23. Dezember 2023 22:00

Weihnachten fern der Heimat Ein Engel von der Magyar Posta

Wenn Menschlichkeit den Unterschied macht

von Thorsten Brückner

von Thorsten Brückner drucken

Artikelbild
Bildquelle: Minigirlmini / Shutterstock Mehr Mut zur Menschlichkeit: Nicht nur an Weihnachten

Abgesagte Weihnachtsmärkte, Impfpasskontrollen und Masken überall: Der Winter 2021/22 war eine düstere Zeit, die ich mit meiner Frau lieber in Ungarn ausgesessen habe. Auch da kam es zu Covid-Schweinereien ohne Ende. Umgeimpfte Staatsangestellte wurden entlassen, und zum Betreten von Einrichtungen mit über 500 Personen brauchte man einen Covid-Pass. Dazu kamen ähnliche Maskenschikanen wie in Deutschland. Und die Debatte über einen möglichen Impfzwang wurde zu dieser Zeit auch zwischen Szombathely und Debrecen geführt. 

Doch in zwei wichtigen Punkten unterschied sich Ungarn von Deutschland, was den Winter dort ziemlich angenehm machte. Erstens: Restaurants und Kneipen konnte man ohne Covid-Pass und Lappen im Gesicht zu jedem Zeitpunkt besuchen. Es war wohl die Wahl im März des darauffolgenden Jahres, die die Ungarn vor noch schlimmeren staatlichen Repressionen bewahrte. Und zweitens: Die Ungarn hielten sich zwar, für mich damals völlig überraschend, brav an alle Regeln (die Maskenquote im öffentlichen Nahverkehr in Budapest und Debrecen war annähernd bei 100 Prozent), doch in der Regel nicht aus Furcht vor Covid, sondern aus Angst vor Bußgeldern. Es kam vor, dass wir mit unseren nackten Gesichtern in bestimmten Läden nicht willkommen waren. In anderen wurden wir hingegen bedient und zu keinem Zeitpunkt hat sich irgendein anderer maskierter Kunde über uns beschwert. 

Vor allem zwei Erlebnisse aus diesem Winter werde ich nie vergessen, die mir in dieser dunklen Zeit meinen Glauben an das Gute in den Menschen zurückgegeben haben, den ich zuvor in Deutschland schon beinahe verloren hatte. In Budapest waren meine Frau und ich Teil einer Gruppe von Expats (aber auch einigen Ungarn), die sich regelmäßig in Kneipen oder Pubs trafen, gemeinsam tanzen oder im Winter auch auf einen Stadtbummel mit Weihnachtsmarktbesuch gingen. Was meine Frau und ich zu diesem Zeitpunkt nicht auf dem Schirm hatten: Der große Weihnachtsmarkt am Vörösmarty-Platz durfte damals nur mit Covid-Zertifikat betreten werden. Da standen wir dann als einzige Umgeimpfte inmitten einer Gruppe von etwa 20 Personen, die wir gerade erst seit ein paar Wochen kannten. Doch nachdem langsam durchgesickert war, warum uns der Einlass verwehrt wurde, erlebte ich das pure Kontrastprogramm zu Deutschland. „Wenn wir nicht alle reindürfen, gehe ich auch nicht rein“, hörte ich bald den Ersten sagen. Zustimmendes Nicken. Andere fingen bereits an, in ihren Smartphones nach Alternativen in der Umgebung zu suchen. Am Ende hat keiner von unserer Gruppe an diesem Tag den Weihnachtsmarkt betreten. Und bei keinem habe ich Unmut darüber vernommen, der sich gegen uns gerichtet hätte. Von manchen hörte ich später, dass sie aufgrund dieser Erfahrung sogar den ganzen Dezember hindurch diesen Weihnachtsmarkt gemieden hätten, obwohl sie doch einfach nur ein kleines Dokument hätten vorzeigen müssen, in dessen Besitz sie ja waren. Geimpfte gegen Umgeimpfte aufzuhetzen, hat scheinbar in Deutschland besser geklappt als anderswo.

Es war ein großartiger Winter. Auch ohne viel Schnee, der Budapest in der Weihnachtszeit gleich noch magischer macht. Vielleicht auch, weil das Leben noch erschwinglich war, zumindest für uns als Ausländer, die ihr Einkommen nicht in Forint überwiesen bekamen. Die bereits Monate vor dem Ukraine-Krieg einsetzende Teuerung wurde durch den starken Einbruch des Forints für uns damals glücklicherweise noch abgefedert. Der einzige Wermutstropfen war, dass aufgrund der Umstände ich erstmals seit Jahren meine Eltern an Weihnachten nicht würde sehen können. Deswegen war bereits seit Mitte Dezember ein Riesenpaket für uns aus der Heimat unterwegs, voll mit Nürnberger Bratwürsten, Weißwürsten, eingedostem Presssack und einer Flasche selbstgebrautem Bier – was der Franke in der Ferne halt so vermisst. Dazu Mamas selbstgebackene Plätzchen, Lebkuchen und Weihnachtsgeschenke. Doch das Paket kam und kam nicht. Die ungarische Post macht überwiegend eine gute Arbeit. Doch die Überlastung mit Paketen in diesem Covid-Winter, in dem die Ungarn auch wie wild online bestellten, war gigantisch. Als unser Postbote auch am Vormittag des 24. Dezember kein Paket für uns dabeihatte, war ich ziemlich niedergeschlagen, auch weil ich wusste, wie viel es gerade in der damaligen Situation meinen Eltern bedeutete. Meine Frau hingegen wollte so leicht nicht aufgeben und rief unsere ungarische Freundin Katalin an. Am Heiligen Abend um zwölf Uhr. Doch während mein in Deutschland sozialisiertes Hirn keine Möglichkeit mehr sah, noch zu Weihnachten an dieses Paket zu kommen, war unsere ungarische Freundin offenbar fest entschlossen, ein Weihnachtswunder möglich zu machen. Und ich erzähle nicht nur deshalb davon, weil es für mich in diesem Moment der ultimative Akt gelebter Nächstenliebe war, sondern auch, weil das, was dann passierte, in Deutschland wahrscheinlich undenkbar gewesen wäre. 

Denn nachdem sie das Paket lokalisiert hatte, erreichte unsere Freundin an diesem 24. Dezember tatsächlich telefonisch noch eine Mitarbeiterin, die in der bereits geschlossenen Filiale der Magyar Posta gerade ihre Sachen zusammenpackte und in den Weihnachtsurlaub gehen wollte. Was die Postmitarbeiterin dann tat, hätte ihr den Job kosten können. Ohne irgendeinen Ausweis zu sehen, einfach nur auf das Wort unserer Freundin Katalin am Telefon vertrauend, schleppte sie das 20 Kilo schwere Paket in ihr Auto und fuhr es quer durch Budapest zu der Wohnung unserer Freundin. Dort holte ich es am späten Nachmittag ab, nicht ohne mir von Katalin die Nummer der Frau geben zu lassen, die mein Weihnachten gerettet hatte. „A kedves postás hölgynek“, „an die nette Frau von der Post“, schrieb ich am selben Abend noch eine SMS, bedankte mich bei ihr für „karácsonyi csodánk“, „unser Weihnachtswunder“, und erhielt damals auch eine unglaublich herzliche Antwort. Auch die ungarische Post hat ganz klare Regeln für die Abgabe von Paketen, um sicherzustellen, dass diese auch den tatsächlichen Adressaten erreichen. Die Postangestellte ging an diesem Heiligen Abend ein hohes Risiko ein, weil sie in einem Ausnahmefall vorgeschriebene Abläufe und Regeln nicht der Menschlichkeit opfern wollte. In dieser Hinsicht ist ihr Verhalten tatsächlich auch charakteristisch für einen großen Teil der Ungarn und markiert meiner Meinung nach einen Mentalitätsunterschied zu Deutschland. 

Unser Jahr in Ungarn war so reich an Erlebnissen, auch nicht so schönen. Etwa ein Polizist, der meine damals schwangere Frau zum Tragen einer Maske in der Ausländerbehörde nötigen wollte. Oder all die vielen Male, an denen mir an Geschäften die Tür gewiesen wurde. Doch am Ende des Tages denke ich, wenn ich an unsere Zeit in Ungarn denke, nicht an Orbáns Covid-Schikanen oder autoritäre Polizisten, sondern an all die wunderbaren Menschen unserer Expats-Gruppe und vor allem diese eine Frau von der Post. Mich hat dieses Erlebnis jedenfalls inspiriert, die Augen offen zu halten und vielleicht selbst einmal ein Weihnachtswunder für jemand anderen möglich zu machen – auch wenn das unter Umständen bedeutet, mal meine eigene Komfortzone etwas zu verlassen.

Für mich steckt dahinter nicht nur eine starke christliche, sondern auch eine enorm wichtige freiheitliche Botschaft. Am Ende sind es solche Akte der Freundlichkeit und Nächstenliebe, die Vertrauen unter den Menschen schaffen. Und vertrauensvolle Beziehungen sind die Grundlage für freiwilliges Handeln und Wirtschaften außerhalb des staatlichen Rahmens. Etwa beim Thema Schwarzarbeit. Aber auch wenn man weiterdenkt, in Richtung des Ideals einer herrschaftsfreien Gesellschaft. Deswegen hetzt die Politik ja so gerne gesellschaftliche Gruppen gegeneinander auf. Menschen, die sich in Misstrauen und Zwietracht verbunden sind, sind Knetmasse in den Händen autoritärer Psychopaten.  


Sie schätzen diesen Artikel? Die Freiheitsfunken sollen auch in Zukunft frei zugänglich erscheinen und immer heller und breiter sprühen. Die Sichtbarkeit ohne Bezahlschranken ist uns wichtig. Deshalb sind wir auf Ihre Hilfe angewiesen. Freiheit gibt es nicht geschenkt. Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit.

PayPal Überweisung Bitcoin und Monero


Kennen Sie schon unseren Newsletter? Hier geht es zur Anmeldung.

Artikel bewerten

Artikel teilen

Kommentare

Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.

Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.