27. November 2023 12:00

Gestahlfedert: Kreissägen-Massaker Buenos Dias, Argentina!

Javier Milei kann nur gewinnen oder verlieren!

von Michael Werner

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Bildquelle: X Bilder, von denen man in Buntland nur träumen kann: Das neue argentinische Staatsoberhaupt

Nach dieser launigen Überschrift dürfte klar sein, was Sie diese Woche ausnahmsweise mal bei mir erwartet: Ein bisschen Ambivalenz!

Die meisten Menschen lernen, wenn überhaupt, leider nur durch Schmerzen, doch muss man den Argentiniern – im Gegensatz zu den Deutschen – wenigstens attestieren, dass sie mittlerweile wohl die wichtigste Lektion der Menschheitsgeschichte gelernt haben: Sozialismus funktioniert nicht – niemals, nie und unter keinen Umständen. Nicht in Deutschland, nicht in Afrika, nicht in Asien, nicht in Südamerika. Und für die Anhänger der Quantentheorie: Sozialismus funktioniert auch in keinem denkbaren und undenkbaren Paralleluniversum. (Achtung, Spoiler: Weil er nicht funktionieren kann! Warum? Einfach Ludwig von Mises lesen – der hat das schon vor über 100 Jahren in der Theorie unwiderlegbar bewiesen und wurde seitdem von der Realität ausnahmslos bestätigt.)

Mit dem argentinischen Ökonomen Javier Milei ist zum ersten Mal ein bekennender Libertärer, ja, sogar ein Anarchokapitalist, also ein Anhänger der – wie man gerne sagt – „extremsten“ libertären Strömung, zu der auch ich mich reinsten Herzens bekenne, zum Staatsoberhaupt gewählt worden.

Sind die Libertären deswegen in Jubel ausgebrochen? Bedingt, verhalten, teils, teils. Zuvorderst jene, die nicht nur der reinen Wirtschaftslehre anhängen, sondern auch in der Wirtschaft gerne mal etwas Reines leeren, weshalb sie freudig-dankbar jede Gelegenheit wahrnehmen, Feste feste zu feiern. Auch dazu bekenne ich mich reinsten Herzens – ¡Salud!

Aber Libertäre wären nicht libertär, wenn sie nicht trotzdem irgendwas zu meckern hätten, und das gleich auf mehreren Ebenen:

Erstens: „Anarchokapitalist“ und „Staatsoberhaupt“ – das ist ein Widerspruch! Ja, ist es tatsächlich – aber wenigstens nur einer, und insofern schon mal eine deutliche Verbesserung im Vergleich zu den Sozis, deren Denken (falls man das so nennen darf) und Handeln ausschließlich auf brüllend offensichtlichen Widersprüchen basieren. Als Anhänger des Mehrfrontenkriegs habe ich persönlich kein Problem damit, wenn ein Libertärer in die Politik geht oder gar Regierungschef wird, denn ich halte es für wichtig, den Staat sowohl von außen als auch von innen zu bekämpfen. Wie Leonard Cohen es dereinst treffend besang: „Trying to change the system from within.“ Die Linken, die sich einst „außerparlamentarische Opposition“ nannten, um sodann zum „langen Marsch durch die Institutionen“ zu blasen, haben es uns erfolgreich vorgemacht, und nun sitzen sie in den Positionen, um den von Leistungsträgern mühsam erwirtschafteten Wohlstand zu rauben und an die Zerstörer und Zersetzer in den NGOs umzuverteilen, also an ihre Genossen in der „außerparlamentarischen Opposition“. Es spricht nichts dagegen, es genauso zu machen! Wenn es für die Unfreiheit gemacht wurde, warum nicht zur Abwechslung mal für die Freiheit? Daher hat jeder, der sich das antut, meine volle Sympathie und gegebenenfalls auch meine tatkräftige Unterstützung aus dem „Untergrund“. Vor allem, wenn er mit dem erklärten Ziel antritt, den Staat quasi bis zur Handlungsunfähigkeit zurechtzustutzen, notfalls mit der Kettensäge. Das müsste die Minimalstaatler-Fraktion unter den Libertären doch in die Nähe der Glückseligkeit katapultieren, und bei den Nullstaatlern zumindest die Hoffnung nähren, dass dadurch die Voraussetzungen für die Bildung einer Privatrechtsgesellschaft durch Sezession eines Teils des Staatsgebietes geschaffen werden. Wenn Milei tatsächlich Anarchokapitalist ist, müsste das doch eigentlich in seinem Sinne sein.

Zweitens: Milei hat nicht genug Zeit, denn eine Legislaturperiode von vier Jahren dürfte noch nicht mal ausreichen, um den allgegenwärtigen Sumpf des tiefen Staats trockenzulegen, wie man bereits bei Donald Trump gesehen hat; geschweige denn, funktionierende marktwirtschaftliche Strukturen zu installieren, die am Ende der Amtszeit die für eine Wiederwahl nötigen Erfolge erzielt haben werden. Wenn man eine sozialistische Arschhölle im Hauruck-Verfahren in einen kapitalistischen Minimalstaat umwandelt, also alles komplett umkrempelt, ist zu befürchten, dass es zunächst einmal zu enormen Verwerfungen kommt, bevor sich die natürliche Ordnung einstellt und ihre ersten positiven Effekte ausreichend sichtbar und spürbar werden. Das deutsche Wirtschaftswunder nahm seinerzeit zwar rasant Fahrt auf, jedoch musste Ludwig Erhard nicht gegen ganze Heerscharen von fest etablierten, gut vernetzten Nutznießern des alten Systems ankämpfen, da diese entweder tot oder kleinlaut, beschämt und dankbar waren, mit einem blauen Auge davongekommen zu sein und beim Neustart überhaupt mitspielen zu dürfen. Milei hat laut und publikumswirksam herumgepoltert, wie gut es allen gehen werde, wenn er seine Visionen umsetzt, die Menschen aber nicht deutlich genug darauf eingeschworen, dass sie, bevor es endlich richtig bergauf geht, vielleicht zunächst einmal durch ein Meer von Blut, Schweiß und Tränen gehen müssen, das sie als schlimmer empfinden könnten als das gewohnte lange Siechtum. Per aspera ad astram!

Drittens: Milei hat als Präsident laut Artikel 99 der Verfassung Argentiniens zwar eine Menge Befugnisse, jedoch bei weitem nicht alle, die er benötigt, um seine angekündigten Vorhaben vollständig umzusetzen. Vieles kann er im Alleingang nicht, dazu benötigt er das Einverständnis des Nationalkongresses, also des Parlaments, und da spielt seine Partei „La Libertad Avanza“ mit 38 von insgesamt 257 Abgeordneten nur eine Nebenrolle. Also müssen hier Koalitionen und damit auch (faule) Kompromisse gefunden werden. Die Argentinier wählen alle zwei Jahre jeweils die Hälfte ihrer Parlamentarier, jedoch dürfte es utopisch sein, dass seine Partei 2025 eine absolute Mehrheit erzielt.

Viertens: Mileis Plan, die argentinische Zentralbank zu sprengen (ob symbolisch oder real) und damit auch den hochinflationären Peso in die Tonne zu kloppen, um den US-Dollar als offizielles Zahlungsmittel einzuführen, erzeugt in der libertären Bubble ungläubiges Kopfschütteln. Menschen, die sich auch jenseits ihres Kontostands für Geld interessieren, wissen natürlich, dass Richard Nixons größte Schandtat nicht die läppische Watergate-Affäre war, sondern das Verbrechen des 15. Augusts 1971, als er das Ende des Bretton-Woods-Systems und damit der Golddeckung des Dollars verkündete. Seitdem ging’s steil bergab mit dem Ol‘ Greenback, so wie das bei ungedecktem Zentralbank-Falschgeld immer der Fall ist. Von Milei, einem Ökonomen der Österreichischen Schule, hätte man eher erwartet, dass er eine eigene stabile, goldgedeckte Landeswährung installiert, statt auf ausländisches Fiat-Money zu setzen. Allerdings ist der Dollar immer noch der einäugige König unter den Blinden und zudem so etwas wie die inoffizielle Weltwährung. Und nicht nur das: In Ländern mit hohen Inflationsraten kommt es unter der Hand oft zu einer Art „Dollarisierung“. Während die eigene Währung an Wert verliert, legt sich die Bevölkerung Dollardevisen als „harte Reserven“ zurück. Unter der Hand wird die lokale Währung dann teurer gegen Dollar getauscht – häufig mit dem Ergebnis, dass die Inflation noch weiter steigt. Das ist seit einigen Jahren auch in Argentinien der Fall. Daher liegt es nicht allzu fern, den Dollar als offizielles Zahlungsmittel einzuführen. Ecuador und El Salvador haben das bereits vor über 20 Jahren getan; danach hat sich in beiden Ländern die Inflation beruhigt, und die Wirtschaftsleistung ist konstant gestiegen. Dafür haben beide Länder seitdem aber auch mehr Schulden aufgenommen. Bleibt zu hoffen, dass Milei in diese Falle nicht tappen wird.

Fünftens: Einige Libertäre vermuten aufgrund der Tatsache, dass Milei offiziell Mitglied des „World Economic Forums“ ist, dass er in Wahrheit eine von Klaus Schwab gesteuerte Marionette ist, mit dem Auftrag, alles vor die Wand zu fahren, um den Libertarismus so sehr zu kompromittieren, dass das so gerade erstmalig aufkeimende Pflänzlein niemals zur vollen Blüte gelangt und damit final erledigt ist. Zu dieser vermeintlichen Aluhut-Theorie kann man stehen, wie man will. Ich persönlich halte die Agenda dieser Davoser Kasperbude zwar für genozidal, ihren realen Einfluss aufs Weltgeschehen jedoch für deutlich überschätzt. Und sollte Onkel Klaus tatsächlich der geschickteste Taktiker und mächtigste Strippenzieher des Planeten sein, dann hätte er sich für einen solchen Snow-Job sicher einer Marionette ohne offensichtliche Verbindung zu seinem Klima-Kappes-Club bedient. Außerdem muss nicht jeder, der diesem Verein beigetreten ist, zwingend ein glühender Anhänger von Schwabs Umbruch-Utopie sein. Genauso wenig wie jeder, der Sawsan Chebli auf „X“, formerly known as „Twitter“, folgt, deswegen ein eingefleischter Fan ihrer hochgeistigen Ergüsse sein muss. Milei hat auf der WEF-Website lediglich einen „People“-Eintrag und musste noch nicht mal die „Young Global Leaders“-Hirnwäsche über sich ergehen lassen, deren Wirksamkeit allerdings bei dem Plauder-Püppchen, das bei uns als Außenminister-Darstellerin fungiert, an ihre natürlichen Grenzen gestoßen sein dürfte.

Sechstens: Etlichen Libertären schmeckt es nicht, dass ihr Mantra, dass demokratische Wahlen eh nichts verändern, ins Wanken geraten könnte. Dabei wissen wir sowohl aus der Geschichte als auch aus dem Hier und Jetzt, dass Wahlen sehr wohl etwas verändern: In Deutschland hat 1933 eine Wahl sehr viel verändert, nämlich das gesamte Land in den Untergang geführt. Die Bundestagswahl 2021 scheint derzeit ein ähnliches Resultat herbeizuführen. So könnte man vielleicht behaupten, dass Wahlen zwar etwas verändern, aber stets nur in Richtung „noch schlimmer“ – jedoch ist auch das nicht wahr, denn in den USA hat im November 2016 eine Wahl sehr vieles zum Besseren gewendet. Damit will ich jetzt ganz sicher nicht für die Teilnahme an diesem Deppen-Ritual werben; an meiner abgrundtiefen Verachtung der Demokratie hat sich nichts geändert. Sollte Milei mit libertären Ansätzen in der Politik allerdings erfolgreich sein und damit unserem Anliegen weltweit positive Aufmerksamkeit verschaffen, könnte man durchaus mal darüber nachdenken, 2025 ausnahmsweise doch mal an der Bundestagswahl teilzunehmen – vorausgesetzt, auch hier tritt dann ein Libertärer an. Ich habe natürlich nicht die leiseste Ahnung, wer das wohl sein könnte, aber im Zweifelsfall sollte man sich nicht allzu fest an irgendwelchen Prinzipien festkrallen, wenn Sie verstehen, was ich meine…

Ich habe mich zugegebenermaßen über Mileis Wahlsieg gefreut. Nicht nur, weil ich den Typen und sein Auftreten irgendwie saucool finde. Nicht nur, weil endlich mal ein Libertärer die Chance kriegt, den Job besser zu machen als die Staatsanbeter. Nicht nur, weil unsere linksgrüne Lügenpresse Gift und Galle spuckt, seit diese renitenten Gauchos mehrheitlich die Dreistigkeit besaßen, die Wahlempfehlungen aus den deutschen Redaktionsstuben geflissentlich zu ignorieren.

Nein, da gibt es noch einen anderen, ganz entscheidenden Grund. Dafür muss ich kurz etwas weiter ausholen: Obwohl ich immer ein politisch interessierter Mensch war, habe ich das Wort „libertär“ zum ersten Mal mit Anfang 40 gehört, und das Wort „Anarchokapitalismus“ sogar noch ein bis zwei Jahre später. Dass es so etwas überhaupt gibt, wird einem bereits in der Schule geflissentlich verschwiegen, wenn die verschiedenen politischen Strömungen erklärt werden. Ebenso in sämtlichen Systemmedien. Aus nachvollziehbaren Gründen, denn wenn die Menschen erst einmal in der Tiefe verstünden, was der Staat wirklich ist und dass er keinerlei Nutzen hat, sondern ausschließlich Schaden anrichtet, und warum das so ist, dann werden sie unregierbar, und der Spuk wäre schlagartig vorbei.

Barack Obama bekam den Friedensnobelpreis vorsichtshalber bereits verliehen, bevor er in den Kriegen, die er entweder von seinen Vorgängern geerbt oder gleich selbst angezettelt hat, mehr Menschen weggebombt hat als jeder US-Präsident vor ihm. Was spricht also dagegen, nun auch Javier Milei ein paar Vorschusslorbeeren auf den Wuschelkopf zu tackern?

Zumal er seinen größten Verdienst längst vorzuweisen hat: Dank seines unkonventionellen Wahlkampfs und seines Wahlsiegs hat inzwischen so ziemlich jeder Mensch auf unserer geliebten Mutter Erde endlich mal die Worte „Libertärer“ und „Anarchokapitalist“ gehört. Mal angenommen, wenn nur jeder Zehnte diese Begriffe daraufhin gegoogelt hat, weil er wissen wollte, was sie bedeuten, und von diesem Zehntel bloß jeder Hundertste von dem, was er dabei erfuhr, angefixt wurde – dann sind wir jetzt schon acht Millionen! Wenn man bedenkt, dass exakt die Hälfte der Staaten dieser Welt weniger als acht Millionen Einwohner hat, dann dürfte das doch locker reichen, um die erste libertäre Privatrechtsgesellschaft der Menschheitsgeschichte zu gründen. Vielleicht ja demnächst auf argentinischem Boden, unter der Schirmherrschaft von Javier Milei?

Man wird ja wohl noch träumen dürfen!

Zum Schluss die bange Frage, was passieren könnte, falls Milei in vier Jahren wieder abgewählt wird, weil durch seine Politik nichts verbessert oder gar alles nur noch verschlimmert wurde: Gilt der Libertarismus dann als erwiesen gescheitert und wäre damit für alle Zeiten am Ende?

Ach was, Freunde, kein Problem! Dann sagen wir einfach „das war gar kein echter Libertarismus“, „Milei hat ihn bloß falsch umgesetzt“, „beim nächsten Mal klappt’s bestimmt“, und gut ist‘s! Mit diesem originellen kleinen Taschenspielertrick schaffen es die Sozialisten schließlich seit rund hundert Jahren, dass ihre systemimmanent dysfunktionale Scheißhausideologie trotz ein paar Dutzend krachend gescheiterter Versuche mit insgesamt weit über hundert Millionen Opfern bis heute nicht nur nicht totzukriegen ist, sondern sich sogar einer noch nie dagewesener Popularität erfreut.

Und was die können, können wir ja wohl dreimal! Libertarianismo o muerte!

Mit herzlichem Dank an meinen guten Freund Cristian Marco Martinelli für spannende Gespräche über Javier Milei und wertvolle Denkanstöße, die diese Kolumne bereichert haben.

Quellen:

Verfassung von Argentinien (Webarchiv verfassungen.net)

Elecciones legislativas de Argentina de 2023 (Wikipedia)

People: Javier Milei (Website des “World Economic Forum”)


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