02. Dezember 2023 12:00

Ökonomik Der vollkommene Markt als Ideal

Über die Präferenz gegen Marktmechanismen

von Karl-Friedrich Israel (Pausiert)

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Bildquelle: Lucky Business / Shutterstock Unbezahlbar: Echte Liebe, Zuneigung und Freundschaft

In der neoklassischen Ökonomik wird der vollkommene Markt, in dem alle Aspekte und Effekte des menschlichen Handelns eingepreist werden, als Ideal dargestellt. Alles Gute wäre dann mit materieller Entlohnung in Höhe seines Grenznutzens verbunden, alles Schlechte mit dem Preis, der es kompensiere. Dieses Ideal des vollkommenen Marktes ist ein Trugbild. Der vollkommene Markt kann weder existieren, noch wäre eine Annäherung an diese theoretische Abstraktion in der echten Welt notwendigerweise wünschenswert. Sie kann sogar äußerst gefährlich sein.

Der Grundgedanke ist einfach: Märkte, auf denen freiwillig getauscht wird, sorgen dafür, dass Käufer etwas erhalten, was ihnen mehr wert ist als der Preis, den sie zahlen. Den Verkäufern ist der Preis, den sie erhalten, mehr wert als das Gut, das sie hergeben. Jeder wird für das, was er gibt – Preis oder Gut – kompensiert. Menschliche Handlungen – im Tausch, Konsum oder in der Produktion – haben aber auch Nebeneffekte auf unbeteiligte Dritte. Und hier wirkt der Kompensationsmechanismus des Marktes nicht mehr.

Wenn der Nachbar seinen Garten hegt und pflegt, können Sie und alle Passanten ganz umsonst den schönen Anblick der Pflanzen genießen, ohne dafür einen Preis zu zahlen. Sie wären dann ein Free Rider. Wenn der Nachbar den Garten verwahrlosen lässt, können Sie sich über den Anblick ärgern, ohne dafür entschädigt zu werden. Die neoklassische Theorie geht nun davon aus, dass der handelnde Mensch sich um diese positiven und negativen Nebeneffekte – oder Externalitäten – nicht kümmert. Sie fließen nicht in das Kosten-Nutzen-Kalkül ein.

Der Nachbar wird sich lediglich fragen, wie viel ihm ein schöner Garten selbst wert ist, und wird den eigenen Aufwand der Pflege dazu ins Verhältnis setzen. Er wird sich nicht fragen, wie viel der schöne Garten den externen Bewunderern wert ist, da er von ihnen für den Anblick keinen Preis verlangen kann. Wenn er faul ist und den Garten verwildern lässt, muss er andererseits auch niemanden dafür eine Entschädigung zahlen. Deshalb sagt uns die neoklassische Theorie, dass in der Tendenz zu viele Gärten verwahrlosen und zu wenig Hege und Pflege betrieben würden. Würden alle Nebeneffekte marktmäßig eingepreist werden, würde sich der Gesamtaufwand für Gartenpflege hin zum sozialen Optimum bewegen. Da der Markt aber nicht vollkommen ist und diese Nebeneffekte nicht eingepreist werden, gibt es allgemein zu viel Hässlichkeit und zu wenig Schönes – nicht nur in Gärten, sondern im Grunde in allen Bereichen.    

Schaut man sich so in der Welt um, kann man sich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, dass die neoklassische Ökonomik den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Unfreundliche Gesichter, Jogginghosen und Schweißgeruch. Wären sie doch bloß eingepreist! Dann hätten wir weniger davon. 

Denkt man aber genauer über die Sache nach, so erkennt man, dass eine Bepreisung dieser Nebeneffekte mit fundamentalen Problemen einhergeht. Dabei ist die Subjektivität noch das geringste Problem. Manche mögen Wildgärten, andere mögen’s frisch gemäht. Der eine ärgert sich über die unfreundliche Berliner Schnauze. Der andere schätzt sie für ihre Ehrlichkeit. Nur bei Jogginghosen und Schweißgeruch kann es eigentlich keine zwei Meinungen geben.

Das fundamentale Problem ist ein anderes. Viele der wichtigsten positiven Nebeneffekte im Zwischenmenschlichen sind nur insofern echte positive Nebeneffekte, wie sie unbepreist bleiben. Für echte Freundlichkeit kann man nicht bezahlt werden. Denn wenn man für sie bezahlt wird, ist sie vielleicht eine Dienstleistung, aber keine echte Freundlichkeit. Denken Sie an die stereotypische amerikanische Südstaaten-Kellnerin: „Hey y‘all, my name is Kristy, I will take care of you ...“ Sie wissen, dass das hübsche Lächeln nicht wirklich Ihnen gilt, auch wenn es Ihnen vielleicht den Abend verschönert. Die Trinkgeldkultur in Amerika ist ein sehr gutes Beispiel für die Einpreisung von Nebeneffekten im Service. Aber ist das notwendigerweise besser als die französische Alternative, wo kein Trinkgeld gezahlt wird? Geschmackssache. Es ist völlig legitim, eine Präferenz für die französische Variante zu haben. Wenn Sie von der französischen Kellnerin angelächelt werden, dann wissen Sie, dass es etwas bedeutet.

Noch viel offensichtlicher ist das Problem bei echter Zuneigung, Freundschaft und Liebe. Jeder versteht, dass echte Liebe nicht bezahlbar ist. Mit echter Zuneigung und Freundschaft ist es ebenso. Nicht auszudenken, wo der Versuch enden würde, hier einen vollkommenen Markt zu erschaffen. Er wäre ein Oxymoron. Er ist schlichtweg nicht möglich.

Tugendhaftes Verhalten – und damit meine ich auch die Dusche am Morgen und das Ablehnen des Tragens von Jogginghosen in der Öffentlichkeit – kann nur dann wirklich tugendhaft sein und als gutes Vorbild für andere dienen, wenn es um der Tugend willen getan wird. Wird man dafür bezahlt, wird die Tugendhaftigkeit des Verhaltens untergraben.

Es gibt viele weitere Bereiche, in denen Menschen sich bewusst gegen Marktlösungen entscheiden. Denken Sie etwa an die wichtigsten Aspekte der Fürsorge und Erziehung von Kindern. Natürlich können Kinder auch von Dienstleistern erzogen und betreut werden. Die allermeisten Eltern haben aber eine klare Präferenz dafür, einen erheblichen Teil selbst zu übernehmen, denn sie wissen, dass die echte Zuneigung und Liebe, die ihre Kinder brauchen, nicht von Dienstleistern kommen kann. Und würden die Eltern für ihre Liebe und Zuneigung von den Kindern eine marktmäßige Kompensation verlangen, wäre sie ad absurdum geführt.

Der springende Punkt ist also, dass es viele Bereiche gibt, die grundsätzlich nicht nach Marktmechanismen geregelt werden können oder die Menschen nicht über Marktmechanismen regeln wollen. Und diese Präferenz gilt es zu beachten in einer freien Gesellschaft. Der Versuch die Märkte, in diesen Bereichen zu vervollkommnen, wäre destruktiv und liefe der Freiheit zuwider.


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