04. Dezember 2023 12:00

Gestahlfedert: Possen-Justiz Alles für den A…

It’s not strafbar when the Spiegel does it!

von Michael Werner

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Bildquelle: Lukassek / Shutterstock.com „Rechtsprechung“ in Buntland oder: Was Höcke nicht darf, darf „der Spiegel“ umso mehr

Kennen Sie den Paragraphen 86a unseres Strafgesetzbuches? Er trägt den sperrigen Namen „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen“, und Sie ahnen es schon: Es handelt sich – wie bei so ziemlich allem, was unsere Redefreiheit einschränkt – um ein von den Mächtigen frei erfundenes, opferloses Meinungsverbrechen. Hier droht gemäß Absatz eins ein bis zu dreijähriger Zwangsaufenthalt im Staatshotel oder alternativ eine saftige Geldstrafe, wenn man die Kennzeichen verfassungswidriger oder terroristischer Organisationen verbreitet oder „öffentlich, in einer Versammlung oder in einem (…) verbreiteten Inhalt (…) verwendet“.

Neben ein paar unwichtigen und weitgehend unbekannten „Organisationen“ zielt dieser Paragraph vornehmlich auf „Kennzeichen“ ab, die in einem direkten Zusammenhang zu den Vorturnern der tausend düsteren Jahre zwischen 1933 und 1945 und/oder ihrer Ideologie stehen.

Absatz zwei definiert dann sicherheitshalber auch gleich, was der Gesetzgeber unter „Kennzeichen“ versteht, „namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen“. Das heißt, wenn Sie mit einer Spastik im rechten Arm einen längst dahingeschiedenen deutschen Kanzler mit österreichischem Migrationshintergrund grüßen, eines ebenfalls vor langer Zeit verblichenen Kameraden namens Horst W. musikalisch gedenken oder historische Runenzeichen irgendwohin kritzeln, dann sind Sie dabei.

Nun handelt es sich bei meinen Beispielen um Dinge, die eindeutig und offensichtlich unter dieses Verbot fallen. Jedoch gibt es auch jede Menge weitere solcher Symbole und vor allem Parolen, die vielen Menschen ohne tiefergehendes Wissen um das Branding der Braunauer Phase gar weitgehend unbekannt sind.

So musste auch ich zu meiner Schande eine dahingehende Bildungslücke entdecken, als ich vor einigen Monaten voller Erstaunen las, dass gegen den Thüringer AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke ein Strafverfahren eingeleitet wurde, weil er eine Rede mit den Worten „Alles für Deutschland“ geschlossen hatte. Wäre ich live dabei gewesen, hätte ich – als generationsbedingt treuer Zuschauer von Tom Gerhards Sitcom „Hausmeister Krause“ – spontan zurückgerufen: „Alles für den Dackel, alles für den Club!“

Tatsächlich handelte es sich – was ich nicht wusste – bei „Alles für Deutschland“ jedoch um die Losung der SA, und somit fällt diese auch unter die verbotenen „Kennzeichen“ des besagten Paragraphen, was ich noch viel weniger wusste. Womit ich im Widerspruch zum Oberlandesgericht Hamm stehe, das in einem Urteil vom ersten Februar 2006 (Aktenzeichen 1 Ss 432/05) postulierte, dass das doch allgemein bekannt sei. Herrn Höcke, seines Zeichens Geschichtslehrer, unterstellt man daher erst recht, das zu wissen und somit vorsätzlich gehandelt zu haben. Daher muss er sich, wie aktuell den Medien zu entnehmen ist, für diese Missetat demnächst vorm Landgericht Halle verantworten.

In Deutschland werden solche Lappalien üblicherweise von den Amtsgerichten abgefrühstückt. Vor der sogenannten „großen Strafkammer“ eines Landgerichts gibt man sich als Angeklagter erst die Ehre, wenn eine Freiheitsstrafe von mehr als vier Jahren zu erwarten ist. In diesem Fall käme man bei Ausschöpfung des maximalen Strafrahmens (was bei Ersttätern so gut wie nie getan wird) aber gerade mal auf drei Jahre. Zudem hat Höcke die Parole noch nicht einmal als solche erkennbar isoliert skandiert, sondern als Teil eines ganzen Satzes verwurstet: „Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland!“ Ich könnte jetzt mutmaßen, warum trotzdem das ganz große Besteck ausgepackt wird, jedoch könnte mich das in den Strafbarkeitsrahmen des Paragraphen 90a unseres Strafgesetzbuches („Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole“) quetschen, daher lasse ich es lieber. Denken Sie sich Ihren Teil, aber bitte nicht zu laut – Sie wissen schon!

Nun begab es sich, dass ich am achten September beim „Spiegel“ auf eine Kolumne des Autors Stefan Kuzmany stieß, in der dieser sich recht unterhaltsam über die größenwahnsinnigen Vorhaben unseres situativ dementen Doppel-Wumms-Kanzlers ausließ. Und das alles – bitte festhalten! – unter der Überschrift: „Alles für Deutschland!“

Als ich zwei Tage später noch einmal nach dem Artikel suchte, um zu überlegen, ob der was für meine Kolumne taugt, musste ich feststellen, dass der „Spiegel“ zwischenzeitlich klammheimlich, still und leise die martialische Überschrift gegen eine deutlich unverfänglichere ausgetauscht hatte: „Im Deutschland-Tempo“.

Beim Googeln fand ich dann im Archiv des „Spiegels“ einen Artikel vom 14. Oktober 1952, der ebenfalls mit der strafbaren SA-Losung übertitelt war und von den Schießübungen einer von den USA gesteuerten, antikommunistischen Wehrsportgruppe namens „Bund Deutscher Jugend“ handelte.

Mich deucht, der „Spiegel“ könnte so etwas wie ein Wiederholungstäter im Sinne des Paragraphen 86a sein, und mein Gerechtigkeitssinn flüsterte mir zu: „Was der Höcke nicht darf, darf der ,Spiegel‘ auch nicht!“ Daher sah ich mich als gesetzestreuer Bürger genötigt, hier einmal beizugehen, und brachte diese schändlichen Nazi-Umtriebe am 19. September bei der Staatsanwaltschaft Hamburg zur Anzeige.

Regelmäßige Leser meiner Kolumne dürften schon erahnen, was jetzt kommt: Nahezu zeitgleich mit der Meldung, dass Björn Höcke wegen dieses Spruchs „big time“ vor den Kadi gezerrt wird, flatterte mir die Reaktion einer Hamburger Staatsanwältin auf meine Anzeige ins Haus.

Der einleitende Satz übertraf bereits meine kühnsten Erwartungen: „Das aufgrund Ihrer o.g. Strafanzeige eingeleitete Verfahren ist gem. §170 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) ohne Aufnahme von Ermittlungen eingestellt worden.“

Das machte Lust auf mehr, und auch hier wurde ich nicht enttäuscht: Es folgten knapp zwei Seiten allerfeinstes Jura, warum die strafbare Verwendung der strafbaren Parole ausgerechnet in diesen beiden Fällen irgendwie doch nicht strafbar ist.

Kurz zusammengefasst: Zwar wurde der Tatbestand des „Verwendens“ formal erfüllt, jedoch ist das nur in solchen Fällen strafbar, wo dieses „Verwenden“ auch geeignet ist, „bei objektiven Beobachtern den Eindruck einer Identifikation des Handelnden mit den Zielen der verbotenen Organisation zu erwecken“.

Wenn man das konsequent zu Ende denkt, dann könnte ein Herr Kuzmany demnach nicht nur ab sofort jeden seiner Artikel bedenkenlos mit „Alles für Deutschland!“ betiteln, sondern sogar den ganzen Tag in SS-Uniform mit Hakenkreuz-Armbinde durch die Fußgängerzone von Oer-Erkenschwick flanieren und jedem Passanten ein zackiges „Sieg Heil“ entgegenschmettern, ohne sich wegen des „Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen“ strafbar zu machen, weil doch jeder weiß, dass er nur Spaß macht, und nicht etwa ein echter Nazi ist, der sich mit den Zielen der NSDAP identifiziert.

Bei Herrn Höcke sieht die Sache hingegen genau umgekehrt aus: Der hält eine Wahlkampfrede, in der er die momentanen politischen Missstände anprangert, die verursacht sind von fanatischen Ideologen ohne politisches, ökonomisches und historisches Grundwissen, die Deutschland und seine indigenen Einwohner offen und laut bekennend hassen und deren Heimat und Lebensgrundlage zerstören wollen. Dem hält er entgegen, dass endlich wieder Politiker ans Ruder sollten, die Politik als Dienst am Land und seinen Menschen sehen und sich dafür entsprechend mit voller Hingabe aufopfern, so Menschen wie ihn halt, weshalb er seine Rede schließt mit den Worten „alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland“. In diesem Fall ist der Straftatbestand natürlich vollumfänglich erfüllt, weil Höcke damit für jeden eindeutig erkennbar tatsächlich zum Ausdruck bringen wollte, dass er lieber heute als morgen Polen im Blitzkrieg einnehmen würde, um Auschwitz endlich wieder in Betrieb zu nehmen, und er auch ansonsten kein Jota vom 25-Punkte-Plan der NSDAP abzuweichen gedenkt. Schließlich weiß doch jeder, dass der Björn ein Vollblut-Nazi ist, das hat ihm der Thüringer Verfassungsschutz, der rein zufällig dem SPD-geführten Thüringer Innenministerium weisungsgebunden untersteht, schließlich amtlich attestiert – dann muss es stimmen, dann ist es Allgemeinwissen, und damit ist auch bewiesen, dass der Björn mit allem, was er sagt, irgendwie durch die Blume der NS-Ideologie huldigt. Das ist linke „Logik“ – we call it „Zirkelschluss“!

Zur Klarstellung: Es geht mir hier nicht um die Person Björn Höcke, vor allem nicht wertend. Weder habe ich jemals eine komplette Rede von ihm gehört noch ein Interview mit ihm gelesen, geschweige denn sein Interview-Buch. Daher kann ich mir keine fundierte Meinung über diesen Mann bilden, also lasse ich es. Das ist auch völlig wurscht, denn hier geht es nur um die Sache: Unrecht, Willkür und zweierlei Maß sind mir schlichtweg zuwider, egal wen’s trifft. Als der Hamburger Innensenator Andy Grote 2021 eine Hausdurchsuchung bei jemandem veranlasste, der auf Twitter postete „Andy, Du bist so 1 Pimmel“, nachdem herausgekommen war, dass Grote selbst sich nicht an seine eigenen Corona-Maßnahmen hielt, traf das einen Linken aus dem Schanzenviertel. Ich fand’s trotzdem gruselig, jemandem deswegen die Bude zu stürmen und auf den Kopf zu stellen. So gruselig wie die allgemeine Entwicklung, dass Richter immer häufiger wegen Äußerungen in den sozialen Medien Hausdurchsuchungsbeschlüsse erlassen – das ist ein massiver Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung, der nur bei wirklich schweren Straftaten angemessen sein sollte, aber nicht, nur weil sich irgendeine woke Meldemuschi oder ein Politiker ohne die für diesen Job zwingend erforderlichen Nehmerqualitäten beleidigt fühlt.

Ich halte nichts davon, Menschen für opferlose Wortverbrechen juristisch zu verfolgen oder gar zu bestrafen. Sämtliche dahingehende Gesetze sind mir zutiefst zuwider, und es ist eigentlich gegen meine Überzeugung, wegen so etwas eine Anzeige zu erstatten. Zumal ich persönlich auch nichts gegen Herrn Kuzmany habe, ich kenne von ihm nur diese eine Kolumne, und die fand ich recht amüsant. Daher wollte ich auch nicht ernsthaft, dass er wegen eines solchen Unfugs Ärger mit der Justiz bekommt. Die Anzeige habe ich nur erstattet, weil ich mir sicher sein konnte, dass die Staatsanwaltschaft das Ding abbügeln würde.

Hierzu muss man wissen, dass deutsche Staatsanwälte nicht etwa unabhängig agieren („Gewaltenteilung“, my ass!), sondern der Behörden- und Ministerialhierarchie weisungsgebunden unterstehen, sprich: Wenn die Regierung will, dass bestimmte Straftaten und Personen juristisch verfolgt werden (oder eben nicht), dann müssen die Staatsanwälte das jeweils tun (oder eben lassen). Für diese Behauptung wurde ich schon mehrfach als Verschwörungstheoretiker und Aluhut-Schwurbler bezeichnet – natürlich zu Unrecht, denn es steht exakt so im Gesetz, genauer gesagt im Gerichtsverfassungsgesetz (GVG): Paragraph 146 sagt „die Beamten der Staatsanwaltschaft haben den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen“, und Paragraph 147 legt dann präzise die genaue Hackordnung fest. Ja, das klingt tatsächlich unglaublich, ist aber wahr, und hatte zur Folge, dass deutsche Staatsanwälte seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahre 2019 keine europäischen Haftbefehle mehr ausstellen dürfen, mangels hinreichender Gewähr ihrer Unabhängigkeit gegenüber der Exekutive. In Deutschland sei gesetzlich nicht ausgeschlossen, dass ein solcher europäischer Haftbefehl auf Weisung des Justizministers des jeweiligen Bundeslandes ausgestellt werde, hieß es in der Urteilsbegründung. Und das ist selbst der EU nicht rechtstaatlich genug – Chapeau, das muss man erst mal schaffen!

Daher war mir anhand der momentanen politischen Gemengelage bereits im Vorfeld völlig klar, dass niemand dem „Spiegel“ oder einem seiner Autoren wegen sowas ans Bein pieseln will, dafür aber Herrn Höcke umso mehr. Mit meiner Anzeige wollte ich lediglich die Bestätigung für meine „Verschwörungstheorie“ erhalten, dass solche Gesetze nur dann buchstabengetreu zur Anwendung kommen, wenn man damit politisch nicht genehme Gestalten drangsalieren kann, während man bei den eigenen Leuten sicherheitshalber gar nicht erst ermittelt. Und die fein biegsame Begründung, die man sich extra dafür mühsam aus dem Allerwertesten ziehen müsste, wollte ich unbedingt im Original-Wortlaut frei Haus serviert bekommen, als frischen Stoff für eine neue lustige Kolumne.

Mission accomplished – wham, bam, thank you, Ma’am!

Quellen:

§ 86a StGB – Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen („Gesetze im Internet“ – Website des Bundesministeriums der Justiz)

Höcke muss wegen Nazi-Parole nun doch vors Landgericht (Süddeutsche Zeitung)

Urteil des OLG Hamm vom 01.02.2006 zum Aktenzeichen 1 Ss 432/05 (openjur.de)

§ 90a StGB – Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole („Gesetze im Internet“ – Website des Bundesministeriums der Justiz)

Kolumne von Stefan Kuzmany (Spiegel, bereinigte Fassung vom 10. September 2023)

Kolumne von Stefan Kuzmany (archive.today, Urfassung vom 08. September 2023)

Spiegel-Artikel „Alles für Deutschland“ vom 14.10.1952 (Spiegel)

§ 146 GVG („Gesetze im Internet“ – Website des Bundesministeriums der Justiz)

§ 147 GVG („Gesetze im Internet“ – Website des Bundesministeriums der Justiz)

Urteil der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg vom 27.05.2019 zum Aktenzeichen EuGH C-508/18 (curia.europa.eu)


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