„Gefahren der KI“: Bitte die Technokratenkirche im epistemologischen Dorf lassen
Warum von künstlicher Intelligenz vorerst keine „Bedrohung“ für menschliche Kreativität und Erfindergeist ausgehen dürfte
von Axel B.C. Krauss
Seitdem die KI, also „künstliche Intelligenz“, als der nächste große Schrei der technisch-wissenschaftlichen Entwicklung angepriesen und vor allem von elitistischen Weltgestaltern und -resettern im Rahmen der sogenannten „Vierten Industriellen Revolution“ in beinahe schon quasireligiöser Manier als Befreiung von den Schwächen und behaupteten Unzulänglichkeiten des menschlichen Geistes gefeiert wird, wurden auch die Stimmen der „Mahner und Warner“ lauter. Sie malen ein düsteres dystopisches Szenario: KI könnte den Menschen nicht nur aus zahlreichen Jobs drängen, sondern ihn letztlich sogar überflüssig machen.
Der bekannte WEF-Historienschwurbler Yuval Noah Harari ging gar so weit, dem Menschen zu unterstellen, er habe „der Bibel bislang keine neuen Texte hinzugefügt“ (wobei er es natürlich vermied, die Frage zu beantworten, warum dies überhaupt ein Versäumnis darstellen sollte), wohingegen eine KI, so Harari, die „erste wahre Religion“ der Welt zusammenalgorithmisieren könne. Hoffentlich ist ihm danach der eklatante Widerspruch dieser Formulierung aufgefallen. Denn auf dem weiten Feld des Religiösen hat man es natürlich nur selten mit „Wahrheiten“ zu tun, sondern Deutungen, Auslegungen, zahllosen unterschiedlichen Lesarten uralter Texte und vor allem mit reichlich metaphysischer Spekulation. Ich wünsche viel Glück dabei, aus diesem Nebel eine „wahre“ Religion für die Menschheit zu fischen.
Doch in diesem Beitrag geht es in erster Linie um die Frage, ob eine künstliche Intelligenz dem, was man gemeinhin menschliches Bewusstsein beziehungsweise Denken nennt, wirklich schon Konkurrenz machen kann. Ich wage das sehr stark zu bezweifeln.
Ganz einfach deshalb, weil die Frage, was genau Bewusstheit/Bewusstsein eigentlich ist, bis heute nicht umfassend beantwortet wurde. Ob dies jemals möglich sein wird, lasse ich dahingestellt sein. Man kann die klügsten Köpfe der Welt fragen, wird aber keine endgültige Antwort bekommen. Darauf weist zum Beispiel auch einer der höchstdekorierten zeitgenössischen Wissenschaftler hin, Roger Penrose, emeritierter Professor für Mathematik an der Universität Oxford, der zusammen mit Stephen Hawking im Jahre 1988 den „Wolf-Preis“ für Physik gewann. Er schrieb das 1.000-seitige Mammutwerk „The Road to Reality“, in dem er die Grundlagen der modernen Wissenschaften und ihre Grenzen auslotet, was das heutige Wissen ums Universum betrifft. In einem anderen, etwas über 400-seitigen Buch mit dem Titel „Shadows of the Mind“ geht er nicht nur der Frage nach der Natur des menschlichen Bewusstseins oder Geistes nach – der Frage, was menschliches Denken eigentlich auszeichnet –, sondern eben auch, ob eine KI jemals in der Lage sein wird, dem Menschen diese Eigenschaft streitig zu machen oder ihn sogar darin zu übertreffen.
Penrose versucht sich anhand zahlreicher Beweisführungen der modernen Mathematik, unter anderem auf Basis des Gödel’schen Unvollständigkeitstheorems, an einem kühnen Nachweis: Ihm zufolge wird eine Maschine niemals in der Lage sein, ein Bewusstsein zu erlangen, das mit dem menschlichen vergleichbar wäre.
Die Frage nach Ursprung und genauer Natur von Bewusstsein ist also nach wie vor offen. Freilich würde die materialistische Wissenschaft dem widersprechen: Sie behauptet seit langer Zeit, Geist, Denken, Bewusstsein seien nur die Folge materieller Strukturen (Gehirn) sowie biochemischer und -elektrischer Prozesse. Ihre Grundannahme lautet also im Wesentlichen: Materie ist die Ursache des Bewusstseins.
Diese Meinung steht allerdings nicht unwidersprochen. Viele Wissenschaftler, darunter auch einige Nobelpreisträger, werfen der materialistischen Wissenschaft vor, sie dürfe eigentlich gar keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben, weil es sich bei ihrem Dogma der Materialität als Ursprung aller geistigen Phänomene eher um eine Weltanschauung handele, eine Ideologie – keine seriöse Wissenschaft.
Zumal vor allem in der Quantenphysik sogar genau gegenteilige Auffassungen vorherrschen. Manche Leser werden sicher schon vom berühmten „Paradox des intelligenten Beobachters“ gehört haben, der „Kopenhagener Deutung“ oder der „Potentia“ eines Werner Heisenberg. Manche Physiker jüngerer Zeit stellten die Grundannahme der materialistischen Wissenschaft sogar vollständig auf den Kopf. So zum Beispiel die Quantenphysiker John von Neumann, John Archibald Wheeler und Eugene Wigner. In ihrer als „vNWWI“ bekannten Theorie („von Neumann-Wheeler-Wigner-Interpretation“) behaupten sie, dass Denken und Bewusstsein nicht nur flüchtige Artefakte der biochemischen Prozesse des Gehirns sind, sondern das Denken und Bewusstsein die grundlegenden, ursächlichen Elemente des Kosmos seien. Ihr Postulat lautet also: Gedanken und Bewusstsein existieren nicht nur jenseits der Materie, sondern sind für materielle Existenz ursächlich.
Ich habe diese Beispiele nur kurz erwähnt, um zu demonstrieren, dass es noch keine Antwort auf die Frage nach dem menschlichen Bewusstsein und seinen denkerischen Leistungen gibt – dem, was gemeinhin als Intelligenz bezeichnet wird. Erklärungen gibt es wie gesagt genug, aber sie sind vorläufig und können nicht den Anspruch erheben, eine ultimative Erklärung zu liefern.
Wenn Menschen diese Frage aber noch gar nicht sicher beantworten können (falls sie dazu überhaupt jemals in der Lage sein werden) – wie wollen sie dann eine künstliche Intelligenz oder ein künstliches Bewusstsein schaffen? Solange diesbezüglich Unsicherheiten existieren – woher will man dann wissen, womit man es bei solchen Schöpfungen dann wirklich zu tun hat?
Natürlich könnte man nach der altbekannten Methode „Versuch und Irrtum“ vorgehen, kombiniert mit Empirie. Lassen Sie uns annehmen, eine künstliche Intelligenz wurde programmiert, um eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen, beispielsweise Ärzten in der Diagnostik zu helfen. Plötzlich spuckt die KI ein Poem aus. Als sie gefragt wird, warum sie das getan habe, antwortet sie: „Ach wisst ihr, ich wollte mal aus meiner öden Routine ausbrechen. Also dachte ich mir, mich in Poesie zu versuchen und schrieb dieses Gedicht.“ Dies wäre ohne Zweifel ein Beweis für eine bewusste Handlung, mit der die KI ihre ursprüngliche Programmierung eigenständig (unter der Voraussetzung, dass kein Eingriff von außen erfolgte, zum Beispiel durch eine Änderung des Programmcodes) modifizierte.
So weit ist diese Technologie meiner Kenntnis nach aber noch lange nicht, und deshalb halte ich die Warnungen, der Mensch könne bald vollständig durch KI ersetzt werden, für stark übertrieben. Wird KI in manchen Arbeitsbereichen nützlich sein, sogar eine große Hilfe? Sicher. Wird sie womöglich in einigen Berufen für Verluste menschlicher Arbeitsplätze sorgen? Das tut sie jetzt schon. Muss das aber zwangsläufig auf eine Katastrophe hinauslaufen, darauf, Menschen zu völliger Bedeutungslosigkeit zu verdammen? Keineswegs. Umwälzungen in der Arbeitswelt gab es schon immer, erst recht seit Beginn der Industrialisierung. Alte Arbeitsplätze verschwanden, neue wurden geschaffen – unter erheblichen Widerständen. Wie steil ein „prometheisches Gefälle“, wie es vom deutschen Philosophen Günther Anders angemahnt wurde – als Resultat der Fähigkeit des Menschen, Technologien zu schaffen, die seiner eigenen Bewusstseinsentwicklung so weit vorauseilen, dass er ihre Folgen nicht mehr überblicken und kontrollieren könne, dass sie ihm also entgleiten –, hängt allerdings nicht von der KI ab, sondern davon, wie der Mensch sie einsetzt. Es liegt also an ihm selbst.
Auch deshalb wundern mich die Warnungen vor einer „Übermacht“ der KI. Als wäre es eine zwangsläufige Entwicklung, auf die der Mensch keinen Einfluss nehmen könne. Als handele es sich um eine „schicksalhafte“ Entwicklung, gegen die kein Einspruch möglich sei. Dieser Einspruch sollte gerade im Bereich der militärischen KI erhoben werden, wo tatsächlich Pläne existieren, unbemannte Drohnen die Städte der Zukunft und ihre Straßen von „Polizeirobotern“ überwachen zu lassen, die ihre Kommandos mit maschineller Gnadenlosigkeit ohne alle moralischen Bedenken ausführen (so wie zum Beispiel Regisseur Neill Blomkamp es in seinem dystopischen Film „Elysium“ mit Matt Damon in der Hauptrolle gezeigt hat).
Schlussendlich geht es um die Frage, welche Entwicklung der Mensch sich für seine Zukunft wünscht. Einen „evolutionären Automatismus“ dahingehend, die „nutzlosen Esser“ müssten über kurz oder lang durch hyperintelligente Androiden ausgewechselt werden, gibt es nicht – auch wenn einige elitäre Misanthropen davon träumen. Sie stehen nicht repräsentativ für die Menschheit, sondern nur für ihre eigene Hybris, ihre Anmaßung und Selbstüberschätzung.
Bis nächste Woche.
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