02. Juli 2025 11:00

„Simulation“ Wirklichkeit – quo vadis?

Was ist angesichts KI-generierter „Realität“ eigentlich noch „echt“?

von Axel B.C. Krauss drucken

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Bildquelle: I Am Nikom / Shutterstock Unsere Welt: Bereits eine gut gemachte Simulation?

Viel und scharf kritisiert wurde er für seine Äußerungen zum Irak-Krieg, der französische Philosoph, Soziologe und Medientheoretiker Jean Beaudrillard (1929–2007). Sein wohl berühmtestes Werk, „Simulakra und Simulation“, das die Wachowskis in ihrem SciFi-Spektakel „The Matrix“ dem vermeintlichen Systemsprenger Neo ins Bücherregal schoben, der sich in einem trostlosen Wohnblock oder besser Massenmenschhaltungskäfig Fragen nach der Natur seiner Realität stellt, selbstverständlich in einem Appartement mit der Nummer 101, teilte das gerne als „Postmoderne“ titulierte Zeitalter (deren Begriffsschöpfer Lyotard sich immer gegen eine Verwendung als historiographische Schublade wehrte) in drei Entwicklungsstadien ein: Imitation, Produktion und schließlich Simulation.

Die Einzelheiten seiner Argumentationslinie seien hier ausgespart. Der Zustand der „Simulation“ jedenfalls zeichnet sich Beaudrillard zufolge dadurch aus, dass eine klare Trennung zwischen „Zeichen und Wirklichkeit“ nicht mehr oder kaum noch möglich sei – mit anderen Worten, es entstehe eine wachsende Unsicherheit bezüglich der Beantwortung der Frage, ob etwas überhaupt noch wirklich gewesen sei beziehungsweise tatsächlich stattgefunden habe. Mit seiner Schrift „Der Golfkrieg fand nicht statt“ (dritter und letzter Teil einer Artikelreihe, veröffentlicht am 29. März 1991 in der Zeitschrift „Libération“) meinte er entgegen einem oft kolportierten Missverständnis nicht, der Krieg sei eine bloße Erfindung gewesen, sondern dass die Art der Darstellung ihn für alle, die ihn nur aus den Massenmedien kannten, zu einer äußerst unsicheren Erfahrung machte: Die Bilder, die ein vom Schauplatz weit entferntes Publikum erreichten, seien vom US-Verteidigungsministerium und der Mainstreampresse sorgfältig kuratiert worden (was nicht erst für den Irakkrieg galt), sodass man kaum von einer Wirklichkeit sprechen könne, sondern von einem politischen und massenmedialen Konstrukt – daher die Rede von der „Simulation“.

Seitdem hat die Technik natürlich enorme Fortschritte gemacht, und heute – mit dem massenhaften Aufkommen KI-generierter Texte, Fotos und Videos und sogar Schlagersongs, die von ihren Vorbildern aus den 60er oder 70er Jahren selbst für geübte Zuhörer nur noch sehr schwer zu unterscheiden sind – werden erst recht Fragen nach der Authentizität von Medieninhalten gestellt. Dies war auch und vor allem hinsichtlich der jüngsten Erfolgsmeldungen der Trump-Regierung zu den Bombardierungen iranischer Atomanlagen zu beobachten: Die „New York Times“ und der Präsident lieferten sich einen kleinen Schlagabtausch, weil die Zeitung den triumphalen Charakter der Regierungsmeldungen infrage stellte. Trump polterte mit gewohnter Subtilität auf seinem eigenen Netzwerk „Truth Social“: „Fake-News-Reporter von CNN & ‚The New York Times‘ sollten gefeuert werden – sofort!!!“

Genau das ist aber nun mal ihr Job. Umso irritierender, dass sich ausgerechnet die PR-Abteilung der deutschen Bundesregierung namens „Freie Presse“ darüber echauffiert, statt sich davon eine dicke Scheibe abzuschneiden. Natürlich kann man zur „New York Times“, die getrost zur „Liberal Press“ gezählt werden kann – hierzulande würde man sagen, „linksgrün“ – stehen, wie man will, aber Regierungsergüsse auf erhöhten Glukol-Anteil zu prüfen, gehört eben zu den journalistischen Kerntugenden. Nicht erst, aber allerspätestens, seitdem das Pentagon „freigegebene“ Videos geringer Auflösung zu sogenannten „Ufo-Sichtungen“ herausgab, die wie von einer alten Nintendo-Konsole abgefilmt wirkten.

Also wie erfolgreich oder nicht war der „Schlag“ gegen die iranischen Atomanlagen nun? Bislang scheint das niemand genau sagen zu können. Durchgesickert ist zumindest, dass man das Regime in Teheran wohl vorab kontaktierte und darum bat, radioaktives Material sicherheitshalber aus der Gefahrenzone zu bringen, damit es durch die wirkmächtigen Explosionen der „Bunker Buster“ nicht weiträumig verteilt wird.

Einem altbekannten Diktum zufolge stirbt im Krieg „die Wahrheit zuerst“. Was natürlich insofern Quatsch ist, da sie schon weit vorher mittels vorbereitender Kriegspropaganda gemeuchelt wird. Früher waren es Zeitungsmeldungen über vermeintliche Angriffe des Feindes – siehe zum Beispiel den berüchtigten Vorfall im Golf von Tonkin, der den Vietnamkrieg auslöste –, heute lässt sich zusätzlich begleitender Video-„Content“ generieren. Was die Öffentlichkeit an KI-generierten Spaßvideos zu sehen bekommt, ist ja nur die Spitze des Eisbergs – so wie bei fast allen technischen Entwicklungen der letzten knapp 100 Jahre lässt man das Publikum gerne zwei, drei Jahrzehnte hinterherhinken, während man in den Forschungslabors bereits über viel weiter fortgeschrittene Möglichkeiten verfügt.

Den lustigen Streifchen, die derzeit auf Youtube massenhaft abrufbar sind und beispielsweise einen Donald Trump zeigen, der mit Wladimir Putin, Xi Jinping und Kim Jong-un im „Goodfellas“-Stil Zigarren qualmend Poker in schattigen Nachtclubs spielt oder bayerische Schuhplattler auf dem Times Square aufführt, oder diese als goldige Zwerge präsentieren, die ganz verrußt und verschwitzt Kohlen aus einer Mine eines Zauberbergwerks schleppen, ist der Videospiel-Zwischensequenzcharakter daher noch durchaus anzusehen. Professionellere Produktionen sind indes von der Realität jetzt schon nicht mehr zu unterscheiden und es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch „Otto Normalverbraucher“ an seinem PC eigene Filme per KI wird inszenieren können, die Hollywoods „Blockbustern“ in nichts nachstehen werden.

Auf politischer Ebene ist große Vorsicht geboten, da man Fake-Inhalte zweifellos dazu hernehmen wird, strengere Regulierungen, sprich Gesetzgebungen einzuführen, um der Flut an „Fake News“ zu begegnen. Es wäre nur der nächste logische Schritt nach allen bisherigen Versuchen, angeblichen oder tatsächlichen Falschmeldungen im Internet zu begegnen. Man braucht keine hellseherischen Fähigkeiten, um den ersten Skandal in dieser Hinsicht vorauszusehen: Schauen wir mal, wann das erste von der Regierung in Auftrag gegebene KI-Agitprop-Video, selbstverständlich erstellt mit Steuergeld, auffliegen wird.

Bis nächste Woche.


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