06. Dezember 2023 07:00

Freiheit und Geschichte Einen Lumumba zu St. Nikolaus

Drei wärmende Märtyrergeschichten

von Oliver Gorus

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Bildquelle: Anefo / Wikimedia Patrice Lumumba: Kongolesischer Premierminister, der 1961 ermordet wurde

Menschen geben Namen. Sie benennen nicht nur ihre Kinder, sondern Orte, Straßen, Schiffe, Fußballstadien, Pflanzen, Tiere, Sterne und vieles mehr. Namen sind notwendig, um überhaupt über Dinge reden zu können, und erst wenn Menschen über Dinge reden können, können sie sie begreifen.

Oft haben Namen eine symbolische, oft auch eine historische Bedeutung. Dass beispielsweise die Straßen in den Industriegebieten Deutschlands zu einem großen Teil nach den großen Unternehmern der Kaiser- und Gründerzeit benannt sind, also etwa nach Werner von Siemens, Carl Benz, Alfred Krupp, Adam Opel oder Robert Bosch, wirkt wie eine Art Beschwörung: Ein großer Teil unseres heutigen Wohlstands gründet auf der Substanz der industriellen und mittelständischen Wirtschaftskreisläufe, die im 19. Jahrhundert geschaffen wurden, als Deutschland zusammen mit Großbritannien die größte Wirtschaftsmacht der Welt war – möge diese Wirtschaftskraft doch bitte fortdauern …

Zum Beispiel Sankt Oliver

Nun, die Straßennamen alleine schaffen kein wirtschaftsfreundliches Klima, aber wenigstens helfen sie beim Erinnern, was Wohlstand schafft, nämlich individuelle und damit auch unternehmerische Freiheit. Oder anders gesagt: Freiheit von Politik. Freiheit von Herrschaft.

Menschen benennen auch Tage nach Persönlichkeiten, jedenfalls tun das Christen. Im katholischen Heiligenkalender hat jeder Tag im Jahr seinen Heiligen oder sogar mehrere davon. Der 11. Juli beispielsweise ist mein Namenstag, er wurde unter anderem benannt nach dem 1975 heiliggesprochenen Oliver Plunkett, einem irischen Erzbischof aus dem 17. Jahrhundert, der während der Katholikenverfolgung durch den Stuart-König Karl II. zum Märtyrer wurde. Der König ließ an ihm ein Exempel statuieren, um die verhassten Katholiken zu terrorisieren.

Weil Oliver trotz Verbot und Verbannung im Geheimen weiter den Katholizismus förderte, lehrte und beging, wurde er verraten und festgenommen, als er es wagte, einem greisen Verwandten beim Sterben beizustehen. Er wurde mit einer plump fingierten Anklage und gekauften Zeugen in einem Schauprozess zum Tode verurteilt. Das Urteil sollte zum Gefallen des Königs so vollstreckt werden: „Und darum sollt Ihr von hier bis zu dem Platz von dem Ihr kamt, Newgate, zurückkehren. Von dort sollt Ihr (zwei Meilen mit dem Schlitten) durch die Stadt London bis nach Tyburn geschleift werden; dort werdet Ihr am Hals gehenkt, jedoch vom Seil abgeschnitten, bevor Ihr tot seid, Eure Eingeweide herausgeschnitten und diese vor Euch verbrannt. Anschließend sollt Ihr enthauptet und Euer Körper in vier Teile geteilt werden, über welche verfügt wird, wie es Seiner Majestät beliebt. Der Herr sei Eurer Seele gnädig.“

Am Ende starb er dann doch ganz einfach am Galgen von Tyburn im Westend von London. Zuvor bat er Gott in einer letzten Ansprache um Vergebung für den König und seine Familie und betete für ihr irdisches Glück und ewige Seligkeit. So wird es überliefert. König Karl trat übrigens später auf dem Sterbebett zum katholischen Glauben über. Das Gebet Sankt Olivers hatte offensichtlich gewirkt.

Olivers Gebeine wurden aufbewahrt und als Reliquien an verschiedenen Orten mit Wallfahrten, Prozessionen und Gottesdiensten verehrt. Benannt wurden nach ihm außer seinem Sterbetag natürlich Straßen, aber auch eine irische Priestervereinigung. Meines Wissens gibt es aber keinen Drink, der nach ihm benannt wurde.

Eine afrikanische Leidensgeschichte

Wenn Sie auf einem Weihnachtsmarkt einen heißen Lumumba statt eines Glühweins bekommen können, probieren Sie ihn mal. Kakao und Rum passen gut zusammen. Aber gedenken Sie dabei auch des Freiheitskämpfers, nach dem dieser wärmende Trunk benannt wurde: Es handelt sich um Élias Okit’Asombo, der von seinen kongolesischen Landsleuten als Patrice Lumumba verehrt wurde. Der französischen Vorname Patrice bedeutet „von vornehmer Herkunft“, und „Lumumba“ heißt in der Sprache des afrikanischen Stammes der Tetela frei übersetzt in etwa „der Wortführer der aufrührerischen Massen“.

Patrice Lumumba war schon als Jugendlicher und als junger Mann ein geborener Widerborst, der einerseits überall aneckte, beispielsweise von der Schule flog, andererseits mit seinem Charisma die Menschen begeistern konnte. Er war Postbeamter, publizierte aber nebenher in Zeitschriften, organisierte kulturelle Veranstaltungen und war in den gebildeten Schichten und in den liberalen Kreisen Kongos aktiv. Ende der 1950er Jahre gründete er die kongolesische Unabhängigkeitsbewegung, woraufhin er prompt von den belgischen Kolonialherren verfolgt, verhaftet und gefoltert wurde.

Aber seine Partei setzte sich in den ersten freien Wahlen nach der formalen Unabhängigkeit von Belgien 1960 durch. Lumumba musste freigelassen werden, verhandelte am Runden Tisch in Brüssel mit den Kolonialherren über die Unabhängigkeit und wurde im Alter von 35 Jahren der erste Ministerpräsident der jungen Republik.

Schon bei Amtsantritt im Sommer 1960 nahm er, wie es seine Art war, kein Blatt vor den Mund und hielt dem belgischen König Baudouin die Unterdrückung und Ausbeutung der Afrikaner während der gewalttätigen belgischen Kolonialherrschaft vor. Er prangerte den Rassismus der Belgier an: „Wir kennen Spott, Beleidigungen, Schläge, die morgens, mittags und nachts unablässig ausgeteilt wurden, weil wir Neger waren.“

Der König war tödlich beleidigt. Vielleicht hatte er im Moment der ersten Rede Lumumbas bereits dessen Tod beschlossen. Jedenfalls war der freche junge Mann dem belgischen Establishment ein Dorn im Auge. Aber auch die US-amerikanische Regierung hatte ein Problem mit Lumumba. Eigentlich wollte der Westen nämlich schön weiter das Land ausbeuten. Die Armee stand noch unter belgischem Befehl, die Belgier teilten sich zusammen mit den Amerikanern das Monopol zur Ausbeutung der reichhaltigen Rohstoffe des Landes, und die westlichen Regierungen befürchteten, dass der junge Heißsporn Lumumba die Minen und Plantagen der weißen Kolonialisten enteignen und verstaatlichen könnte. Sie diskreditierten ihn als Kommunisten, was Lumumba zurückwies.

Eigentlich wollte Lumumba sein Land an den Westen binden, darum bat er auch Präsident Eisenhower bei einem Staatsbesuch um Unterstützung, blitzte aber ab. Stattdessen beschloss der Washingtoner Deep State auf einer informellen Konferenz der Stabschefs mit CIA, State Department und Department of Defense seine Ermordung.

Der CIA fing daraufhin ein Telegramm ab, in dem Lumumba die Sowjetunion um militärische Unterstützung gegen die Besatzung durch die belgischen Truppen bat, was den westlichen Mächten weitere Argumente lieferte, Lumumba auszuschalten.

Belgische Truppen, die einen Flugplatz im Kongo besetzt hatten, verweigerten Lumumba, also dem Regierungschef des Landes, die Landung bei einem Inlandsflug. Da das eine formelle Kriegshandlung Belgiens war, die direkt die Souveränität Kongos betraf, rief Lumumba die Vereinten Nationen um Hilfe an und erklärte Belgien den Krieg. Daraufhin entsandten die USA und Belgien Truppen in die Hauptstadt Léopoldville, heute Kinshasa.

Mitte September putschte die Armee unter der Führung von Joseph Mobutu, in Absprache mit und initiiert von den USA. Der CIA versuchte, ihn zu töten, Lumumba wurde unter dem Schutz von UN-Truppen unter Hausarrest gesetzt, konnte aber fliehen, wurde dann von Mobutus Truppen aufgespürt und gefangen und starb entweder schon kurz nach seiner Festnahme an den Misshandlungen der Schergen oder wurde hingerichtet. Er starb am 17. Januar 1961 im Alter von 35 Jahren – ein halbes Jahr, nachdem er zum Regierungschef gewählt worden war.

Seine Mörder hatten solche Angst vor seiner Wirkungsmacht, dass sie versuchten, ihn komplett verschwinden zu lassen: Sie zerstückelten seinen Leichnam, versuchten Teile in Schwefelsäure aufzulösen und verbrannten den Rest. Übrig blieb aber ein Zahn mit einer Goldkrone, den einer der belgischen Offiziere als Jagdtrophäe an sich nahm. Dieser Belgier brüstete sich mit dem Zahn Jahrzehnte später im belgischen Fernsehen. Lumumbas Kinder klagten den Zahn frei und ließen ihn beschlagnahmen. Lumumbas Tochter verlangte vom belgischen König die Herausgabe. Am 20. Juni 2022 übergab der belgische Ministerpräsident der Familie Lumumbas den Zahn, der dann in Kinshasa in einem Mausoleum ausgestellt wurde.

Darauf einen Lumumba!

Seitdem haben die Kongolesen eine Pilgerort, an dem sie ihren Freiheitskämpfer, der zum Märtyrer geworden war, verehren können. Jean-Paul Sartre schrieb über seine Bedeutung: „Seit Lumumba tot ist, hört er auf, eine Person zu sein. Er wird zu ganz Afrika.“

Die DDR und die Sowjetunion versuchten, Lumumba für ihren gegen den Westen gerichteten Antiimperialismus zu instrumentalisieren und ihn ideologisch zu vereinnahmen. So benannten sie eine Universität und eine Straße nach ihm, pflanzten eine Eiche in seinem Namen und gaben eine Briefmarke mit seinem Porträt heraus.

Aber das wirkungsmächtigste Gedenken an ihn schuf wohl der deutsche Krimiautor Richard Birkefeld, dem nachgesagt wird, in jungen Jahren in den Wirren des Befreiungskampfs im Kongo ein Saufgelage mit deutschen und belgischen Söldnern gehabt zu haben, bei dem ein Drink mit Kakao, Kokosmilch und Rum einen Namen finden sollte. Die Vorschläge „Kongo-Rum“, „Nonnenschwängerer“ und „Leberhaken“ wurden abgelehnt, „Lumumba” setzte sich durch. Und bewährt sich bis heute.

Heute ist Sankt Nikolaus, der Namenstag des heiligen Nikolaus von Myra. Auch dieser aufrechte Mann wurde gefangen genommen und gefoltert, wie Sankt Oliver und wie der hochwohlgeborene Lumumba. Auch er wurde zum Märtyrer, fiel im Jahr 310 der Christenverfolgung zum Opfer. Auch von ihm gibt es Reliquien, die bis heute verehrt werden.

Die Schicksale der Kämpfer für Religionsfreiheit, Handlungsfreiheit Souveränität und Selbstbestimmung ähneln sich. Die Jahrhunderte sind voll mit ihren Geschichten. Viele wurden von den Machthabern gehasst und verfolgt, viele wurden von den Herrschern grausam ermordet. Aber ihre Wirkung auf die Menschen überdauert ihren Tod.

Die Geschichte zeigt: Die Freiheit lässt sich nicht auf Dauer unterdrücken. Sie lässt sich nicht besiegen. Sie ist stärker als menschliche Gewalt.


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