Ökonomik: Wurden die Energiepreise beim Fallen gebremst?
Über mögliche moralische Risiken
von Karl-Friedrich Israel (Pausiert)
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Nach der Invasion der Ukraine beschloss man, Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Insbesondere Öl- und Gasimporte aus Russland wurden abgelehnt, wohlwissend, dass sowohl private Haushalte als auch Unternehmen mit deutlich steigenden Energiepreisen werden rechnen müssen. Das Ausmaß hatte man vielleicht unterschätzt, aber man hielt es für wichtiger, Russlands Absatzmärkte zu begrenzen, als die Energiekosten in Europa niedrig zu halten.
Im Verlauf des Jahres 2022 sind die Energiepreise für private Haushalte dann um satte 38,6 Prozent gestiegen, gemessen am Unterindex 4.5 des Harmonisierten Verbraucherpreisindexes, der „Strom, Gas und andere Brennstoffe“ umfasst. Und wie es so oft der Fall ist, jagt eine Intervention die nächste. Die gestiegenen Energiekosten wurden nun für eine zu große Last gehalten. Um den Haushalten und Firmen unter die Arme zu greifen, hat die Bundesregierung für das Jahr 2023 Energiepreisbremsen eingeführt und plant, diese auch für 2024 weiterzuführen.
Die Bundesregierung hat nicht einfach direkte Preiskontrollen eingeführt. Diese hätten zu noch größerer Knappheit geführt und damit das Problem nur noch weiter verschärft. Stattdessen hat man beschlossen, die Energiekonzerne dazu zu verpflichten, den Haushalten und Firmen bis zu einem gewissen Kontingent nur einen bestimmten Maximalpreis in Rechnung zu stellen. Die Differenz zum laufenden Marktpreis soll den Energiekonzernen durch den Fiskus erstattet werden.
Das Problem ist nur, dass es recht schwer ist, einen laufenden Marktpreis zu kennen, wenn keine wirklichen Marktpreismechanismen mehr wirken. Es liegt nun im Interesse der Energiekonzerne, den vermeintlichen Marktpreis hoch zu veranschlagen, um möglichst hohe Summen vom Fiskus erstattet zu bekommen, aber natürlich nur, solange dies nicht die Gesamtnachfrage zu sehr drosselt. Dies könnte passieren, weil für den Energiekonsum außerhalb des anteilig gedeckelten Kontingents (80 Prozent des Gesamtkonsums) vom Verbraucher der volle Preis gezahlt werden muss – eine innerhalb des Regulationswusts durchaus sinnvolle Maßnahme, denn sie sorgt dafür, dass Anreize zum Energiesparen bestehen bleiben.
In der Arbeitspapier-Reihe des CESifo (Münchener Gesellschaft zur Förderung der Wirtschaftswissenschaft) erschien bereits erstmals Ende 2022 ein Forschungsbeitrag, in dem vor möglichen moralischen Risiken gewarnt wurde. Die Energiepreisbremsen könnten zu einer Subventionsmaßnahme für Energiekonzerne werden, wenn sie es schaffen, die Preise hochzudrücken beziehungsweise vor dem Fallen zu hindern.
Dabei darf man nicht vergessen, dass Energiekonzerne ohnehin bereits profitieren, da ihnen durch die Sanktionen die russische Konkurrenz ferngehalten wird. Sie können also ohnehin zu höheren Preisen verkaufen, als es sonst der Fall wäre. Aber es ist durchaus möglich, dass die Energiepreisbremsen selbst den Gesamtpreis für Energie nochmals erhöhen. Die Haushalte und Firmen müssen zwar nicht den vollen Preis auf den gesamten Konsum direkt zahlen, aber über höhere Steuern oder Abstriche bei anderen staatlichen Leistungen werden sie zur Freude der Energiekonzerne doch zur Kasse gebeten. Dies ist zumindest eine reale Gefahr. Dabei ist ohnehin klar, dass jemand die Rechnung zahlen muss. Es ist schlichtweg nicht möglich, allen finanziell unter die Arme zu greifen. There is no free lunch.
Schaut man sich den genauen Verlauf der Energiepreise im Harmonisierten Verbraucherpreisindex an, so erkennt man eine interessante Irregularität, die zugegebenermaßen viele Gründe haben kann. Im Dezember 2022 sind die Energiepreise im Vergleich zum Vormonat bereits stark gesunken. Ab Januar 2023 griffen rückwirkend (seit März) die Energiepreisbremsen. Der Unterindex 4.5, der „Strom, Gas und andere Brennstoffe“ abdeckt, ist damit wieder in die Höhe geschnellt und verharrt seither auf einem recht stabilen Niveau. Beim Blick auf den Indexverlauf fragt man sich, ob die Energiepreise womöglich beim Fallen gebremst wurden.
Markus Dertwinkel-Kalt and Christian Wey (2023): Why “Energy Price Brakes” Encourage Moral Hazard, Raise Energy Prices, and Reinforce Energy Savings. CESifo Working Paper No. 10163
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