Ökonomik: Steuern treffen immer die Falschen
Über Steuerinzidenz und Wohlfahrtsverluste
von Karl-Friedrich Israel (Pausiert)
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Steuern sind eine Last. Sie führen zu Wohlfahrtsverlusten für diejenigen, die die Last tragen. Deshalb liegt es im Interesse des Staates, der sich über Steuern finanziert, diese Last nicht übermäßig ansteigen zu lassen. Man sollte so besteuern, dass bei einem gegebenen Steueraufkommen die Schmerzen minimiert werden. Aus Sicht des Staates ist es am besten, wenn man es gar nicht direkt merkt. Die tatsächliche Verteilung der Last bleibt oft im Dunkeln. So besteht immerhin die Möglichkeit, dass sich die Betroffenen einbilden, dass sie gar nicht betroffen sind. Sie denken, dass andere die Rechnung zahlen.
Die Theorie der optimalen Besteuerung, mit der Studenten der Volkswirtschaftslehre im Grundstudium konfrontiert werden, empfiehlt Folgendes: Der Staat sollte dort besteuern, wo trotz Steuer die umgesetzte Menge gar nicht oder nur geringfügig verringert wird. Der dahinterliegende Grundgedanke ist ganz einfach: Jeder Tausch vollzieht sich zum gegenseitigen Vorteil. Wenn sich durch Besteuerung Produkte verteuern, dann werden einige Tauschhandlungen nicht durchgeführt, die andernfalls durchgeführt worden wären. Hier entsteht ein echter Wohlfahrtsverlust, der noch über die eigentliche Steuerlast hinausgeht, denn natürlich fallen für nicht durchgeführte Transaktionen keine Steuern an. Dennoch verlieren die Marktakteure den Nutzen, der ihnen aus dem Tausch entsteht. Wenn aber trotz Steuer die umgesetzte Menge relativ hoch bleibt, dann sei dieser Wohlfahrtsverlust gering. In diesem Fall wird ja weiter getauscht wie bisher, fast so, als gäbe es die Steuer gar nicht.
Diese Analyse, die in allen Standardlehrbüchern des Faches in einer etwas formaleren Form vorgestellt wird, greift viel zu kurz, denn die möglichen Wohlfahrtsverluste einer Besteuerung beschränken sich keinesfalls nur auf den Markt, in dem die Steuer erhoben wird. Wenn trotz Steuer weiter so viel gekauft wird wie bisher, obwohl das gehandelte Produkt durch die Steuer teurer geworden ist, dann müssen die Käufer sich notwendigerweise in anderen Märkten beschränken. Sie geben nun insgesamt mehr Geld für das besteuerte Produkt aus als zuvor. Das heißt, dass notwendigerweise weniger Geld für andere Dinge übrig bleibt. Es wird also andere Märkte geben, in denen der Umsatz notwendigerweise zurückgeht. Hier kommt es zu weiteren Wohlfahrtsverlusten, obwohl die Steuer in diesen Märkten gar nicht erhoben wird.
Nehmen Sie an, dass der Staat eine Steuer auf Benzin erhebt, die den Verkaufspreis an der Tankstelle verdreifacht. Überall dort, wo es sich ohne große Probleme machen lässt, werden nun Fahrten eingespart. Der Benzinverbrauch geht zurück. Aber viele Fahrten müssen trotz der hohen Benzinpreise schlichtweg unternommen werden. Man kann und will nicht auf alle Fahrten verzichten. Vielleicht sinkt der mengenmäßige Benzinverbrauch insgesamt um ein Drittel. Dies würde bedeuten, dass insgesamt nun doppelt so viel Geld für Benzin ausgegeben wird wie zuvor. Dieses Geld muss irgendwo anders herkommen. Vielleicht aus der Urlaubskasse der Verbraucher, die nun einmal weniger in die Berge oder ans Meer fahren. Die Hoteliers und Gastronomen werden Einkommenseinbußen erleiden und tragen deshalb indirekt einen Teil der Steuerlast mit, selbst dann, wenn sie selbst gar kein Auto fahren.
Diese Verflechtungen innerhalb einer komplexen Volkswirtschaft werden zu häufig übersehen. Nicht nur das, was dem Betrachter direkt ins Auge springt, ist für die ökonomische Analyse relevant. Auch mögliche sekundäre Effekte, die sich erst durch sorgfältiges Nachdenken erkennen lassen, sind potenziell bedeutsam. Manchmal sogar entscheidend.
In vielen Fällen spielt es dem Staat in die Karten, dass die Menschen die sekundären Effekte von Steuern nicht verstehen. Deshalb rufen sie nach höheren Steuern. Sehr beliebt sind zum Beispiel Gewinnsteuern für Unternehmen. Dabei erkennen sie nicht, dass derartige Steuern potenziell auch Menschen treffen, auf die sie es gar nicht abgesehen haben. Gewinnsteuern werden nämlich nicht von Entitäten wie „Unternehmen“ getragen. Nur echte Menschen aus Fleisch und Blut tragen Steuerlasten. Gewinnsteuern treffen die Anteilseigner in Form von geringeren Kapitaleinkommen, aber sie wirken sich auch negativ auf das Lohnniveau der Angestellten aus. Sie müssen Lohnkürzungen hinnehmen oder mit geringeren Lohnerhöhungen leben. Es kann auch sein, dass sich bei gleichbleibenden Löhnen die Arbeitsbedingungen in anderer Form verschlechtern. Vielleicht muss man den Arbeitsplatz jetzt selbst putzen, weil an den Reinigungskosten gespart wird.
Was auch immer es ist, man wird versuchen, auf die eine oder andere Weise die Kosten zu drücken, um die Gewinnmargen hochzuhalten. Dies wird sich auch in einer schlechteren Qualität der hergestellten Produkte oder in geringeren Produktionsmengen äußern. Nicht nur die Angestellten, sondern auch die Verbraucher werden deshalb einen Teil der „Unternehmenssteuer“ tragen müssen. Man sollte sich also genau überlegen, ob Steuern der richtige Weg sind. In einem undurchschaubaren Geflecht wirtschaftlicher Beziehungen und Entwicklungen treffen sie immer die Falschen.
Fegley, T., Hansen, K. und Israel, K.-F. (2023): „Clarifying the Analysis of Deadweight Loss from Taxation“, Journal des Économistes et des Études Humaines.
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