Freiheitsespresso XIII: Mehr als Markt oder Staat
Warum nicht alles ganz einfach ist. Und über das, was dazwischenliegt
von Michael von Prollius (Beendet)
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Freiheitsfreunde legen Wert auf die Poleposition. Die hat der Markt inne. Der Staat soll sich auf das Safety-Car beschränken und möglichst rasch Platz machen. Das gilt auch für die spontane Ordnung und die Entstehung von Regeln. Die Realität sieht vielfach anders aus und erweist sich in einigen Mischbereichen als bemerkenswert freiheitsfreundlich.
In der politischen Theorie geht es unter anderem im Wesentlichen darum, wie die rechtliche Rahmenordnung, innerhalb derer sich Märkte und Gesellschaften entwickeln, entsteht und entstehen sollte. Im Grunde stehen sich zwei akademische Lager innerhalb der Freiheitsfreunde gegenüber.
Die Staatsbefürworter von Adam Smith über James Buchanan bis Walter Eucken sehen eine aktive Gestaltungsaufgabe von Regeln durch die Regierung, das Parlament und Behörden vor. In dieser Perspektive sind die Regeln, die ohne Staat entstehen, weder per se effizient noch effektiv noch stets geeignete Lösungen. Zugleich gibt es kluge Lösungen, die geplant werden können und freiheitsfördernd wirken, zumal wenn sie sich gegen private Macht richten. Friedrich Hayek hat selbst einen Verfassungsentwurf mit seinem Zwei-Kammern-System vorgelegt und lässt sich als Bindeglied zwischen diesem und dem zweiten Lager verstehen oder aber ist beiden zugehörig.
Die Emergenzbefürworter, die eine Entstehung von Regeln als spontanen Prozess von Versuch und Irrtum begreifen, sehen keine oder eine minimale Aufgabe des Staates im Hinblick auf die Entstehung und Durchsetzung von Regeln. Mises, Rothbard und liberale Anarchisten kritisieren Anmaßung und Missbrauch sowie Konzentration von Macht bei und durch den Staat, die eine private Machtballung und Monopolbildung befördert.
Gemeinsamkeiten bei der Auffassung bestehen darin, dass vernunftbegabte Menschen alles kritisieren und verbessern können. Unterschiede liegen in der Einschätzung des Prozesses und der Entscheidungsbefugnis und sind schwer auflösbar. Je nach Standpunkt lassen sich an konkreten historischen Beispielen wie dem Regelsystem der amerikanischen Gründerväter freiheitsfördernde und -hemmende Aspekte thematisieren und die Frage nach der kontrafaktischen Alternative aufwerfen.
Statt sich über politische Theorie zu streiten, kann man aber auch beide Perspektiven parat haben und über die Dichotomie von Staat und Markt hinausgehen. Das hat Elinor Ostrom getan. Mit ihren über 1.000 Feldstudien in unterschiedlichen, teils entlegenen Teilen der Welt wie den Reisterrassen in Nepal hat sie herausgefunden, dass, erstens, öffentliche Dienstleistungen keineswegs per se am besten durch zentralisierte Systeme erbracht werden, sondern vielmehr im Wettbewerb verschiedener staatlicher und privater Anbieter, insbesondere wenn lokale Verwaltungen um die Bewohner konkurrieren, und dass, zweitens, lokale Gemeinschaften das Allmende-Problem lösen können, weil ihre Mitglieder für die nachhaltige Bewirtschaftung von lokalen Ressourcen wie Weide- und Fischgründen oder die Wasserversorgung alltagstaugliche Regeln festlegen und dabei ohne Regierung auskommen, wobei zugleich der Erfolg wahrscheinlicher wird, wenn es einen übergeordneten staatlichen Rechtsrahmen gibt.
Elinor Ostrom entdeckte hybride Formen mit Staats- und Marktanteilen sowie Praktiken der Selbstregierung, die quasi-marktlicher Natur sind und doch etwas Drittes darstellen. Zugleich wird deutlich, dass es nicht einfache Rezepte einer stringenten politischen Theorie sind, sondern die unüberschaubare Kreativität der Menschen vor Ort, die Lösungen finden, ist, die über staatliche Zuständigkeit und dezentrale Märkte hinausgehen. Ihr Werk „Die Verfassung der Allmende: Jenseits von Markt und Staat“ enthält beispielsweise eine Reihe von Designprinzipien, die förderlich oder hemmend in Bezug auf Problemlösung und Freiheit wirken.
Die Kreativität der Menschen ist faszinierend, sei es beim Umgang mit knappem Wasser durch Hunderte unterschiedlicher Zugangsrechte, die sparsamer und nachhaltiger als eine gesamtstädtische Lösung sind, sei es die aktive Kooperation mit der Polizei durch Meldungen von Verdachtsfällen als gemeinschaftliches Eintreten für mehr Sicherheit, sei es das Verlosen von Fischereigründen und der tägliche Wechsel ins nächste östlich gelegene Gebiet.
Die Zeit ist reif für viel mehr lokale Lösungen statt abstrakter Vorschriften. Das bedeutet Kooperation statt Anweisung, mehr Bürgerengagement, weniger Bürokratie, mehr Konzentration auf das gute Leben vor Ort statt auf weit entfernte Krisen.
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