deutlich, dass sie – ohne es konkret zu benennen – darunter eine Art Wagenburg versteht, der alle Fraktionen des Landtags angehören außer einer – Sie wissen schon welche. Der rhetorische Kern der Rede besteht darin, die Ursache aller Probleme – ohne direkte Nennung – in die Richtung der Partei außerhalb der Wagenburg zu schieben, selbst dort, wo es offenkundig keinen Bezug gibt. Dadurch, dass der Boden groß gespannt wurde, ist das fast gelungen, und hätte sie bis zum Ende auf die Nennung der AfD verzichtet, wäre die Rede immerhin rhetorisch wirklich geschickt gewesen. Nur dort, wo es die großen finanziellen Probleme gibt, für die man dann doch nur schwer eine handlungsunfähige Opposition verantwortlich machen kann, während der Staat mit beiden Händen das Geld rauswirft, da gab es dann noch die allseits bekannten Erzählungen Corona, Putin-Krieg, Klimawandel und so weiter, um von der eigenen Verantwortung abzulenken. Nicht dass jemand auf die Idee käme, eine Regierung, oder das sie tragende Parlament, das die Gesetze der Regierung abnickt, hätten etwas damit zu tun, dass die Menschen immer weniger Geld in der Tasche hätten.

„An die Stelle des Wohlstandsversprechens sind Abstiegsängste getreten.“ Ja, wo die wohl herkommen? Aber jedenfalls scheint der Wagenburg der Wind etwas ins Gesicht zu blasen, und da sind natürlich nicht die Ursachen der Abstiegsängste von Interesse, sondern deren Benennung, denn außerhalb der Wagenburg habe man wohl Erfolg durch das Schüren von Ängsten. „Ich kann nur allen raten, machen wir nicht Politik mit der Angst, sondern machen wir Politik gegen die Angst.“ Hört, hört, was hat man eigentlich von der Parlamentspräsidentin „mit Haltung“ gehört, als ihr Sektenbruder Seehofer im Amt des Bundesinnenministers mit einem Angstpapier aus seinem Hause gearbeitet hat? Da war die Angst doch ganz nützlich, um die Menschen zur Akzeptanz bescheuerter Maßnahmen zu bringen. Menschen sollte der drohende Erstickungstod vor Augen gehalten werden, Kindern die mögliche Schuld am Tod von Oma und Opa.

Oder wie hat sie sich dazugestellt, als das Parlament die Regierungspolitik in Bayern mitgetragen hat, als die Polizei Kinder von Spielplätzen vertrieb und Menschen, die sich auf eine Parkbank setzen wollten, nach Hause schickte – vorgeblich wegen Infektionsschutzes? Ja, und als sie Ausgangssperren wegen eines Grippevirus verhängte! Sie hätte ihre „Haltung“ auch zeigen können mit einer Reaktion darauf, als gemäß ihrem Sektenguru Stadionbesuche und Hotelübernachtungen nur noch für „vollständig Geimpften“ erlaubt sein sollten, die er mit den Worten begleitete: „Das ist keine Ausgrenzung der Nicht-Geimpften, sondern eine Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Rechte der vollständig Geimpften.“ (Sommerinterview des ZDF 2021) – Haben sich das Parlament und ihre Präsidentin da nicht fragen müssen, wer da wem verfassungsmäßige Rechte erst einmal genommen hat, und wie das überhaupt sein könne? Halten wir fest: Politik mit der Angst, ja überhaupt erst die Ängste zu schaffen, um eine bestimmte Politik betreiben zu können, ist offenbar vollkommen in Ordnung, wenn es aus der Wagenburg heraus betrieben wird.

Innerhalb der Wagenburg sind auch die sinnfreiesten Phrasen einen Applaus wert, wenn sie nur mit bedeutungsschwerer Betonung und gewichtiger Miene vorgetragen werden. „Von der Brandrede bis zum Anschlag ist der Weg nicht weit.“ Ich stelle mir den Abstand vor und finde ihn in ähnlicher Entfernung wie von der Brandmauer. – Bei der nächsten Brandrede des Ministerpräsidenten werde ich dran denken. Doch gibt es auch innovative Ideen für das Parlament, die meine volle Unterstützung finden, so die „freiwillige Selbstverpflichtung, die Sie alle als Abgeordnete des Landtags eingehen können, ein Bekenntnis auf gezielte Desinformation und vorsätzliche Täuschung zu verzichten“. Würde sie eingehalten, wäre jede Regierungsarbeit unmöglich, sind doch die Regierungsmitglieder, allen voran Ministerpräsident Söder, in der Regel auch Abgeordnete des Landtags. Leider zweifle ich daran, dass das Konzept ernst gemeint ist, denn innerhalb der Wagenburg, und ganz besonders innerhalb der CSU-Sekte ist man der Überzeugung, dass Täuschung und Desinformation ja nur von außen kommen können, weil man ja selbst die Definitionsmacht über richtig und falsch in der Hand hat. Widerspruch schweißt eine Sekte nur noch stärker im Glauben zusammen.

Am Ende vermasselt sie dann ihre Rede doch noch auch rhetorisch, indem sie den Elefanten im Raum, gegen den ihre Rede gerichtet ist, doch noch beim Namen nennt. Sie kann es sich nicht verkneifen, den Triumph der Verhaftung eines AfD-Abgeordneten auszukosten; zu dem Zeitpunkt war ja noch nicht klar, dass der Haftbefehl am selben Abend wieder aufgehoben würde und dadurch die Fragwürdigkeit deutlich wird. „Weder das Parlament noch ich als Landtagspräsidentin können Einfluss nehmen auf die Entscheidungen der Justiz, das ist eine der Grundfesten der Demokratie [langer Applaus] aber mich besorgt ehrlich ihre Reaktion darauf von der AfD-Spitze“ – was sie dabei vergisst zu erwähnen: Dass die Staatsanwaltschaft weisungsgebunden dem Innenminister untersteht – bleibt also doch eine ganze Menge in der „Familie“, also in der Zuständigkeit der Sekte. Ein Richter, der den Haftbefehl unterschreibt, findet sich dann schon. Dass dieser dann einer Überprüfung standhält, müsste allerdings schon etwas gründlicher vorbereitet werden, was hier wohl nicht der Fall war. Doch da sie das noch nicht weiß, erliegt sie der Versuchung des Triumphs, setzt noch eins drauf und wirft der AfD eine Täter-Opfer-Umkehr vor; ob sie dabei auch an den Anschlag auf den Parteivorsitzenden jenseits der Brandmauer dachte? Die Angriffe (sie meint die verbalen der AfD) „machen demokratische Institutionen schlecht“, sie hätten das „Ziel, das Vertrauen in die demokratischen Institutionen zu zerstören“.

Mal ehrlich: ob sie das ernst meint? Glaubt sie das wirklich, dass nicht sie es selbst sind, die das Vertrauen zerstören? – Es ist eine Sekte.

Sektenmitgliedsrede (Bayerischer Landtag)


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