Wirtschaft: Die Ökonomik der Diskriminierung – Teil 1
Wie Marktmechanismen gegen Diskriminierung wirken
von Karl-Friedrich Israel (Pausiert)
von Karl-Friedrich Israel (Pausiert) drucken
Diskriminierung ist ein Thema, das insbesondere viele junge Menschen beschäftigt. Sie erscheint ungerecht. Sie führt dazu, dass Menschen ohne eigenes Dazutun einen Schaden erleiden. Ohne gute Gründe bleibt einigen Menschen ein annehmlicher Arbeitsplatz verwehrt. Oder sie bekommen für die gleiche Leistung eine geringere Entlohnung. Beim Karriereaufstieg werden ihnen Steine in den Weg gelegt. Beförderungen und Gehaltserhöhungen bleiben aus. Die Welt wäre einfach besser ohne Diskriminierung.
Das mag so sein. Der Ökonom in seiner Funktion als Wissenschaftler schweigt allerdings über derartige normative Fragen. Ob Diskriminierung notwendigerweise schlecht ist, vermag er nicht zu sagen. Entscheidend ist, dass sie nun einmal existiert. Der Ökonom fragt in erster Linie danach, wie sich Diskriminierung in unterschiedlichen institutionellen Kontexten auswirkt. Der Vordenker der ökonomischen Analyse von Diskriminierung ist der amerikanische Nobelpreisträger Gary Becker.
Becker schrieb seine Doktorarbeit an der Universität Chicago mit dem Titel „The Economics of Discrimination“. Er hielt zunächst fest, dass es viele verschiedene Gründe für Diskriminierung geben kann. Sie können kultureller, soziologischer, möglicherweise biologischer Natur sein. Manchmal ist Diskriminierung schlichtweg auf Unwissenheit zurückzuführen. Aus Sicht des Ökonomen ist aber lediglich entscheidend, dass es bei Individuen eine unterschiedlich stark ausgeprägte Präferenz zur Diskriminierung gibt. Warum auch immer. Einige Menschen wollen diskriminieren. Manche mehr, manche weniger.
Um diesen Grundgedanken in ein ökonomisches Standardmodell einzubauen, braucht man eine konkretere Definition von Diskriminierung. Im Kontext des Arbeitslebens lässt sich Diskriminierung aufseiten des Arbeitgebers zum Beispiel durch einen impliziten Preisaufschlag auf den Lohn verstehen.
Wenn der Arbeitslohn für eine Person bei 1.000 Euro liegt, so wird sich der Arbeitgeber fragen, ob die Arbeitsdienste dieser Person dem Unternehmen mindestens 1.000 Euro zusätzliche Gewinne bescheren. Wenn ja, beschäftigt der Arbeitgeber diese Person. Wenn nicht, dann nicht. Gehört die Person allerdings einer Gruppe an, gegen die der Arbeitgeber diskriminiert, so ist nicht der tatsächlich zu zahlende Arbeitslohn entscheidend. Der Arbeitgeber wird sich verhalten, als ob er tatsächlich mehr als 1.000 Euro Lohn zahlen müsste. Vielleicht ist die Präferenz zur Diskriminierung so ausgeprägt, dass sich das Einstellen dieser Person für den Arbeitgeber so anfühlen würde, als müssten tatsächlich 1.200 Euro gezahlt werden. Es gibt in diesem Fall also einen Diskriminierungsaufschlag von 20 Prozent auf den zu zahlenden Lohn. Dies sind keine monetären Kosten. Es sind implizite psychische Kosten, die dem Arbeitgeber entstehen, wenn er eine Person dieser Gruppe einstellt.
Stellen Sie sich etwa die ökosozialistische Betreiberin eines Biosupermarktes vor, die herausfindet, dass der Student, der die Regale befüllt, letzten Monat auf der ef-Jahreskonferenz war und heimlich mit dem Anarchokapitalismus liebäugelt. Er folgt auch Leuten wie Javier Milei auf Twitter (X). Das muss man sich mal vorstellen! Es fühlt sich schrecklich an, eine solche Person zu beschäftigen. Das kann man überhaupt nur dann aushalten, wenn diese Person ansonsten richtig gute Arbeit leistet. Unter den Annahmen des obigen Zahlenbeispiels muss der Student also 20 Prozent produktiver sein, um angestellt zu bleiben. Er muss der Ladenbetreiberin mindestens 1.200 Euro zusätzliche Gewinne bescheren.
Formal kann man es auch so ausdrücken: Der diskriminierende Arbeitgeber stellt die Person nur dann ein, wenn sie dem Unternehmen deutlich höhere Gewinne ermöglicht. Deshalb muss entweder das Lohnniveau dieser Person sinken oder sie muss deutlich produktiver sein. Oder beides. Die zusätzlichen Gewinne, die dem Abreitgeber dann zufließen, müssen groß genug sein, damit seine subjektive Präferenz zur Diskriminierung kompensiert wird.
Jetzt könnte man denken, dass die ökosozialistische Bioladenbetreiberin für ihre Präferenz zur Diskriminierung gegen Anarchokapitalisten auch noch belohnt wird. Das wäre aber zu kurz gedacht. Wenn man ein wettbewerbliches Wirtschaftssystem voraussetzt, so entstehen Anreize für andere potenzielle Arbeitgeber, den äußerst produktiven Studenten einzustellen. Dieser Anreiz bleibt bestehen, solange die sozialistische Bioladenbetreiberin den Studenten unterhalb seiner Grenzproduktivität bezahlt (und damit ausbeutet!). Die Präferenz zur Diskriminierung gegen Anarchokapitalisten ist ja glücklicherweise unterschiedlich stark ausgeprägt. Es gibt potenzielle Arbeitgeber, denen es ganz egal ist, was der Student in seiner Freizeit macht oder die das, was er macht, sogar gut finden. Solche Arbeitgeber wären vielleicht sogar bereit, dem Studenten einen zu hohen Lohn zu zahlen, weil man solche jungen Leute, von denen es viel zu wenig gibt, fördern müsse. In solch einem Fall der positiven Diskriminierung ist offensichtlich, dass der Diskriminierende für seine Präferenz einen Preis zahlt. In einem wettbewerblichen Marktsystem ist dies grundsätzlich so, ob nun positiv oder negativ diskriminiert wird.
Der springende Punkt ist also, dass in einem wettbewerblichen System materielle Anreize bestehen, die dafür sorgen, dass sich das Ausleben von Diskriminierungspräferenzen in gewissen Grenzen hält. Diskriminiert man zu stark, zahlt man einen zu hohen Preis dafür. Die sozialistische Bioladenbetreiberin würde ihren produktiven Anarcho verlieren. Sie müsste ihn vielleicht durch eine chronisch übermüdete Literaturwissenschaftlerin ersetzen, die zweimal im Monat krankgeschrieben ist, aber dafür immerhin mit dem Fahrrad zur Arbeit kommt (wenn sie denn kommt). Vielleicht findet die Bioladenbetreiberin diese Situation sogar besser. In jedem Fall zahlt sie aus betriebswirtschaftlicher Sicht einen Preis dafür. Die Diskriminierung gibt es nicht gratis.
Bei einer gegebenen Verteilung von Diskriminierungspräferenzen unterschiedlichster Art über die Gesellschaft hinweg werden die Probleme von Diskriminierung überall dort stärker zutage treten, wo wettbewerbliche Anreize fehlen – also dort, wo man ungestraft seiner Diskriminierungslust frönen kann. Gary Becker hatte in seiner Doktorarbeit, die erstmals 1957 publiziert wurde, zum Beispiel gezeigt, dass der Anteil an schwarzen Arbeitnehmern in den USA in wettbewerblichen Wirtschaftssektoren deutlich höher ist als in monopolistischen. Dort, wo der Wettbewerb fehlt, lebt sich die Diskriminierung gegen die schwarze Minderheit einfacher aus. Dort, wo es Wettbewerb gibt, muss man für sie bezahlen. Arbeitgeber, die nicht diskriminieren oder zumindest weniger diskriminieren, haben eine zusätzliche Gewinnmöglichkeit, indem sie unterbezahlte Personen, gegen die diskriminiert wird, abwerben und zu besseren Konditionen einstellen.
Vielleicht wäre eine Welt ohne Diskriminierung wünschenswert. Eine Wettbewerbswirtschaft hilft dabei, sich diesem Ideal anzunähern.
G.
Becker (1971): The Economics of Discrimination. The University of Chicago
Press
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