Freiheit und Geschichte: Die Revolution des gemeinen Mannes
Erinnerungen an den Deutschen Bauernkrieg
von Oliver Gorus
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Den Bauern in Süddeutschland ging es vor 500 Jahren miserabel. Um ihre Freiheit stand es schlecht. Sie bildeten vier Fünftel der Bevölkerung, aber sie waren politisch nicht repräsentiert: Niemand setzte sich für ihre Rechte ein. Im Gegenteil, sie wurden durch die Bischöfe und die Fürsten mit viel zu hohen Steuern, Abgaben und Zwangsdiensten ausgebeutet. Der erste und zweite Stand lebten auf Kosten des dritten Stands in Saus und Braus. Es war ein komplett parasitärer Gesellschaftsentwurf: Eine allmächtige, aber vollkommen unproduktive Minderheit lebte von den Erträgen, die die rechtlose Mehrheit alleine mit ihrer Arbeitskraft und Lebenszeit erwirtschaftete.
Weitere allgemein gültige Regeln und Verbote machten den Bauern das Leben zusätzlich schwer: Sie durften gegen den Willen des Fürsten nicht um- oder wegziehen, sie durften sich die Ehefrau nicht ohne die Erlaubnis des Fürsten frei wählen und konnten deshalb nicht durch kluges Heiraten ihre wirtschaftliche Situation verbessern. Sie durften ihre Gemeinden nicht selbst verwalten, und sie hatten vor Gericht keine Chance, zu ihrem Recht zu kommen, weil der Adel auch der Monopolist der Rechtsprechung war.
Durch die Praxis der Realteilung erbten die Nachkommen verstorbener Bauern das Land zu gleichen Teilen. Im Effekt wurden dadurch die Höfe immer kleiner und damit immer unwirtschaftlicher. Viele Söhne verdingten sich darum als Landsknechte und zogen für Fürsten in den Krieg.
Am übelsten empfanden viele Bauern den sogenannten „Todfall”: Starb der Bauer, standen dem Fürsten das beste Gewand und das beste Stück Vieh zu. Für viele Höfe war das gleichbedeutend mit dem wirtschaftlichen Ruin. Darum verloren viele Familien ihre wirtschaftliche Selbständigkeit und fielen in die Leibeigenschaft, also in die totale Abhängigkeit von der Obrigkeit.
Reformation!
Kein Wunder, dass immer wieder Aufstände und Unruhen aufflackerten, die aber von den Herren stets mit brutaler Härte niedergeschlagen wurden. Im Allgemeinen aber waren die Bauern gottesfürchtig und fügten sich in ihr schweres Schicksal, denn ihnen wurde von den Geistlichen ja immer wieder erklärt, dass ihr untertäniger Rang gottgegeben sei.
Doch dann erschien im Jahr 1520 eine bedeutende Schrift in deutscher Sprache. Der Titel: „Von der Freyheith eines Christenmenschen“. Der Autor: Martin Luther.
Darin hieß es: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandes Untertan.“
Zwar bezog Luther diesen Satz eigentlich gar nicht auf die weltlichen Umstände, sondern war konservativ der Meinung, dass die Bauern nicht gegen die Bischöfe und Fürsten aufbegehren dürften. Aber sein Zeitgenosse, der aus einer bäuerlichen Familie stammende Schweizer Reformator Huldrych Zwingli sah das ganz anders. Er akzeptierte nur das, was ausdrücklich in der Bibel stand. Für ihn war die Bibel wie eine Art göttliches Naturrecht zu lesen, an das sich auch die Herren zu halten hatten. Taten sie das nicht, hatten die Untertanen seiner Ansicht nach auch das Recht, sich auf die Bibel zu beziehen und sich zu wehren – ja, wenn ein Fürst gegen die Regeln der Bibel verstieß, hatten die Bauern seiner Ansicht nach sogar das Recht, ihn abzusetzen.
1522 erschien die erste Auflage des von Luther ins Deutsche übersetzten Neuen Testaments. Und von Leibeigenschaft und Rechtlosigkeit der Bauern war darin tatsächlich nichts zu lesen. Den Bauern ging so langsam ein Licht auf, vor allem den Bauern im Südwesten Deutschlands, wo Zürich nicht weit war, viele den Reformator Zwingli kannten und wo seit 1523 im nahen Waldshut der Pfarrer Hubmaier Zwinglis Lehren verbreitete.
Mit dem Rücken zur Wand
Anfang 1524, vor genau 500 Jahren, waren die verarmten Bauern im Hegau, der wunderschönen Vulkankegellandschaft zwischen Bodensee und Schwarzwald, im Ausnahmezustand: Das Klima hatte sich verschlechtert, die Sommer waren kühl und regnerisch, sieben schlechte Ernten am Stück hatten sie hinter sich. Die Bauern hungerten, die Pest war ausgebrochen. Und dann kam es am 6. Januar auch noch zu einem Starkregenereignis, das als die Hegauer „Sintflut“ in die Annalen einging. Im Sommer folgte eine ganze Serie von Unwettern mit Hagel, die die Felder und viele Höfe verwüsteten. Die Bauern standen mit dem Rücken zur Wand, ihre Nerven lagen blank.
In der angrenzenden Landgrafschaft Stühlingen im Wutachtal brachte dann schließlich ein zusätzlicher Tropfen das Fass zum Überlaufen: Die Gräfin auf Schloss Hohenlupfen befahl den Bauern mitten in der für die Ernte wichtigsten Zeit, die Feldarbeit ruhen zu lassen, um für sie Schneckenhäuser zu sammeln, damit ihre Mägde Garn darauf winden könnten. Außerdem sollten sie Morcheln sammeln und Berberitzen brechen, damit die Herren daraus Schlehenkompott machen lassen konnten.
Seit mehr als 200 Jahren hatten die Stühlinger Bauern immer alle Frondienste untertänigst ausgeführt, aber das war jetzt einfach zu viel der Arroganz. Sie fassten sich ein Herz, taten sich zusammen, zogen vor das Schloss und verweigerten gemeinschaftlich lautstark ihrem Herrn die Abgaben und Frondienste und entschieden, trotz des Verbots ab sofort in den gräflichen Wäldern und Gewässern zu jagen und zu fischen. Über diesen Ungehorsam empörte sich der Schlossherr sehr und er beschwerte sich darüber in Freiburg.
Der Versuch, die Bauern mit einer Ermahnung wieder zur Räson zu bringen, scheiterte. Stattdessen wählten diese einen Anführer, den kriegserfahrenen und redegewandten Hans Müller von Bulgenbach, gaben sich ein Fähnlein als Symbol, formierten sich also militärisch, zogen durch die umliegenden Dörfer und wiegelten dort die Bauern auf.
Nach und nach erhoben sich bis zum Herbst auch in den benachbarten Landstrichen, im Klettgau, im Hegau und im Schwarzwald, die Bauern gegen ihre Herren. In Schaffhausen kam es zu einem letzten Verhandlungsversuch: Die Herren boten an, auf eine Bestrafung der Aufständischen zu verzichten, verlangten im Gegenzug aber, dass diese barfuß und waffenlos vor ihnen auf die Knie fallen, ihr Fähnlein übergeben und sie um Gnade bitten sollten. – die Untertanen lehnten dies ab und nannten die Bedingungen „liederlich“.
Auf der Hilzinger Kirchweih am 2. Oktober, einem großen Dorffest, das bis heute stattfindet, schlossen sich 800 bewaffnete, zornige Bauern mit einem Schwur zu einem kriegerischen Haufen zusammen. Davon hörten die Bauern in ganz Süddeutschland, überall kündigten sie ihren Herrn die Frondienste und den Gehorsam auf.
Bauernaufstände brachen aus.
Haufen und Artikel
Bis ins Frühjahr 1525 waren die Bauern im Schwarzwald, am Hochrhein, am Bodensee, in Oberschwaben, in Württemberg, in Franken und in Thüringen gegen ihre Herren aufgestanden. Überall beriefen sie sich auf ihr göttliches Recht im Sinne der Reformation und auf das Evangelium.
Sie bildeten drei große Haufen: den Baltringer, den Allgäuer und den Bodensee-Haufen. Gemeinsam gründeten sie im März in Memmingen die christliche Vereinigung der Bauern und nannten sich auch „Oberschwäbische Eidgenossenschaft“. Sie formulierten dort die berühmten „Zwölf Artikel“, die in einer für die damalige Zeit riesigen Auflage von 25.000 Exemplaren gedruckt und im ganzen Gebiet des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation verbreitet wurden.
Diese Zwölf Artikel waren so etwas wie das Ergebnis einer „verfassunggebenden Versammlung“, wie das der Historiker Blickle ausdrückte. Darin waren die wichtigsten politischen Positionen der Bauern ausgedrückt. In Kombination mit der parallel ausgearbeiteten „Bundesordnung“ bildeten sie das Gerüst für eine kommunale, föderative, gerechte und freie Gesellschaftsordnung.
Dabei wurden formuliert:
Erstens: Das Recht der Gemeinden, eigene Pfarrer zu wählen und abzusetzen
Zweitens: Die Abschaffung des kleinen Zehnten, also eine Steuererleichterung
Drittens: Die Abschaffung der Leibeigenschaft
Viertens: Das Recht zu jagen und zu fischen
Fünftens: Die Rückgabe von Wäldern an die Gemeinden und das Recht, darin Bau- und Brennholz zu schlagen
Sechstens: Die Reduktion der Frondienste auf ein erträgliches Maß
Siebtens: Das Verbot der Anhebung der Frondienste ohne entsprechende Vereinbarung
Achtens: Eine Reduktion der Pachtabgaben
Neuntens: Das Ende der Willkür vor Gericht und ein an der Tat und nicht an der Person ausgerichtetes gleiches Recht für alle
Zehntens: Die Rückgabe der Wiesen und Weiden, die ursprünglich Allmende der Gemeinde waren
Elftens: Die Abschaffung des Todfalls, also der Erbschaftsteuer
Zwölftens: Die Weiterentwicklung des Rechts auf der Grundlage der Bibel statt nach der Willkür der Herrscher
Bluttaten
Die Zwölf Artikel wurden den Herrschern vorgelegt, denn die Bauern wollten keinen Krieg, sondern ausdrücklich Verhandlungen. Doch wie nicht anders zu erwarten, reagierten die Herren mit Hohn und Spott darauf und waren nicht im Geringsten kompromissbereit. Der offene Krieg war dadurch unausweichlich.
Die Bauernhaufen waren schon seit Wochen durchs Land gezogen und hatten Klöster, Höfe und Burgen gestürmt und geplündert. Zunächst aber begingen die Bauern keine Gewalt gegen Personen. Doch am 16. April 1525 änderte sich alles: Die von der Arroganz der Herrscher radikalisierten Bauern begingen die Weinsberger Bluttat – sie stürmten die Burg, zündeten sie an und nahmen danach die Stadt ein. Dort töteten die Bauern alle Adeligen mit einem entwürdigenden Spießrutenlauf.
Diese Morde lösten bei den Herrschern in ganz Süddeutschland Panik aus. Ab diesem Moment nahmen sie den Bauernkrieg erst so richtig ernst. Martin Luther, der bis dahin Sympathien für die Angelegenheit der Bauern gezeigt hatte, schwenkte nun um und forderte die unnachsichtige Verfolgung der „mörderischen Rotten der Bauern“.
Ab diesem Moment ging der Adel mit unglaublicher Brutalität gegen die Bauern vor. In vielen Schlachten wurden die Bauernhaufen durch die besser ausgebildeten und ausgerüsteten Truppen der Adeligen aufgerieben, die Anführer wurden grausam gefoltert und öffentlichkeitswirksam hingerichtet. Über mehrere Wochen hinweg wurden sämtliche Aufstände niedergeschlagen. Die Haufen wurden aufgelöst, die Städte und Gemeinden, die die Bauern unterstützt hatten, wurden hart bestraft, die überlebenden Aufständischen wurden für vogelfrei erklärt und in die Wälder vertrieben. Rund 70.000 Bauern wurden getötet, viele weitere verwundet und verstümmelt.
Da die Fürsten aber Angst vor weiteren und künftigen Aufständen nach dem Muster des Bauernkriegs hatten, wurden in mehreren Regionen zumindest Teile der in den zwölf Memminger Artikeln formulierten Positionen der Bauern umgesetzt. In mehreren Verträgen zwischen Herren und Bauern wurden beispielsweise die freie Heirat ermöglicht sowie die Leibeigenschaft und der Todfall abgeschafft. Nicht alles war umsonst gewesen.
Allerdings wurden die Bauern erst etwa 280 Jahre später unter Napoleon endgültig befreit.
Nicht ohne uns
Wenn heute wieder Bauern, Selbständige und Unternehmer, also der produktive Mittelstand, Aufstände und demonstrative Aktionen gegen eine parasitär lebende Herrscherklasse durchführen, dann ist ihnen zu wünschen, dass sie aus der Geschichte gelernt haben und unter allen Umständen friedlich bleiben und sämtlichen Provokationen der Herrscher und derer willfährigen Helfer widerstehen.
Außerdem sollten sie sich einigen und ihre Forderungen klar, konkret und grundlegend artikulieren und in der Bevölkerung verbreiten. Sie sollten redegewandte Anführer aus ihrer Mitte bestimmen, geduldig und ausdauernd verhandeln und nicht aufhören zu demonstrieren, bis sie ihre Ziele erreicht haben.
Dabei gibt es allen Grund, selbstbewusst zu sein. Die nach wie vor legitimen Kernanliegen sind immer noch die gleichen wie vor 500 Jahren: Die Steuern und Abgaben sind viel zu hoch, die Regulierungen und Vorschriften sind viel zu umfangreich, die Belastung der Produktiven durch den Staat ist viel zu groß.
Und was schon damals Zwingli betonte, gilt heute erst recht: Wenn sich Herrscher selbst nicht an das Recht halten, dürfen sie vom Volk abgesetzt werden!
Ohne die Produktivität der Unternehmer und Selbständigen, der Bauern, der Handwerker, der Kraftfahrer, der Händler und vielen weiteren sind Politiker, Funktionäre und Beamte nichts, denn was sie verbrauchen und ausgeben, muss erwirtschaftet werden. Ohne die Bauern können die Gräfinnen kein Garn auf Schneckenhäuser winden. Und ohne den produktiven Mittelstand können Politiker keine Hochzeit mit Porsche und Privatflugzeug auf Sylt feiern und sie können kein Geld an ideologische Projekte verteilen.
Ohne uns geht gar nichts. Mit uns geht vieles.
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