Trauer um eine deutsche Legende: Der Kaiser ist tot
Zum Tode von Franz Beckenbauer
von Stephan Unruh
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Als ich am Montag vergangener Woche vom Ableben des Kaisers, dem einen oder anderen auch als Franz Beckenbauer bekannt, erfahren habe, war ich traurig. Nicht, dass ich den Mann persönlich gekannt hätte, aber er hat mich den Großteil meines Lebens doch stets in verschiedensten Formen begleitet: Seine aktive Karriere habe ich nicht mehr mitbekommen, dafür bin ich zu jung, aber die WM 1986, als Deutschland gegen das Argentinien Maradonas im Finale mit 2:3 den Kürzeren zog, war meine erste voll bewusst erlebte Fußballweltmeisterschaft. Das damalige Panini-Album ist das einzige, bei dem es mir gelang, es vollständig zu befüllen. Ich habe es übrigens immer noch. Die WM 1990 mit dem Titel als Abschluss war natürlich ein noch tieferes Erlebnis in meiner sich damals gerade im Beginn befindlichen Jugend.
Unendlich viele Momente fallen mir zu Franz Beckenbauer ein – beispielsweise der Torwandschuss im ZDF-Sportstudio vom dreiviertelvollen Weißbierglas aus nach gewonnener Meisterschaft oder der einzige UEFA-Cupgewinn des ruhmreichen FC Bayern, bei dem Kaiser Franz an der Seitenlinie und ich irgendwo im oberen Teil der Südkurve des Olympiastadions standen (ich meine, die Karte kostete damals unter 20 D-Mark und war entspannt im Kartenvorverkauf zu bekommen). Aber auch jenseits des Fußballs: das launige Segment „Zwei Stühle, eine Meinung“ der RTL-Samstag-Nachtshow, das zu einem Gutteil davon lebte, dass Olli Dietrich das langgezogene kaiserlich „Na gut, ähhh“ noch besser als die Lichtgestalt selbst intonierte, oder die Steilvorlagen, die Franz Beckenbauer dem genialen Harald Schmidt für seine Show lieferte. Legion sind auch seine Bonmots, mit denen er seine und die Fehltritte anderer kommentierte – von „Der Uwe-Seeler-Gedächtnistruppe“ über die „Rumpelfußballer“ bis hin zu „Der Herrgott freut sich über jedes Kind“.
Im Ausland war Beckenbauer zweifelsohne einer der drei bekanntesten Deutschen der Geschichte – ob in Mexiko, Mosambik oder Malaysia: Jeder kannte ihn. (Die anderen beiden sind übrigens Adolf Hitler und Michael Schumacher.) Und wie kein Zweiter steht er auch für den Aufstieg und Niedergang der Bundesrepublik, jenes besseren Deutschlands, bei dem sicher nicht alles gut, aber doch vieles um Welten besser war als in der heutigen Buntesrepublik.
Aus ganz kleinen und bescheidenen Verhältnissen im (damaligen) Giesinger Glasscherbenviertel kommend, schaffte er mit dem FC Bayern zunächst den Aufstieg in die Bundesliga, eroberte dann mit feinster Technik, aber eben auch Demut und Bescheidenheit erst die Liga, dann Europa und schließlich die Welt – auf der Position des Liberos, also des „freien Mannes“. Das ist quasi die Geschichte der Bundesrepublik in kurz und klein. Mit Fleiß, Demut, Freundlich- und Höflichkeit und vor allem brillianter Technik, aber eben auch einem gehörigen Maß an Freiheit eroberte die Bundesrepublik nach dem heimischen Wirtschaftswunder die Weltmärkte und war in den 1970ern und 1980ern zweifelsohne auf dem Zenit.
Wie sehr sich diese Republik dann seit der Wiedervereinigung verändert hat, zeigt der Umgang Deutschlands und der Deutschen mit dem dritten Titel, den ihnen Franz Beckenbauer bescherte: Der Kaiser brachte die WM 2006 nach Deutschland. Das Land, in dem jahrzehntelang Bestechungsgelder unter der Bezeichnung „besondere Aufwendungen“ steuerlich geltend gemacht werden konnten, hatte offenkundig vergessen. wie es in der Welt so zugeht, und damit begonnen, sich moralisch zu überhöhen. Es ist bezeichnend, dass der Skandal just zu jener Zeit aufkam, als die schreckliche Rautenhexe und ihr Regime Millionen von Arabern und Afrikanern importierte und die naiven Deutschen ihr „Wir schaffen das“ für bare Münze nahmen, so wie sie auch plötzlich naiv und weltvergessen glaubten, dass ein Event wie die WM nur mit einigen Handschlägen, freundlichem Lächeln und einer ordentlichen Bewerbungsmappe „heimgeholt“ werden könne – und dass derjenige, der sich um die Organisation des Ganzen kümmert und dafür wenigstens zwei Jahre seines Lebens opfert, dies ohne jedwede Entlohung tut.
Ab da war die Lichtgestalt – zumindest für Medien und Medienmacher – keine mehr, und kein Artikel, kein Kommentar und keine Begegnung kamen ohne das „Ja, aber …“ aus. Mit dem Zeigefinger moralisierend, wie die neue Republik nun einmal ist, wurde auf Beckenbauer gezeigt („Es hat sich ausgefranzelt“, schrieb die „Augsburger Allgemeine“beispielsweise) und man empörte sich, dass er für seine Tätigkeit als Chef des Organisationskomittees indirekt doch bezahlt wurde – vom Werbepartner Oddset. Eine juristische Verurteilung, wie sie sich die Pharisäer aller Couleur wohl erhofft hatten, verhinderte zunächst der immer schlechtere Gesundheitszustand Beckenbauers und jetzt endgültig Freund Hein.
Nun also ist er aller Sorgen entledigt. Mit ihm ist symbolisch auch einmal mehr die alte Republik verstorben. Mögen beide in Frieden ruhen.
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