05. Dezember 2023 22:00

Populäre Irrtümer der Linken Keine „(Ur-) Schuld“ gegenüber der Gemeinschaft

Hilfe – uns geht die Arbeit aus / gehen die Arbeiter aus?!

von Andreas Tiedtke (Pausiert)

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Bildquelle: Shutterstock „Gemeinschaft“ ist ein geistiges Konzept: Handeln können nur Individuen

Ein Leserkommentar zu meinem Artikel „Mir muss alles mitgehören“ legte sehr schön zwei weitere populäre Irrtümer der Linken dar, auf die ich nun in dieser und meiner folgenden Kolumne eingehen möchte. Am Ende der Serie „Populäre Irrtümer der Linken“ sollte den Lesern eine Reihe von kurzen Artikeln zur Verfügung stehen, auf die sie in Diskussionen verweisen und verlinken können, ebenso wie bei meiner zwölfteiligen Reihe „Die Psychologie der Politik“, die ebenfalls hier bei den Freiheitsfunken erschienen ist.

Keine „(Ur-)Schuld gegenüber der Gemeinschaft“

Das Argument der Linken betreffend eine gewähnte „(Ur-)Schuld“ gegenüber der Gemeinschaft geht in etwa so, dass der Mensch in eine bestehende Gesellschaft samt Infrastruktur hineingeboren wird und diese mitbenutzt, wie beispielsweise Straßen, Marktplätze, aber auch Sprache, Bildung und dergleichen. Aus der Mitbenutzung dieser Güter ergebe sich eine Schuld gegenüber der „Gemeinschaft“, die bezahlt werden müsse.

Zunächst hat der Ökonom und Sozialphilosoph Anthony de Jasay (1925–2019) diesen Irrtum schon aufgelöst, als er darlegte, dass die Beiträge, die die Einzelnen zu diesem „Grundstock des Wohlstandes der Gesellschaft“ geleistet haben, bei freiwilliger Kooperation bereits abgegolten wurden. Denn bei freiwilligem Austausch wurde bereits für alles bezahlt. Der Produzent, der Erfinder, der Müllmann, der Privatlehrer – alle haben etwas dafür erhalten und erhalten etwas dafür, dass sie am Prozess des gesellschaftlichen Austausches teilnehmen. Jeder hat etwas gegeben und dafür etwas erhalten; sogar etwas erhalten, das er mehr geschätzt hat als das Hergegebene, sonst wäre es handlungslogisch zu keinem Austausch gekommen. Es bleibt also schlicht nichts mehr übrig, was der Einzelne „der Gesellschaft“ schulden würde. „Es gibt keinen weiteren, überhängenden Anspruch ‚der Gesellschaft‘, der nicht bereits abgegolten wurde, und es kann niemand verlangen, dass ein zweites Mal bezahlt werden müsste“, schrieb de Jasay.

Natürlich haben die Kultur- und Infrastrukturleistungen anderer „positive Externalitäten“, wie es im Fachjargon heißt, das heißt, es profitieren Dritte davon, ohne dass sie zur Finanzierung beigetragen haben, aber das begründet keine Schuld eines Dritten. Eine Schuld erfordert handlungslogisch eine freiwillige Verpflichtung.

Zudem hängt es bei jeder „Externalität“ von der individuellen Wertung des Betroffenen ab, ob er diese für positiv oder negativ hält. Universtäten beispielsweise, welche genderwissenschaftliche, soziologische oder ökonomische Thesen in Umlauf bringen, die im Widerspruch stehen zu handlungslogischen Schlussfolgerungen oder Erkenntnissen der klassischen Naturwissenschaften, können jemandem genau überhaupt nichts wert sein: Null. Ein anderer findet solche Thesen vielleicht hochinteressant und ist bereit, dafür zu bezahlen? Der eine findet es schön, dass ein Marktplatz neu gepflastert wird, dem anderen war es gerade recht, dass mit dem alten Kopfsteinpflaster nicht so schnell gefahren werden konnte. Es kann also gar nicht objektiv eingeordnet werden, was positive Externalitäten überhaupt sind, weil dem jeweils ein subjektives Werturteil zu Grunde liegt.

Entscheidendes Kriterium bei einer negativen Externalität im Hinblick darauf, ob eine feindliche Handlung vorliegt, ist, ob jemand in Bezug auf den Besitz an seinem Körper oder an seinen Sachen zu Schaden gekommen ist. Und selbst dann „schuldet“ der Schädiger dem Geschädigten keine Widergutmachung, aber das Durchsetzen der Widergutmachung oder die Vergeltung des Schadens wären keine feindlichen Handlungen, sondern die Abwehr beziehungsweise Korrektur der Folgen einer feindlichen Handlung. Verteidigung und die Durchsetzung von Wiedergutmachung sind selbst keine Aggression, sondern die Negation der Aggression und damit in diesem Sinne friedliche Handlungen, weil sie der Aufrechterhaltung des friedlichen „Status quo ex ante“ dienen.

Entscheidendes Kriterium der positiven Externalität ist, ob jemandem im Hinblick auf den Besitz an seinem Körper oder an seinen Sachen aus seiner subjektiven Sicht ein Vorteil zukommt. Ist dies nach Einschätzung der Produzenten der Fall, können sie Dritten Angebote machen, die diese schadlos ablehnen können, oder sie können diese von der Mitbenutzung ausschließen. Letzteres ist jedoch keinesfalls per se von Vorteil, denn nicht nur ist der Ausschluss selbst mit Kosten verbunden, sondern es kann gerade der bestimmungsgemäße Zweck des hergestellten Gutes sein, dass andere es kostenlos mitbenutzen können. Marktplätze oder Einkaufszentren beispielsweise dienen denjenigen, die dort Läden und Restaurants haben, dazu, dass die Kunden zu ihnen kommen können. Der Aufwand für die Herstellung eines Einkaufszentrums wird in der Regel mittelbar über die Umsatzerlöse der Ladenbesitzer erwirtschaftet und nicht mit Eintrittspreisen. Schließen die Betreiber die Kunden aus und verlangen Zutrittsgebühren und tun dies beispielsweise andere Einkaufszentren oder Marktplätze nicht, dann werden sie vom Ausschluss nicht profitieren, sondern Verluste machen und bei dauerhaften Verlusten insolvent gehen.

Andere aber für eine reine Nutzungsmöglichkeit zum Bezahlen zu zwingen, ist eine feindliche Handlung. Wenn jemand Universitäten, Rundfunk, Straßennetze und dergleichen anbietet, und auch Nicht-Nutzer zur Mitfinanzierung zwingt, dann ist dies handlungslogisch betrachtet eine feindliche Handlung. Ebenso ist es eine feindliche Handlung, jemand anderen vom Wettbewerb betreffend solche Dienste und Güter zwangsweise auszuschließen.

Darüber hinaus gibt es „die Gemeinschaft“ nicht als handelndes Wesen aus Fleisch und Blut, wie es Menschen gibt, sondern es ist ein geistiges Konzept. Anzunehmen, „die Gemeinschaft“ habe einen Anspruch, für alle „positiven“ (subjektives Werturteil) Externalitäten zu kassieren, die letztlich auf konkrete Individuen und Gruppen zurückzuführen sind, ist etwa genauso sinnvoll, wie anzunehmen, dass die Sonne einen Anspruch darauf habe, dafür zu kassieren, dass sie scheint. Und ebenso wenig, wie jemand die Sonne oder „Gaia“ Mutter Erde vertreten kann, kann jemand „die Gemeinschaft“, also letztlich „die Menschheit“ samt aller Vorfahren vertreten. Wobei es im letzten Falle zumindest theoretisch möglich wäre, dass alle Lebenden zustimmen – nicht jedoch die Vorfahren –, was aber aus praktischen Gründen unmöglich erscheint.

Selbst wenn die Möchtegern-Vertreter der „Gemeinschaft“ wahrheitsgemäß behaupten, eine Mehrheit aller jetzt lebenden Menschen stünde hinter ihnen, änderte dies nichts daran, dass es eine feindliche Handlung ist, jemanden zu zwingen, für etwas zu bezahlen, was er nicht bestellt hat. Denn aus Zahl kann Recht nicht folgen, sondern nur aus freiwilliger Zustimmung.

Schlussbetrachtung und Ausblick

Wie wir gesehen haben, ist das Konzept der „Ur-Schuld“ der Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft ein ausgedachtes Konzept, das mit den Schlussfolgerungen der Handlungslogik nicht übereinstimmt und daher falsch ist. Vielmehr gibt es für die Produzenten von positiven Externalitäten gute Gründe, dies zu tun, und wenn sich Ausschließen nicht rechnet, werden sie es nicht tun. Letztlich kann auch niemand in einem handlungslogischen Sinne wahrheitsgemäß behaupten, er vertrete die Interessen eines Volkes oder gar der Menschheit, da nur Individuen Interessen haben – auch konkrete Gruppen von Individuen – und diese Interessen unterschiedlich und gegenläufig sein können und sind.

Das Konzept der „Ur-Schuld“ ist tief in unserem abendländischen Denken verwurzelt – und auch aktiv verwurzelt worden: Menschen, die sich als Vertreter des Schöpfers oder des „hegelianischen Gottes“, also des Staates, ausgegeben haben, haben hervorragend daran verdient. Geht das Publikum (Immanuel Kant, 1724–1804) davon aus, dass hier lediglich eine bestehende Schuld eingetrieben wird, die jedermann sozusagen von Geburt an mitbringt, also eine „Erbschuld“ gegenüber dem Schöpfer oder dem Staat, dann klingt dies netter, als wenn man eingestehen müsste, dass handlungslogisch betrachtet schlicht feindliche Handlungen durchgesetzt werden, also dass es um Herrschaft geht und nicht um „Gerechtigkeit“. Dieses infantile „Ur-Schuld-Konzept“ kann jedoch mit „eigenem Denken“ (Immanuel Kant) überwunden werden – quod erat demonstrandum.

In meiner nächsten Kolumne will ich auf den populären Irrtum – oder besser: Widerspruch („zu wenig Arbeit“ versus „Facharbeiter- und Personalmangel“) – eingehen, warum „uns“ die Arbeit nicht ausgehen wird und, falls dies – utopischerweise – dereinst doch der Fall sein könnte, nicht notwendigerweise ein Übel wäre.

Quellen

Der Kompass zum lebendigen Leben (Andreas Tiedtke, Seite 308 fortfolgende)


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