17. Januar 2024 12:00

Global Governance Der „Multipolaritäts-Trick“

Warum die Rolle der USA als Hegemon Nummer eins nun aufgegeben werden kann

von Axel B.C. Krauss

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Bildquelle: Gernsback67 (CC BY-SA 4.0 Deed) / Wikimedia In Orwells „1984“ ist die Welt in drei Supermächte aufgeteilt, die sich scheinbar permanent bekriegen: Erschreckende Parallele zu unserer heutigen Realität

Kürzlich stieß ich auf einen Artikel von Michael Thumann in der „Zeit“ mit dem Titel „Das Geraune von der Neuen Weltordnung“, erschienen am 11. Januar. Darin stellt Thumann durchaus richtig fest: „Endlich sei die Zeit der US-Dominanz und der ‚globalistischen Eliten‘ vorbei, jubeln extreme Rechte wie Linke. Sie fallen auf einen Trick autoritärer Politiker herein.“

In der Tat: Es ist ein Trick autoritärer Politik, aber diese ist nicht nur in Russland oder China, nicht nur in „Ostasien“ oder „Asianien“ angesiedelt. Damit habe ich bereits einen kleinen Wink gegeben, der im Folgenden natürlich ausführlicher erläutert werden wird.

Doch zunächst zu einem ganz anderen Trick oder, besser, einem über Jahre hinweg verbreiteten, leider irreführenden Narrativ: Die sogenannte „Neue Weltordnung“ sei eine rein amerikanische oder anglo-amerikanische Angelegenheit. Und die „Globalisten“ eine ausschließlich westliche Truppe, die eine „unipolare Weltordnung“ aufrechterhalten wolle, gegen die sich nun angeblich „Widerstand“ seitens Russlands und Chinas, mithin des Brics-Blocks bilde. Was zu einer angeblich viel besseren, gerechteren Welt führe – so die Behauptung in vielen Alternativmedien –, zu einer Art multipolarem Machtgleichgewicht, das den Zumutungen einer alleingängerischen USA oder „des Westens“ ein Ende mache.

Größte Vorsicht bitte.

Statt vorschnell in Jubelarien zu verfallen darüber, dass die USA ihre ihr schon vor langer Zeit zugedachte Rolle als „Basis“ für oder „Transmissionsriemen“ in eine neue Weltordnung nun verlören, sollte man lieber nicht übersehen, dass es noch andere, nicht unbedingt nur erfreuliche Gründe gibt, warum diese Vorbild- oder Vorreiterrolle des „obersten Weltpolizisten“ jetzt aufgegeben wird: weil das, was sich zumindest in Ansätzen als „technokratische Agenda“ herumgesprochen hat, bereits so weit umgesetzt ist, dass ein solches „Zugpferd“ gar nicht mehr nötig ist. Man braucht nur einen Blick auf die regelmäßigen Konferenzen zu werfen, sei es auf UN-Ebene, in Davos oder auf den „Klimagipfeln“, um eine Ahnung davon zu bekommen. So ist zum Beispiel auch der Brics-Block, in den manche so viele – und überzogene – Hoffnungen setzen, längst mit an Bord.

Für einen Schnellüberblick zum aktuellen Stand dieser geopolitischen Entwicklung empfehle ich den Artikel „G20, Brics, WEF und der ‚Aufbau einer gerechten Welt und eines nachhaltigen Planeten‘“ von Dr. Jacob Nordangård. Des Weiteren die vierteilige Artikelreihe „Willkommen in der neuen multipolaren Weltordnung“ von Iain Davis, die – auch wenn sie schon etwas älter ist (erschienen im Oktober 2022), sehr detailliert auf die Frage eingeht, warum man sich vor allzu großen Erwartungen an einen Putin oder Xi Jinping lieber hüten sollte.

China ist auf dem Weg zur Technokratie bereits weit fortgeschritten, auch Russland unter Putins Führung unternimmt große Schritte in diese Richtung, und Indien, also ein weiteres Brics-Land, sowie einige afrikanische Staaten sollen nun nach und nach in diese „gemeinsame Agenda“, wie die UN sie nennt („Our Common Agenda“), einbezogen werden.

Nordangård schreibt dazu: „Die G20 hat seither schrittweise weitere Schwerpunktbereiche erhalten und ist praktisch die Keimzelle einer Weltregierung. Die G20-Mitgliedstaaten repräsentieren etwa 80 Prozent der Weltbevölkerung, und die Organisation fungiert wie ein Exekutivrat für die Umsetzung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung und der WHO-Gesundheitsagenda. Der ehemalige Staatschef der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, bezeichnete sie einst als ‚Globales Politbüro‘. Die Gruppe besteht aus 19 Mitgliedstaaten sowie der Europäischen Union (EU) und der vor Kurzem aufgenommenen Afrikanischen Union (AU) als Mitglied.“

Es kommt stark auf die Herangehensweise an: Betrachtete man die aktuelle geopolitische Entwicklung nur aus dem „klassischen“ oder konventionellen Blickwinkel als „Machtkampf“ zwischen Staaten oder Supermächten, übersähe man eben die gemeinsamen Schritte, die bereits in Richtung „Global Governance“ unternommen wurden und auch weiter werden. Die Journalistin Stavroula Pabst beispielsweise näherte sich der Thematik bereits in mehreren Artikeln aus einer anderen Perspektive: derjenigen der geplanten Einführung digitaler Zentralbankwährungen (CBDCs). So schreibt sie in ihrem am 10. Januar 2024 erschienenen Artikel „Nahezu flächendeckende Einführung von Zentralbank-Digitalwährungen (CBDCs) signalisiert internationale Machtübernahme“: „Gleichzeitig muss das internationale Streben nach CBDCs ein grundlegendes Überdenken der heutigen geopolitischen Bruchlinien erzwingen. Viele gehen davon aus, dass der wachsende Block der Brics-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika und seit August auch Saudi-Arabien, Iran, Äthiopien, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate) den Westen direkt herausfordern kann, um eine Multipolarität zu erreichen, in der nicht-westliche Länder eine größere Fähigkeit haben werden, auf der globalen Bühne aus eigenem Antrieb zu handeln. Die Tatsache, dass sich die Brics-Staaten für die CBDCs entschieden haben, deutet jedoch darauf hin, dass sich die internationale politische und unternehmerische Elite in einer entscheidenden Frage einig ist, die die finanzielle, politische und soziale Entwicklung der Welt betrifft. [Der] offensichtliche CBDC-Konsens [signalisiert], dass universelle Schritte in Richtung einer technokratischen Dystopie ebenfalls eine Schlüsselpriorität der Elite sind: Bei solchen Bemühungen sind die CBDCs der Dreh- und Angelpunkt.“

Wieder andere Autoren weisen darauf hin, dass abseits der digitalen Zentralbankwährungen noch eine andere, bislang kaum bedachte und eher verdecktere Möglichkeit der zentralisierten Überwachung und Kontrolle besteht: Nämlich dadurch, dass man statt Digital- beziehungsweise Kryptowährungen, die von Zentralbanken ausgegeben werden, eine Vielfalt unterschiedlicher Währungen auf privatunernehmerischer Ebene zulassen könnte, die allerdings – das Zauberwort der Stunde – „interoperabel“ sein sollen. Wie man diese „Interoperabilität“ zu gewährleisten gedenkt? Durch eine gemeinsame universelle Software-Schnittstelle. Und genau darüber ließen sich die Finanztransaktionsdaten dann doch wieder auslesen. Whitney Webb ist auf die Hintergründe in ihrem Artikel „Demaskierung von Farmington: FTX, Fluent Finance und der kommende digitale Dollar“ näher eingegangen.

Doch CBDCs beziehungsweise kommende digitale Währungen sind nicht Kern dieses Artikels. Es sollte damit nur gezeigt werden, dass es mehrere Ebenen gibt, die im Blick behalten werden wollen, nicht nur die übliche geopolitische und -strategische.

Vor allem auch diejenige der „öffentlichen Gesundheit“ sollte nicht übersehen werden („One Health“-Programm der UN sowie der „Pandemievertrag“ der WHO), denn auch dort sind sich viele Staaten, von denen gemeinhin angenommen wird, sie seien Gegner, erstaunlich einig. Das gilt erst recht für die allgegenwärtige Klimapolitik.

Ich finde es nach wie vor äußerst interessant, dass die von James Burnham in seinem 1941 erschienen Buch „The Managerial Revolution“ vorausgesagte Aufteilung der Welt in drei große Machtblöcke beziehungsweise -zentren heute bereits Realität ist. Burnham schrieb damals, dass nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges „noch viele Kriege“ geführt werden müssten, um diesen Zustand zu erreichen. Seine Vorstellung wurde einige Jahre später wiederum von Orwell aufgegriffen, der in seinem Roman „1984“ bekanntermaßen von den drei großen Blöcken Ozeanien, Eurasien und Asianien (oder „Ostasien“) schrieb. Heute gibt es die USA/NAU, EU und den Brics-Block. Orwell schrieb ferner, diese drei Blöcke würden sich in einem „permanenten“ Krisen-, Konflikt- und Kriegsmodus befinden, doch das sei nur für die Öffentlichkeit bestimmtes Geplänkel, um die Bürgen auf ihren Zehenspitzen zu halten, sodass sie ständig in Sorge lebten, während im Hintergrund paktiert würde, um die Macht dieser drei großen Supermächte aufrechtzuerhalten …

Aufgrund der Tatsache, dass es in der Weltgeschichte noch nie ein Machtvakuum gab – irgendjemand wird immer kommen, um es auszufüllen –, wäre natürlich zu fragen, ob zum Beispiel eine sino-russische Vorherrschaft in der Welt wirklich so viel besser wäre …

Was mich betrifft, so halte ich das ganze Gerede über die angeblich neue „multipolare Ordnung“ schlicht für einen Trick. Wie gesagt: Jetzt, da das Ziel einer Aufteilung der Welt in drei große Machtzentren vollzogen ist, wundert es mich nicht, dass die „Supremacy“ der USA, über die ein Brzeziński einst schrieb, aufgegeben wird. Erst recht, weil in allen drei Blöcken dieselben technokratischen Politiken umgesetzt werden. Bevor das Gegenteil nicht bewiesen ist – und ich glaube nicht, dass ein solcher Beweis je erbracht werden wird –, rieche ich eher eine Täuschung.

Bis nächste Woche.


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