Kulturkampf um die Homo-Ehe: Viel Lärm um wenig
Warum überhaupt staatliche Ehen?
Es war ein Gerichtsurteil, das einen Stein ins Rollen brachte. Heute vor 20 Jahren legalisierte der Oberste Gerichtshof von Massachusetts die Homo-Ehe. Der Bay State war damit der erste Bundesstaat überhaupt, in dem Schwule und Lesben ein paar Monate später rechtmäßig heiraten konnten. Das erzeugte rechtliche Spannungen. Denn bundesweit galt 2003 weiterhin der 1996 unter Präsident Bill Clinton beschlossene „Defense of Marriage Act“, der der Bundesregierung die Anerkennung von in einzelnen Staaten geschlossenen Homo-Ehen verbot. Erst 2013 hob dies der Oberste Gerichtshof auf, bevor er zwei Jahre später in Obergefell v. Hodges die Homo-Ehe zum Verfassungsrecht erklärte.
Rückblickend wirkt der Kulturkampf um die Ehe in den USA reichlich bizarr. Haben die konservativen Befürworter des Defense of Marriage Act wirklich gedacht, mit einem Gesetz eine gesellschaftliche Entwicklung aufhalten zu können? Ich erinnere mich noch gut daran, wie scharf die Debatte teilweise geführt wurde, als ginge es um den Untergang des christlichen Abendlandes. „Unsere Nation muss die Heiligkeit der Ehe verteidigen”, kommentierte US-Präsident George Bush damals das Urteil aus Massachusetts.
Bush hatte sich zuvor als Gouverneur von Texas sogar noch geweigert, die Anti-Sodomie-Gesetze des Staates einer Überprüfung zu unterziehen. „Eine symbolische Würdigung traditioneller Werte“, nannte es Bush. Keineswegs nur symbolisch für John Geddes Lawrence. Sein Gang vor den Obersten Gerichtshof machte nicht nur seinem Strafbefehl für unzüchtige Handlungen ein Ende, sondern auch den Anti-Sodomie-Gesetzen von Texas und 13 (!) weiterer Staaten. Wohlgemerkt: Wir reden hier vom Jahr 2003!
Mit dem Kulturkampf um die Ehe verhielt es sich am Ende wie mit allen Kulturkämpfen: viel Lärm um wenig. 71 Prozent der Amerikaner befürworten laut einer aktuellen Gallup-Umfrage heute die Homo-Ehe. 1996 waren es beim selben Institut nur 27 Prozent. Mittlerweile sprechen sich selbst 49 Prozent der Republikaner-Wähler und 41 Prozent der wöchentlichen Kirchgänger dafür aus.
Ich bin in der Bewertung des Urteils von 2015 hin- und hergerissen. Einerseits freut es mich, dass diese Gerechtigkeitslücke geschlossen wurde. Wer kann ernsthaft etwas dagegen haben, dass homosexuelle Paare von denselben Steuervorteilen profitieren wie heterosexuelle Ehepaare auch? Egal, ob es um Besuchsrechte im Krankenhaus, Aufenthalts-, Adoptions- oder Erbrecht geht: Die Heiratsurkunde erleichtert Paaren im gegenwärtigen System das Leben. Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung von diesen Vorteilen (die ja oft nur staatlich geschaffene Nachteile ein wenig ausgleichen) auszuschließen, war zu keinem Zeitpunkt richtig.
Doch mit zeitlichem Abstand komme ich ins Grübeln. Denn eigentlich war die Ehe-Debatte eine sehr wichtige, die dringend hätte geführt werden müssen, aber durch das Urteil ein wenig abgewürgt wurde. War es vielleicht auch der Versuch, eine gesellschaftliche Gruppe quasi ins System einzugemeinden, deren offensichtlich berechtigtes Anliegen, unterstützt von so vielen heterosexuellen Menschen, durchaus das Potenzial gehabt hätte, Risse in die Akzeptanz des staatlichen Ehemonopols zu treiben?
Immer wieder erinnerten damals Befürworter der Homo-Ehe eben auch an früheres staatliches Unrecht im Umgang mit Eheschließungen. Etwa Bundesstaaten, die ethnisch gemischte Paare von der Ehe ausschlossen. In den 20er Jahren war dies in 38 von 48 Staaten der Fall. Und das betraf keineswegs nur Schwarze. Auch Japaner, Chinesen und Filipinos durften in zahlreichen Staaten keine Weißen heiraten. Zwölf Staaten weigerten sich damals, Ehelizenzen an Alkoholiker oder Suchtkranke auszustellen.
Der größte Widerstand gegen die Homo-Ehe kam in den 2000ern von Evangelikalen. Die begingen mit der Gleichsetzung der christlichen und der staatlichen Ehe einen fast schon ins Blasphemische gehenden Kategorienfehler. Dass dies den Niedergang der Evangelikalen als lautstarke politische Gruppe beschleunigt hat, steht für mich außer Frage. Anstatt im Kulturkampf in die politische Offensive zu gehen, sahen sich die Evangelikalen nämlich bald mit einem Generationenkonflikt in den eigenen Kirchgemeinden konfrontiert. Denn die evangelikalen Millennials wollten das Thema gerne ausdiskutieren und kamen dabei am Ende oft zu ganz anderen biblischen und vor allem gesellschaftlichen Schlüssen als Jerry Falwell oder ihre Eltern.
Und Bestätigung darin fanden sie ausgerechnet bei dem Lieblingsphilosophen ihrer Eltern. Die hatten die Werke von C.S. Lewis anscheinend doch recht selektiv gelesen. „Es sollte zwei verschiedene Arten von Ehen geben“, schreibt Lewis in „Mere Christianity”: eine staatliche Ehe mit Regeln, die der Staat festsetze, und eine christliche, deren Regeln die Kirche ihren Mitgliedern auferlege.
Was die strikte Unterscheidung zwischen kirchlicher und staatlicher Ehe angeht, da halte ich es ganz mit Lewis. Allerdings hat mir noch niemand bisher die Notwendigkeit erklären können, warum der Staat überhaupt daran beteiligt sein soll, wenn sich zwei Menschen ewige Treue schwören. Und vielleicht wäre gerade das ohne staatliche Beteiligung auch wieder die primäre Motivation fürs Heiraten?
Für mich hat Alexander Grau es in seinem „Cicero“-Kommentar zur Homo-Ehe in Deutschland damals vor über zehn Jahren auf den Punkt gebracht. Er hievte die Debatte ins Grundsätzliche und nannte die staatliche Ehe „ein Relikt aus obrigkeitsstaatlichen Zeiten“. Denn: „Ob man sich lebenslange Treue schwören, eine offene Zweibeziehung führen oder lieber polygam leben möchte: Es obliegt nicht dem Staat, den einen Lebensentwurf einem anderen vorzuziehen.“
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