Ökonomik: Freie Güter, Spenden und Liebe in der Wahrheit
Über die Wirtschaft und das Unentgeltliche
von Karl-Friedrich Israel (Pausiert)
von Karl-Friedrich Israel (Pausiert) drucken
Die Ökonomie der Unentgeltlichkeit ist ein bisher nur sehr sporadisch diskutiertes Thema in der Fachliteratur. Es gab bislang keine allgemeine ökonomische Theorie der Unentgeltlichkeit. Fällt Unentgeltlichkeit überhaupt in den Bereich der Ökonomie? Viele Menschen würden intuitiv verneinen. Die Ökonomie beschäftigt sich mit Kosten und Erträgen, Gewinnen und Verlusten, Produktion und Konsum. Ihr Kernstück ist die Erklärung der Preisbildung für knappe Güter. Preise – das genaue Gegenteil der Unentgeltlichkeit!
Versteht man die Ökonomie jedoch als Teil einer allgemeinen Handlungslogik oder Praxeologie, wie Ludwig von Mises sie nannte, dann erfordert es keinen großen gedanklichen Sprung, sich zu fragen, ob nicht auch freie Güter, Spenden und Unentgeltlichkeit gewissen ökonomischen Gesetzen unterliegen. Bisher sind nur sehr wenige gesprungen. Professor Guido Hülsmann hat es gewagt und mit seinem neuen Buch „Die Wirtschaft und das Unentgeltliche: Kostenlose Güter zwischen Kapitalismus und Staat“ seine Erkenntnisse vorgelegt.
Die erste und vielleicht tiefste Einsicht des Buches ist, das Unentgeltliches uns immer und überall umgibt. Unentgeltlich kann nur sein, worauf man keinen Anspruch hat. Hat man einen Anspruch auf eine Sache, so gehört sie einem bereits oder man hat dafür bezahlt. Andere Menschen sind dann in der Pflicht, einem die Sache zu gewähren. Sie ist in jedem Fall nicht unentgeltlich. Nur jene Dinge, auf die man keinen Anspruch hat, können unentgeltlich sein. Das betrifft alle Gaben der Natur. Der gläubige Mensch könnte sie als Gaben Gottes sehen. Niemand hat einen Anspruch gegen eine andere Person auf Mineralien im Boden oder den Sauerstoff in der Luft. Niemand hat Anspruch auf die Gültigkeit von Naturgesetzen oder den glücklichen Umstand, dass sich Naturgesetze mathematisch beschreiben lassen. Niemand hat Anspruch auf schönes Wetter. Diese Gaben fallen uns unentgeltlich zu. Und all unser Wohlstand ist auf ihnen aufgebaut.
Unentgeltlichkeit gibt es aber auch im Zwischenmenschlichen. Die notwendige Voraussetzung dafür ist ein System begrenzter Rechte und Pflichten. Nur in einem solchen System können Menschen anderen Menschen etwas gewähren, das über ihre moralischen Ansprüche, ihre Rechte hinausgeht. Ein auf Privateigentum aufgebautes System erfüllt dieses Kriterium. Es grenzt die Rechte und Pflichten, die Menschen gegenüber anderen Menschen haben, ein. In einem System unbegrenzter Ansprüche kann nichts unentgeltlich sein. Alles steht einem ohnehin zu. „Diese Überlegungen führen uns zu einer allgemeinen Definition der Unentgeltlichkeit: Unentgeltlich ist, was über die Anforderungen der Gerechtigkeit hinaus gewährt oder empfangen wird“ (Seite 59).
Die Eingrenzung der Ansprüche gegenüber anderen Personen durch das Privateigentum, beginnend mit dem Selbsteigentum, ist damit sowohl die Voraussetzung für die entgeltliche Tauschwirtschaft und die Preisbildung für wirtschaftliche Güter auf Märkten als auch die Grundlage der unentgeltlichen Gaben zwischen Menschen. Echte Liebe und Freundschaft, Aufmerksamkeit und Zuneigung sind unentgeltlich. Es ist sogar unmöglich, sie zu kaufen. Aber auch materielle Güter können unentgeltlich hingegeben werden, insofern der Empfänger nicht ohnehin einen Anspruch auf sie hat.
Dabei leugnet der Autor nicht, dass die wahren Absichten einer Gabe in der echten Welt oft nur durch den Schleier der Unentgeltlichkeit vertuscht werden. Mit Geschenken gehen häufig implizite Forderungen und Bedingungen einher. Dann sind sie zumindest nicht ganz unentgeltlich.
Andersherum können unentgeltliche Geschenke auch unter dem Deckmantel eines Tauschgeschäfts versteckt werden. Denken Sie zum Beispiel an einen Unternehmer, der einen in Not geratenen Freund einstellt, obwohl er seine Dienste gar nicht braucht oder er die gleichen Dienste von einer anderen Person viel günstiger erhalten könnte. Mises wertet eine solche Handlung als Konsum vonseiten des Unternehmers. Er gibt sein Geld für eine Sache aus, die ihm etwas wert ist. Insofern aber wirklich das Wohl des Freundes für den Unternehmer ausschlaggebend ist und nicht die Erwartung, dass der Freund in anderer Form die Gefälligkeit erwidert, oder womöglich das egoistische Bestreben des Unternehmers, sich über den Freund zu erheben und seine Überlegenheit zu demonstrieren, kann dieser Markttausch ein unentgeltliches Geschenk beinhalten.
Natürlich hat der Geber immer ein subjektives Interesse daran, das zu tun, was er tut. Dies liegt in der Logik des menschlichen Handelns begründet. Es kann aber sein, dass das subjektive Interesse des Gebers sich tatsächlich auf das Wohl des Empfängers richtet. Dann ist der Empfänger nicht bloß Mittel zum Zweck, sondern sein Wohl ist der Zweck selbst. In Reinform mag diese Unentgeltlichkeit selten sein, aber sie ist möglich – und sie hat nicht immer nur gute Effekte.
Zum einen kann Altruismus, also das Interesse am Wohl einer anderen Person, bösartig sein. Es kann im Interesse eines handelnden Menschen liegen, einer anderen Person zu schaden – auch das kann man unter dem Deckmantel einer vermeintlichen Wohltat tun. Zum anderen kann auch der wohlmeinende Altruismus zu fehlgeleiteten Handlungen führen. Menschen irren sich. Die Annahmen über das, was das Wohl einer Person ausmacht, können falsch sein. Und eine gut gemeinte Tat kann Schaden verursachen. Nur echte Zuneigung, Verständnis und Offenheit für die Nöte und Bedürfnisse, die man der anderen Person in erster Linie durch ein Opfer von Zeit entgegenbringt, können dabei helfen, die richtigen Mittel zu finden, um zu helfen. Manchmal sind Zeit und ein offenes Ohr schon selbst die entscheidenden Mittel.
Unentgeltlichkeit und Markttransaktionen sind also eng ineinander verwoben. Und mehr noch: Die Marktwirtschaft und die Unentgeltlichkeit gedeihen und verderben miteinander. Dabei wird nicht nur tendenziell die Bereitschaft, gezielt zu geben, um zu helfen, durch den materiellen Wohlstand einer Gesellschaft erhöht. Unentgeltliche Güter können auch ungezielt und spontan im Marktprozess verursacht werden. Eine kapitalbasierte Wirtschaft, die Anreize zum Sparen setzt, verursacht durch die Sparaktivität der Menschen positive spontane Effekte für die Bereitstellung von Spenden. Dabei hat der Sparer selbst vermutlich in erster Linie den Vermögensaufbau für die Zukunft im Auge, vielleicht für die unentgeltliche Weitergabe an die Erben, vielleicht auch nicht. In jedem Fall verursacht ein erhöhtes Sparvolumen ein tendenzielles Absinken der durchschnittlichen Rendite von Investitionsprojekten. Einkommen, die anteilig aus investiertem Kapital entspringen, sinken. Und damit sinken die Opportunitätskosten von Spenden für gute Zwecke. Hierbei kann es auch viele gegenläufige Entwicklungen geben, die der Autor im Detail erörtert. In der Tendenz werden Spenden aber wahrscheinlicher, auch wenn nicht jede Spende ihren guten Zweck erfüllt. Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut gemacht.
In den Worten des Autors: „Diese Bemerkungen sollen den wohlwollenden Altruismus nicht verunglimpfen, sondern daran erinnern, dass es schwierig ist, ihn in gute Taten umzusetzen. Es gibt einen Unterschied zwischen Wohlwollen und Wohltat. Es gibt keinen einfachen Weg, keine Abkürzung auf den Wegen zur Weltverbesserung. Gut gemeinter Altruismus muss auf Wahrheit beruhen, nicht weniger als auf Nächstenliebe. Er erfordert Caritas in veritate“ (Seite 152).
Er erfordert also Liebe in der Wahrheit. Die gleichnamige Enzyklika Papst Benedikts XVI. („Caritas in veritate“) hat dazu aufgefordert, über das Prinzip der Unentgeltlichkeit nachzudenken. Professor Hülsmann ist der Aufforderung gefolgt und zeigt in seinem Buch nicht nur, wo und wie die ökonomischen Dimensionen der Unentgeltlichkeit in einer freien Wirtschaft zur Geltung kommen, sondern auch, wo sie der wohlmeinenden Sozial- und Wirtschaftspolitik Grenzen auferlegt. Überdies führt er die Ökonomik als Wissenschaft genau dorthin zurück, wo sie herkommt und zu Hause ist. Er bettet sie in eine breitere Sozial- und Moralphilosophie. Er scheut nicht davor zurück, seine Analyse auch auf soziologische, kulturwissenschaftliche, juristische, psychologische, ja sogar theologische Quellen zu stützen. Manche Kritiker werden das als Rückschritt werten. Ihnen sei unentgeltlich verziehen.
J. G. Hülsmann (2023). Die Wirtschaft und das Unentgeltliche: Kostenlose Güter zwischen Kapitalismus und Staat. Manuscriptum.
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