Top Spin: Der böse Bauer: Manipulative Mistgabel-Rhetorik
Wie Politiker und Medienschranzen den Landwirt dämonisieren
von David Andres
von David Andres drucken
Wie Sie womöglich wissen, verdiene ich meine alltäglichen Brötchen durch das wohlgesetzte manipulative Wort. Als Werbetexter, oder wie man heute sagt, als Copywriter, stelle ich Produkte und Dienstleistungen medienübergreifend in bestem Licht dar. Hin und wieder verfasse ich Reden, allerdings nicht für die Politik, sondern etwa anlässlich von Firmenjubiläen oder vergleichbaren festlichen Anlässen. An diversen, meist privaten Lehranstalten, vermittle ich die Grundlagen der Rhetorik und somit auch all der Tricks, mit denen man Narrative erschafft, am Laufen hält oder in eine bestimmte Richtung dreht, ihnen somit also einen gewissen „Spin“ verschafft. Sie kennen das Wort vom „Spindoctor“ als professionellem Berater von Politik und Wirtschaft, der dem Geschehen einen gewissen Dreh verleiht, auf dass aus ihm eine ganz bestimmte Geschichte wird, mit Helden und Schurken.
Die seit rund einer Woche massiv protestierenden Bauern sind laut Umfragen für rund 70 Prozent der Bevölkerung Helden. Das darf natürlich nicht so bleiben, denn dann wären die Schurken ja die derzeitige Elite der Politik, der Medien und der staatsnahen Wirtschaft, denn gegen deren Anmaßungen richtet sich schließlich der Aufstand, dem sich längst auch Speditionen oder handwerkliche Betriebe angeschlossen haben. Folglich ging es pünktlich mit den Protesten los mit einer Rhetorik der Häme, der Abschätzigkeit und der Dämonisierung. Arno Frank vom „Spiegel“ machte aus den protestierenden Landwirten einen „motorisierten Mistgabelmob“. Noch mehr als über seinen Einfall dieser Dreifach-Alliteration dürfte der Mann über sich selbst deswegen sehr erregt gewesen sein, weil er den Protesten noch den Spin mitgab, überhaupt keine Graswurzel-Revolte von unten zu sein, sondern gesteuert von der „beinahe allmächtigen Agrarlobby“. Erwähnt wiederum umgekehrt einer von „uns“, wie die Klimakleber-Sabotagen de facto gesteuert sind von solventen Geldgebern aus den USA, ist er freilich ein Verschwörungsschwurbler.
Die Äußerung von Renate Künast, dass Kinder auf dem Schulweg „sehr viel Angst“ vor den Bauern bekämen, ist hingegen längst zum Meme geworden, dass der Politik auf die Füße fällt. Findige Content-Creator nehmen den O-Ton der verhärmten Volkserzieherin und schneiden ihn mit Videomaterial von Kindern zusammen, die den Treckern freudig zuwinken. Das ist der große Vorteil der modernen Zeiten – jeder Spin der Mächtigen kann durch geschicktes Remixen sofort dermaßen gekonnt retourniert werden, dass man sie, wie auf dem Tennisplatz, auf dem völlig falschen Fuß erwischt.
Wenn die Bauern den armen Kindern nicht gerade Angst machen oder sich von der Agrar-Lobby instrumentalisieren lassen, werden sie im mindesten massiv unterwandert von „rechten Kräften“, was Christian Lindner zu einem jetzt schon legendären Appell veranlasste, der seiner FDP womöglich auf einen Schlag weitere eineinhalb Prozent der restlichen fünf gekostet hat: „Sie haben sich verrannt, bitte kehren Sie um.“ Einem Vizekanzler die Fähre blockieren oder anderweitig Nötigung begehen, dass sei nicht länger „verhältnismäßig und im Rahmen der demokratischen Ordnung“, sagte Lindner auf dem Dreikönigstreffen der Partei. Jeder denkende Mensch vor den Fernsehschirmen fragt sich dabei natürlich: Aha, und die Klimakleber, die nicht nur nötigen, sondern zwecks der dringlichen Rettung der Welt ganz offen die Langsamkeit demokratischer Prozesse ablehnen, die bekommen kein lindnerisches Fett weg?
Nikolaus Blome schließlich, spätestens seit der Corona-Epoche hauptberuflicher Mobber (er forderte, die Gesellschaft möge „mit dem Finger“ auf die Ungeimpften zeigen), warf ähnlich des „Spiegel“-Mitarbeiters ein neues Schimpfwort in die Runde. Er nennt die Bauern den „Kartoffel-Mob“, was einen der Beschimpften, Bauer Willi, in seinem Blog direkt darauf brachte, hoffnungsfroh zu betonen, dass Blome sogar in den Kommentaren unter seinem eigenen X-Account dafür nur Gegenwind erntete. Jener Bauer Willi, also Willi Kremer-Schillings, hat übrigens bereits in einigen Büchern zahlreiche Dilemmata aus dem realen Leben der Landwirte dargelegt, zuletzt in „Satt und unzufrieden. Bauer Willi und das Dilemma der Essensmacher“. Man darf davon ausgehen, dass weder die Künast noch der Lindner und erst Recht nicht der Herr Blome jemals einen Blick hinein geworfen haben.
Quellen:
Wenn der Landmann wirklich wütend wird (Spiegel)
Lindner appelliert an Landwirte: „Bitte kehren Sie um“ (Tagesschau)
Die Aff-Fähre und der Kartoffel-Mob (Bauer Willi)
Willi Kremer-Schillings - Satt und unzufrieden. Bauer Willi und das Dilemma der Essensmacher (Westend)
Kommentare
Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.
Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.