18. Januar 2024 15:00

Werteunion: Hans-Georg Maaßen und der halbe Markus Krall Javier Milei ist nicht Helmut Kohl

Und Bert ist ohne Ernie nicht sehr telegen

von André F. Lichtschlag (Pausiert)

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Bildquelle: 360b / Shutterstock Helmut Kohl: Ist er das wahre Gesicht hinter der Werteunion?

Letzte Woche hatten wir an dieser Stelle orakelt: Implodiert die #NeuePartei Werteunion noch vor ihrem Start? Die Frage stellte sich, nachdem der designierte Parteichef Hans-Georg Maaßen gegen das vermutlich populärste Mitglied der Werteunion Markus Krall in einem Interview ziemlich böse gegrätscht hatte.

Es kam, wie es in der Politik kommen muss: Alles sei eher eine Art Missverständnis gewesen, betonen nun beide, Maaßen und Krall, und Krall wolle ja eh vorerst kein Amt oder Mandat in der neuen Partei anstreben, sondern sich auf die inhaltliche Arbeit im Bereich Wirtschaftsprogramm für die neue Partei konzentrieren. Friede? Freude? Oder Eierkuchen?

Tatsächlich hatte Maaßen gerade diese inhaltlichen Positionen von Krall als in der Werteunion nicht mehrheitsfähig kritisiert. Und bei aller nun zögerlich geäußerten, weitgehenden Fast-Einvernehmlichkeit bleibt die Frage, ob er damit nicht doch grundsätzlich recht hatte.

Auf eine Antwort scheint auch Krall zu drängen, wenn er in einem von ihm selbst öffentlich gemachten Schreiben an die Mitglieder der Atlas-Initiative ankündigt: „Die neue Partei arbeitet an ihrem Partei- und Wahlprogramm, und an genau dieser Stelle werde ich meinen Beitrag leisten und sicherstellen, dass der Wirtschaftsteil des Programms vom Geiste Ludwig Erhards verfasst wird. In dieser Rolle hat mich die Diskussion der letzten Tage sogar gestärkt und mit mir alle libertär Gesinnten, die in der Werteunion mitwirken. Ich werde daher in Erfurt am 20. Januar eine programmatische Rede halten, und ich werde die Delegierten bitten, dem Vorstand den Wunsch zu signalisieren, dass ich das Wirtschaftsprogramm federführend ausarbeite.“ Das klingt eher wie ein Ultimatum als wie der sichere Friede und ganz viel Freude. Jedenfalls sind die letzteren zwei beiden offenbar ungewiss. Ausgang offen. Fortsetzung folgt.

Rückblick: Bereits ein paar Tage vor dem „unglücklichen“ Interview ließ Hans-Georg Maaßen am 4. Januar die Bombe der geplanten Parteigründung öffentlich platzen. Bereits damals fielen dem, der genau hinhörte, Unterschiede zur Strategie auf, die Markus Krall seit Monaten nicht müde wird auszurufen.

Wir hatten diese Leitlinien letzte Woche an dieser Stelle ausführlich erörtert, zusammengefasst geht es Krall um vier Vorgaben. Erstens den libertären Furor des radikalen Staatsabbaus, frei nach Javier Milei. Zweitens die angestrebte Machtübernahme als Koalitionspartner der AfD. Drittens die Ansprache ehemaliger Wähler von Union und FDP beim Ausfüllen der scheunentorgroßen Lücke im Parteiensystem. Und viertens ein radikales An-die-Wurzel-der-Probleme-Gehen gerade auch in Sachfragen, die von der herrschenden politmedialen Klasse als „alternativlos“ hingestellt wurden, namentlich um eine hemmungslose Aufarbeitung der Corona-Maßnahmenpolitik, die Nichtbeteiligung am Klimawahn, eine Beendigung und Umkehrung der Massenmigration in den Sozialstaat sowie die Hinterfragung der immer kriegsgeileren Außenpolitik.

Maaßen präsentierte das Projekt Werteunion-Partei am 4. Januar unter dem Slogan „Freiheit statt Sozialismus“. Vermeintlich, so dachten viele zunächst, war das genau die libertäre Losung Kralls, Punkt eins also in dessen Strategie. Aber „Freiheit statt Sozialismus“ lautete eben auch die Wahlkampfparole der CDU im Bundestagswahlkampf 1976 unter der erstmaligen Spitzenkandidatur von Helmut Kohl. Was, wenn das genau so gemeint war: die Werteunion als eine Neuauflage der 70er- oder 80er-Jahre-CDU? Weniger Milei also, dafür aber ganz viel Helmut Kohl. Ist das sexy? Heute? Auch und gerade bei den Landtagswahlen im Osten?

Maaßen betonte beim Bekanntmachen der Abspaltung, die neue Partei wolle nach allen Seiten gesprächsoffen sein. Zu gerne glaubten viele, hier Punkt zwei von Krall herauszuhören – nämlich den geplanten Pakt mit der AfD zur gemeinsamen Regierungsübernahme. Aber man konnte auch dies bei Hans-Georg Maaßen durchaus anders verstehen: Die Werteunion solle bereit sein zur Zusammenarbeit mit allen – bis hin zu Grünen und Linken. Also doch eher eine Art CDU+, zwar nun ohne Brandmauer, aber eben auch offen für alles andere.

Lediglich Punkt drei der Krall’schen Strategie verkörpert die Werteunion als klare Abspaltung der CDU perfekt, nämlich die Ansprache von Nichtwählern, die ehemals Union und FDP gewählt haben. Aber ist sie auch wirklich attraktiv für diese zutiefst Enttäuschten? Mit einem Mitgliederstamm derer, die selbst im Januar 2024 noch fast geschlossen der CDU angehört haben?

Kralls vierte Leitlinie, die Radikalität auch in anderen als vordergründig wirtschaftspolitischen Fragen, ist vielleicht der naheliegendste mögliche Scheidepunkt. Sicher, gegen die Massenmigration wird sich auch die Werteunion explizit aufstellen – und das ist die in der Bevölkerung auch drängendste Frage. Was die rigorose Corona-Aufarbeitung angeht, ist das schon etwas fraglicher in einem Stamm von Altunionisten. Die eigentliche Streitfrage könnte ganz woanders liegen: Sind es womöglich ausgesprochene Transatlantiker und Freunde der neuen außenpolitischen Aggressivität, die sich zuweilen unter dem Signet blau-gelber Ukraine-Flaggen im Projekt Werteunion zusammentun? Auf X (ehemals Twitter) zum Beispiel finden sich Aspiranten, die in ihrer außenpolitischen Rhetorik eher noch die Hexe der FDP übertreffen. Markus Krall steht da für eine andere Position. Und das weiß er offenbar auch, wenn er nun betont, nur für wirtschaftspolitische Leitlinien zuständig sein zu wollen. Kompromisse sind in der Politik unumgänglich.

Dennoch bleibt die spannende Frage: Soll die Werteunion als eine Art Nato-Sondereingreiftruppe gegen AfD und Sahra Wagenknecht ins parlamentarische Feld geschickt werden? Erklärt das vielleicht das plötzliche Wohlwollen der Springer-Presse gegenüber Maaßens Projekt an jenem 4. Januar? 

Die besondere Relevanz der außenpolitischen Bündnistreue in der Politik wird von Libertären oft unterschätzt. In ihr allein aber liegt der Grund, warum Rot-Grün bundespolitisch nie mit der Linken koaliert hat oder koalieren durfte. Hier ist das eigentliche Fundament für die Brandmauer und den andauernden aggressiven Ausschluss der AfD von allen staatlichen Trögen gelegt. Und hier findet man vielleicht auch das Erfolgsgeheimnis von Javier Milei in Argentinien, der womöglich trotz und nicht wegen seiner libertären Positionen gewinnen durfte, weil auch er außenpolitisch eine Art Helmut Kohl der 70er Jahre ist. (Aber: Kohl hielt keine Jahrhundertreden in Davos und sein Land vom Kopf auf die Füße stellte er auch nicht.)

Wir alle werden bald wissen, wie die neue Partei wirklich inhaltlich und personell aufgestellt sein wird. Was Letzteres betrifft: Der Austritt des langjährigen populären Landesvorsitzenden der FDP in Sachsen, Holger Zastrow, lässt erahnen, dass am 20. Januar bei der Mitgliederversammlung der Werteunion oder in den Tagen danach der eine oder andere diesbezügliche Paukenschlag ertönen könnte. Aber selbst wenn einige Landtags- oder Bundestagsabgeordnete aus Union oder FDP überwechseln, vielleicht sogar der eine oder andere Halbkaräter oder Fernseh-Semipromi – wäre die Aufstellung wirklich attraktiver als das denkbar schärfste Team seit Nitro und Glycerin, also als das Duo infernale Ernie und Bert alias Markus Krall und Hans-Georg Maaßen, gerade in dieser unwiderstehlichen Kombination? Müssten nicht alle Beteiligten in der Werteunion Markus Krall auf Knien anflehen, doch die Führung mit zu übernehmen? 

Am Schluss noch eine Anmerkung im Detail: Mehr als ein halbes Jahr, spätestens konkret seit Sommer 2023, wurde die #NeuePartei Werteunion in Hinterzimmern beraten und angedacht. Man startete also fast zeitgleich mit dem Projekt Wagenknecht-Partei. Diese aber steht heute bereits und wird zur wichtigen Europawahl antreten, wo es nicht zuletzt für neue Parteien gilt, sich Wahlkampfkostenerstattung in Millionenhöhe zu sichern. Der Verein Werteunion aber wird, so der Plan, am 20. Januar beschließen, zunächst den Vorstand mit einer Parteigründung zu beauftragen. Die Teilnahme an der Europawahl haben alle Beteiligten bereits abgeschrieben – zu viel Zeit hat man dafür bereits vertrödelt. Was aber, wenn heute oder morgen die Ampel-Koalition dem immer stärkeren Gegenwind nach- und also aufgibt, wenn Scholz plötzlich den Schröder macht und Bundestags-Neuwahlen bereits im Sommer oder Herbst 2024 anstehen? Dann wurde auch hier alles leichtmatrosenhaft verspielt, denn so schnell würde die Werteunion kaum intakte 16 Landesverbände gründen und 16 Listen aufstellen können. Insofern wird ausgerechnet die Werteunion der Ampel alle verfügbaren Daumen drücken, dass die Koalition wenigstens noch das Vierteljahr durchhält, das Wolfgang Kubicki zuletzt voraussagte.   

Gewiss ist einstweilen nur eins: Wir werden das spannende Projekt #NeuePartei Werteunion weiter wohlwollend-kritisch begleiten.


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