Staatliche Ordnung: Der Kontroll- und Regulierungsstaat kennt keine freien Bürger
Anspruch und Wirklichkeit
von Thomas Jahn
von Thomas Jahn drucken
Wie ist die Bundesrepublik organisiert? Dazu liefert die zentrale Organisationsnorm des Grundgesetzes in Artikel 20 die Antwort: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“
Die Grundordnung dieses Staates ist damit auf dem Papier völlig unmissverständlich festgelegt: Der Bürger ist der Staat und bestimmt, wann, wo und in welchem Umfang die Organe dieses Staates tätig werden dürfen oder nicht. Leider klafft gerade in der zentralen Frage der Ausübung staatlicher Macht eine riesige Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Beleuchten wir dies anhand von nur drei Beispielen.
Wahlen und Abstimmungen setzen informierte Bürger voraus, die Informationen und Meinungen frei teilen können. Sobald die Ebene einer überschaubaren Gruppe wie die eines Dorfs mit 500 Einwohnern überschritten wird, funktionieren die Informationsbeschaffung und Meinungsbildung nur noch über Medien. Nach dem britischen Ökonomen und Historiker Antony Sutton sind dabei drei Ebenen zu unterscheiden:
Auf der ersten Informationsebene finden sich nur Informationen, die die Regierung verbreitet und bei denen es sich um Informationen handelt, die der Regierung nutzen und sie in ein positives Licht rücken. Der Begriff der „Regierung“ ist dabei weit zu verstehen und umfasst auch regierungsnahe Unternehmen, Institutionen, Parteien oder Lobbyverbände, denn der Kontroll- und Regulierungsstaat hat seine Tätigkeit inzwischen auf viele Schultern verteilt, wie mein drittes Beispiel zeigen wird. In der Bundesrepublik ist die Tätigkeit der Medien einer besonderen Regulierungsdichte unterworfen. Das 8,5 Milliarden schwere Imperium des öffentlich-rechtlichen Rundfunks suggeriert nach außen hin zwar Vielfalt und Staatsferne, ist tatsächlich aber über die zuständigen Aufsichtsgremien der Kontrolle der jeweiligen Landes- und Bundesregierungen unterworfen und hängt am Finanzierungstropf dieser Regierungen.
Mit einer zweiten Informationsebene können kritische und tatsächlich staatsferne Medien, Wissenschaftler, Politiker oder einfache Gruppen kritischer Bürger die offiziöse Darstellung der ersten Informationsebene anzweifeln. Es fehlt auf dieser zweiten Ebene aber meist an finanziellen und personellen Ressourcen, um zeitnah alle nötigen Informationen zu beschaffen, die für die möglichst objektive Beleuchtung aller Umstände eines Ereignisses nötig sind.
Als dritte Informationsebene bezeichnet Antony Sutton das, was wirklich geschieht und von dem die Regierung gerade nicht will, dass die Bürger es erfahren. Informationen hängen auf dieser Ebene nur vom Zufall oder von einem Datenleck ab. Die Öffentlichkeit ist also auf Personen aus dem Regierungsapparat angewiesen, die wie weiland Edward Snowden Geheimnisse preisgeben und bislang Verborgenes offenbaren. Erst wenn demnach alle Wahlberechtigten Zugriff auf diese dritte Informationsebene hätten, könnte die Staatsgewalt, wie von Artikel 20 des Grundgesetzes vorgesehen, wirksam ausgeübt werden.
Mein zweites Beispiel betrifft eine staatliche Institution, die im Grundgesetz nicht vorgesehen ist und die seit mindestens fünf Jahren immer mehr in die Kritik geraten ist. Ich spreche von den 16 Landesämtern und dem Bundesamt für Verfassungsschutz.
Bereits im Jahre 2003 hatte ich das zweifelhafte Vergnügen, auf einem Symposion der Hanns-Seidel-Stiftung eine Diskussion mit einem hohen Beamten eines Landesamtes für Verfassungsschutz führen zu können. Ich sprach ihn auf die für westeuropäische Demokratien ungewöhnliche Machtfülle der deutschen Verfassungsschutzbehörden an, vor allem wenn es darum geht, nicht im Parlament vertretene oder neu gegründete Parteien als verfassungsfeindlich einstufen zu können und damit eine Stigmatisierung auszulösen, die die politische Willensbildung stark erschwert. Die betroffenen Parteimitglieder, die im öffentlichen Dienst tätig sind, dürften sich meist ganz genau überlegen, ob sie das Risiko eines Beförderungsstopps bis hin zum Berufsverbot eingehen. Außerdem warf ich die Frage auf, ob er sich bewusst sei, welch ungeheure Gefahr in der Definitionsmacht liege, politische Konkurrenten als „verfassungsfeindlich“ einstufen zu können: „Was passiert eigentlich, wenn die NPD irgendwann einmal in einem Bundesland an die Macht gelangt, den Innenminister stellt und dann die vorhandenen Instrumentarien der politischen Polizei, also des Verfassungsschutzes nutzt, um die verbliebene politische Opposition zu gängeln oder gar auszuschalten?“
Natürlich wurde mir entgegnet, dass dieses Szenario völlig unrealistisch und im Übrigen der Begriff der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ nicht beliebig definierbar sei. Der überzeugte Verfassungsschutzbeamte sah natürlich gerade in der durch die Verfassungsschutzämter ausgestalteten „wehrhaften Demokratie“ den Garanten zur Verhinderung der Machtergreifung durch radikale Parteien. Natürlich zeigte er sich auch befremdet über meinen provokanten Diskussionsbeitrag, von dem ich auch nie gedacht hätte, dass es nicht einmal 20 Jahre dauern würde, bis die Regierung alleine bestimmt, wer ein Verfassungsfeind ist und wer nicht.
Um der Grundordnung dieses Staates Geltung zu verschaffen, wonach das Volk die Staatsgewalt mittels Wahlen und Abstimmungen ausübt, sind wahrhaft freie Wahlen erforderlich. Freie Wahlen setzen aber voraus, dass die Chancen für die Parteien, die mit ihren Kandidaten zu diesen Wahlen antreten, gleich sind. Die Gleichbehandlung von Parteien ist nicht nur Ausfluss des Parteienprivilegs nach Artikel 21 des Grundgesetzes, sondern kann nur durch die (partei-) politische Neutralität des Staates und seiner Organe gewährleistet werden. Daher sieht das Grundgesetz in Artikel 21 auch vor, dass nur das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungswidrigkeit einer Partei entscheiden kann, nicht etwa eine der Regierung unterstellte Behörde wie der Verfassungsschutz.
Die Stichworte „Freiheit der Wahl“ und staatliche Neutralität führen mich in meinem dritten und letzten Beispiel zum Thema Meinungsfreiheit und zum Demonstrationsrecht als besonderem Ausfluss der Meinungsfreiheit.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht den Nachtragshaushalt der „Ampel-Koalition“ vor über einem Monat für verfassungswidrig erklärt hatte, was Finanzminister Lindner zu einer Haushaltssperre veranlasste, meldeten sich sage und schreibe 56 (!) „zivilgesellschaftliche“ Organisationen mit einem Bettelbrief, der überschrieben war mit: „Eine unterfinanzierte Zivilgesellschaft gefährdet die Demokratie.“ Angeführt wurde der linke Reigen angeblicher „Nichtregierungsorganisationen“ von der berüchtigten Amadeu-Antonio-Stiftung und ihrer Leiterin, der ehemaligen Stasi-Mitarbeiterin Anetta Kahane. Der offene Brief machte endlich öffentlich, was Kritiker längst angeprangert hatten: Die seit Jahren wie Pilze aus dem Boden gesprossenen Vereine, Internetplattformen, Faktenchecker und andere selbsternannte „Förderer der Demokratie“ hängen allesamt am Tropf der Regierung. Sie handeln daher auch in ihrem Auftrag und sind das genaue Gegenteil von Nichtregierungsorganisationen, wenn sie im Kampf gegen Rechts Andersdenkende mit diffamierenden Kampagnen überziehen. Begonnen hat diese „Auslagerung“ von Staatsgewalt im Zuge der massiven Ausweitung des Kontroll- und Regulierungsstaates unter Bundeskanzler Gerhard Schröder, der im Oktober 2000 zu einem „Aufstand der Anständigen“ und zum Kampf gegen Rechts aufrief. Die Regierung weitete seitdem die Zahlungen an vermeintlich zivilgesellschaftliche Nichtregierungsorganisationen massiv aus. Eine aktuelle Bundestagsanfrage der AfD förderte zutage, dass die Bundesregierungen über das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend seit 2001 etwa 1,5 Milliarden Euro für den Kampf gegen Rechts ausgegeben hatte, getarnt als „Bundesprogramme zur Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung und Extremismusprävention“.
Diese Staatsausgaben zeigten auch die gewünschte Wirkung, gerade bei einem der vornehmsten politischen Grundrechte wie dem Recht auf Versammlungsfreiheit. Artikel 8 des Grundgesetzes sieht dabei natürlich nicht vor, dass die Regierung die jeweilige Versammlung organisiert und bezahlt. Genau das entspricht aber der von Gerhard Schröder eingeführten Praxis der letzten 23 Jahre: Regierungspolitiker und Vertreter der Funktionseliten lassen sich von den staatlich finanzierten „Nichtregierungsorganisationen“-Demos vor meist prominenter Kulisse wie dem Brandenburger Tor organisieren, auf denen dann Politiker wie Frank-Walter Steinmeier auftreten, wie zuletzt im Oktober 2023. Unvergessen auch die Staatsdemo des Jahres 2015 in Paris, angeführt von Merkel, Hollande und anderen Staatschefs, die durch Fotomanipulationen Berühmtheit erlangte. Noch erschreckender sind aber die vielen Tausend „Gegendemonstrationen“, die inzwischen jede regierungskritische Versammlung freier Bürger „begleiten“. Organisiert und finanziert werden diese linken Gegendemonstrationen zumeist von denjenigen „Demokratieförderern“, die auf der Lohnliste der Regierung stehen.
Dies alles zeigt: Das Papier des Grundgesetzes war viele Jahre lange zu geduldig. Der interventionistische Kontroll- und Regulierungsstaat, der seine Bürger ausplündert, um immer neue Institutionen der Kontrolle und der Meinungslenkung zu schaffen, ist der wahre Verfassungsfeind. Die rechtliche Grundordnung des Grundgesetzes, in deren Zentrum die Volkssouveränität nach Artikel 20 steht, lässt sich daher nur mit einem politisch neutralen Staat realisieren, der sich im Sinne eines Minimalstaates auf wenige wichtige Aufgaben, insbesondere die Gewährleistung der Grund- und Freiheitsrechte der Bürger und der äußeren Sicherheit, beschränkt.
Kommentare
Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.
Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.