Libertäre und Politik: Freiheitsbotschafter im Haifischbecken
Auch aufs Gemüt kommt es an
Wie viele prinzipienfeste libertäre Politiker mit Rückgrat fallen Ihnen spontan ein? Also mir kein einziger, zumindest nicht in Deutschland. Nicht wesentlich besser sieht es in den USA aus, auch wenn dort zumindest einzelne wie Thomas Massie regelmäßig den Kompromissmodus verlassen und freiheitliche Akzente setzen.
Erst in der vergangenen Woche war das wieder der Fall. Mit nur 14 Gegenstimmen beschloss das US-Repräsentantenhaus eine Resolution, die de facto Kritik am Zionismus als Antisemitismus verurteilt. House Resolution 894 liest sich ein wenig, als wäre sie im israelischen Außenministerium oder von einer zionistischen Lobbygruppe entworfen worden. Als einziger Republikaner hatte wieder einmal nur Thomas Massie die Eier, mit Nein zu votieren, gegen eine Resolution, die dem Geist des Ersten Verfassungszusatzes nicht stärker widersprechen könnte.
Nach seinem „Lone vote“-Auftritt im Repräsentantenhaus legte Massie auf Twitter nach. Mit einem Meme kritisierte er, dass die meisten Kongressmitglieder zwar amerikanischem Patriotismus skeptisch gegenüberstünden, dafür aber beim Zionismus in Begeisterungsstürme und Soldarisierungsbekundungen verfielen. Der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, attestierte dem Kongressabgeordneten aus Kentucky daraufhin sogar Antisemitismus. Eine echte Glanzstunde Massies – das muss ich auch als jemand, der mit Politik ansonsten wenig am Hut hat, anerkennen.
Unter Libertären gibt es, wenn ich das recht überblicke, zwei unterschiedliche Sichtweisen auf libertäre Politiker wie Massie oder früher Ron Paul. Die einen argumentieren, dass sie dem Anliegen der Freiheit einen Bärendienst erweisen, weil sie bei vielen freiheitlich gesinnten Menschen die Illusion erwecken, dass Veränderung im bestehenden Herrschaftssystem möglich sei. Wie viel produktive freiheitliche Energie wird dabei dann im politischen Prozess verschwendet, so die Kritiker, von den ganzen windelweichen Kompromissen, die das System einem abnötigt und der ständigen Gefahr, selbst moralisch Schaden zu nehmen, ganz zu schweigen. Der Gegenstandpunkt lautet, dass es doch gut sei, wenn libertäre Positionen überhaupt endlich einmal von der breiten Masse gehört würden. So argumentierte nach der Wahl des selbsternannten Anarchokapitalisten und baldigen Herrschers Argentiniens, Javier Milei, sogar der amerikanische Anarchist Larken Rose.
Und ich bin da ganz bei ihm. Meine Frau und ich kamen (unabhängig voneinander) mit libertären Ideen zum ersten Mal so richtig durch die Präsidentschaftskampagne von Ron Paul 2008 in Berührung. Meine Frau half danach sogar als County-Koordinatorin in Ron Pauls „Campaign for Liberty" mit. Paul war natürlich zu jedem Zeitpunkt klar, dass er nicht der nächste Präsident werden würde. Stattdessen nutzte er die Bühne, die ihm die republikanischen Vorwahlen boten, um ein Millionenpublikum mit libertären Ideen zu erreichen. Die meisten damaligen Weggefährten meiner Frau aus der „Campaign for Liberty“ sind heute übrigens nicht mehr politisch aktiv oder, wenn doch, dann nur noch auf lokaler Ebene etwa in der örtlichen Schulbehörde, wo man im Zweifel ohnehin mehr Sinnvolles bewirken kann, als es einem einzelnen Kongressabgeordneten in Washington möglich ist. Ich finde es interessant, wie viele über Pauls politischen minimalstaatlichen Ansatz mit der Botschaft der Freiheit in Kontakt kamen, dann dort aber meist nicht stehen geblieben sind, sondern sich weiterentwickelt und dabei oft Staat und Politik als eigentliche Wurzel des Übels erkannt haben.
Paul ist auch ein gutes Beispiel dafür, in welch schwierige Gewissenskonflikte man als libertärer Politiker geraten kann, der im bestehenden System, dessen Agenda von ganz anderen bestimmt wird, gegen den Strom schwimmen, dabei aber auch gerne sein Mandat behalten will. Als Paul beim Votum über den Afghanistan-Krieg im Repräsentantenhaus am 14. September 2001 die Wahl zwischen seiner politischen Zukunft und seinen antibellizistischen Prinzipien hatte, entschied sich Paul für seine politische Zukunft. Fairerweise muss man sagen, dass Paul in den Jahren danach zu einem der schärfsten Kritiker des Krieges avancierte und später als einer von nur sechs Republikanern im Repräsentantenhaus gegen den Militäreinsatz im Irak gestimmt hat.
Doch nicht immer sind Abstimmungen so eindeutig wie das Votum über Krieg und Frieden am 14. September 2001. Ein gutes Beispiel, wie schwierig es für einen libertären Politiker trotz guten Willens ist, stets seinen Prinzipien treu zu bleiben, illustriert gut die Abstimmung über die Cannabis-Legalisierung im Repräsentantenhaus am 1. April 2021. Damals standen mit Thomas Massie und Justin Amash, der damals noch dem Kongress angehörte, zwei libertäre Politiker auf unterschiedlichen Seiten der Abstimmung. Denn die Demokraten hatten in das Gesetzespaket zur Legalisierung (MORE Act) auch eine neue Steuer hineingeschrieben. Amash rechtfertigte sein Ja-Votum mit den zahlreichen Amerikanern, darunter vor allem Angehörige von Minderheiten, deren Leben durch die rabiate Drogenprohibitionspolitik seit den 70er Jahren vom Staat systematisch zerstört worden ist. Massie stimmte mit Nein mit der Begründung, er könne es nicht verantworten, für eine neue Steuer zu votieren. Was für eine unmögliche Entscheidung, vor der Amash und Massie da standen. Die Amerikaner würden sagen: between a rock and a hard place. Entweder Zehntausende Menschen, die nach wie vor wegen Cannabis-Delikten einsitzen oder in der Zukunft einsitzen werden, im Stich lassen oder sich durch die Einführung einer neuen Steuer mitschuldig an der Schaffung neuer opferloser Verbrechen machen. Wie hätten Sie abgestimmt? Ich neige je nach Tagesform entweder der Position Massies oder der von Amash zu. In sozialen Netzwerken warfen sich Unterstützer von Massie und Amash danach übrigens gegenseitig mangelnde Prinzipientreue vor. Mehr Spaltung unter Libertären? Da hat die Politik mal wieder ganze Arbeit geleistet.
Doch neben der Gefahr, sich wie damals Ron Paul selbst untreu zu werden oder wie Massie und Amash von vornherein durch das System in den Kompromiss gezwungen zu werden, würde mich eine dritte Sache als libertärer Politiker noch mehr frustrieren. Und zwar wie aufwendig und teilweise hoffnungslos es ist, um Mehrheiten für auch nur die kleinsten Common-Sense-Veränderungen zum Besseren zu werben. Ein gutes Beispiel dafür ist House Resolution 4726. Nach wie vor, und das ist vielen nicht bewusst, besteht in den USA Covid-Impfzwang. Und zwar als Voraussetzung für den Erhalt einer Green Card. Das möchte Massie nun mit seinem Gesetzesentwurf ändern. Doch House Resolution 4726 steckt seit dem Sommer im Ausschuss fest und mit seinen 25 Unterstützern (alle Republikaner) gibt das Portal govtrack.us der Initiative eine nur einprozentige Chance, umgesetzt zu werden. Und das betrifft wohlgemerkt nur die Covid-Impfung. An die weiteren obligatorischen Impfungen für Green-Card-Bewerber traut sich noch nicht mal Massie – und es wäre wohl auch aussichtslos. Ebenso wenig wie an die verpflichtende Röntgenuntersuchung für legale Einwanderer, die eher an kommunistische Diktaturen erinnert. „Medical Freedom“ gilt in Amerika, wenn überhaupt, nur für Staatsbürger. Ach ja: und für Asylbwerber. Die brauchen den staatlich vorgeschriebenen „Medical Check“ nämlich nicht, um ihren Aufenthaltstitel zu bekommen.
Freiheit kann man nicht an der Wahlurne erringen. Ich halte politisches Engagement heute bestenfalls für Zeitverschwendung und die nervliche Belastung nicht wert. Dennoch liegt es mir fern, den Stab zu brechen über Libertäre, die in die Politik gehen – zumindest solange man sich dabei nicht moralisch korrumpieren lässt wie so viele zuvor, die in dieses kriminelle Geschäft eingestiegen sind mit dem Ziel, das System zu verändern, dann aber selbst vom System verändert wurden. Ich denke übrigens, dass unter dem Strich Ron Paul und Thomas Massie gute Beispiele dafür sind, dass dies nicht zwangsläufig der Fall sein muss. Und was ihr ruhiges Gemüt angeht, halte ich beide übrigens für wesentlich bessere Botschafter für die Freiheit als die eher spalterische Persönlichkeit eines Javier Mileis.
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