Politische Psychologie: Blumenwerfen ist keine Angsttherapie
Mobbing als Versuch zur Rettung des Betriebsklimas
von Carlos A. Gebauer (Pausiert)
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Eine Angst weht durch Deutschland. Die Angst blickt auf politische Stimmungslagen. Die Angst blickt auf Wahlumfragen und sie blickt auf den Osten Deutschlands. Das Angstgefühl hat einen Namen. Und er lautet: AfD. Sollte es der Partei mit diesem Namen bei den bevorstehenden Landtagswahlen tatsächlich gelingen, hier oder dort stärkste Fraktion zu werden? Die Zivilgesellschaft und all jene, die sich rühmen, demokratische Parteien zu sein, haben begonnen, ihre Reihen enger zu schließen. Man erklärt dem Wähler, dass eine Brandmauer zu stehen habe, die nicht fallen dürfe. Haltungsjournalisten fordern unternehmerisches Bekennen gegen die heraufdrohende politische Gefahr, gegen die Risiken für Landesparlamente, gegen die Angst vor den Gegnern der Demokratie.
In einer privaten Versammlung interessierter Bürger warnt ein namhafter Bundespolitiker, die Populisten zu unterschätzen. Er lässt den Blick über Europa schweifen und zeigt auf, wo überall die jahrzehntelang etablierten Parteien an Boden verloren haben. Er berichtet aus Frankreich, wo die Sozialisten nur noch zwischen zwei und drei Prozent der Wählerstimmen gewinnen und die Republikaner mit rund acht Prozent kaum mehr erfolgreich sind. In der Fragestunde nach dem Referat will gleich der erste über historische Parallelen wissen: Wiederholen sich da draußen gerade die deutschen Jahre 1928 fortfolgende?
Ich muss einräumen, nicht ansatzweise abschätzen zu können, wofür „die“ AfD heute steht. Mir ist unklar, ob sie eine Partei ist, die auf dem Boden christdemokratischer Wahlprogramme aus den 1980ern schlicht eine überhörte Variante zum derzeit waltenden grün-linken politischen Mainstream ist oder ob aus ihrer Mitte – würde sie tatsächlich in eine entscheidungsmächtige Position gewählt – gleich die fürchterlichsten gesellschaftlichen Hasardeure wie Kai aus der Kiste sprängen. Mir fehlt sogar jede Intuition, das eine oder das andere als wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher erfühlen zu können. Die tatsächlichen Ähnlichkeiten oder Unähnlichkeiten zwischen dem Phänomen in der Realität und den Erzählungen über seine Realität sind mir verborgen.
Was mir nicht verborgen ist, sind die Verhaltensweisen, die sich in der politischen Welt unübersehbar zeigen. Jene Parteien, die stolz sind, demokratische zu sein, berühmen sich im Umgang mit ihrem Angstgegenstand nicht übermäßig demokratischer Manieren. Der Wahlmitbewerber wird offen ausgegrenzt, wo immer es möglich ist. Sie verwehren ihm – meist sogar unisono – andernorts gleichsam mechanisch verteilte Vizepräsidentenstellen, Ausschussvorsitze oder, ganz handfest, Gelder für die unvermeidlichen Parteienstiftungen. Als Bild des gefühlt wohlanständigen parlamentarischen Widerstandes hat sich die Szene in meine Erinnerung eingebrannt, als eine Linke einem Liberalen in Thüringen den Gratulationsblumenstrauß nicht in die Hand drückte, sondern ihn ihm vor die Füße warf. Kann dieser offene Verstoß gegen den Comment der Repräsentanten in einem Hohen Haus geeignet sein, die gespannte politische Lage insgesamt zu relaxieren und eine gespaltene Bevölkerung in gedeihliche demokratische Diskussionen zurückführen? Oder kürzer: Ist Mobbing der Königsweg zur Wiederherstellung eines schief hängenden Betriebsklimas?
Mein Eindruck ist: Das Ausgrenzen eines Teils der Wahlbevölkerung hat einer Gesamtbevölkerung noch nie geholfen, aus einer krisenhaften Situation wieder in gedeihliche Sphären zurückzufinden. Meine Vermutung ist eher eine gegenteilige: Wer einem anderen beständig erklärt, dass er der Teufel sei, der züchtet sich dadurch mit einiger Wahrscheinlichkeit einen Teufel gerade erst heran. Man muss kein intimer Kenner der altgriechischen Literatur sein, um zu wissen: Man entgeht einem befürchteten Schicksal meist gerade nur deswegen nicht, weil man sein ganzes Streben genau darauf richtet, ihm entgehen zu wollen. Die Macht der selbsterfüllenden Prophezeiungen hat an dieser Stelle etwas Gespenstisches. Wie wäre es, sich in Ansehung des Ungewollten schlicht an die Prinzipien zu halten, denen man in diesem Land seit bald 75 Jahren seine Sonntagsreden widmet und die sich in der Alltagspraxis so lange als äußerst tragfähig erwiesen hatten? Vielfältiger politischer Meinungskampf, herrschaftsfreier Diskurs, offene Debatten, eine dialogfähige Willensbildung – republikanische Tugenden also, die für eine Demokratie schlechthin konstituierend sind?
Dem referierenden Namhaften erlaubte ich mir, im Aufzug zuletzt privatim einen Gedanken mit auf seinen Nachhauseweg zu geben: Ein Wähler, dem gerade sein Verbrennungsmotor, seine Gasheizung, sein Umsatzsteuersatz, sein Dienstwagen, sein Kreiskrankenhaus, seine Strompreisflatrate, sein Gottschalk, seine Currywurst und sein Sommerurlaub genommen werden, der könnte sich naheliegenderweise als Verlierer empfinden und als solcher politische Solidarisierungsgelüste in Richtung parlamentarisch ausgebremster Leidensgenossen entwickeln. Nähme es in diesem Falle Wunder, wenn sich ein Opferempfinden zum anderen Opferempfinden gesellt?
Kommentare
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