TV-Serie „Gute Freunde“: Als Uli Hoeneß noch tolerant und cool war
Eine Hommage, auch an Franz Beckenbauer
von André F. Lichtschlag (Pausiert)
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Am 22. Juni 2023 habe ich im Rahmen dieser Kolumne über das damals genau vor 50 Jahren stattgefunden habende legendäre Endspiel um den DFB-Pokal zwischen Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln geschrieben – die Älteren wissen: das Spiel, in dem Günter Netzer sich selbst einwechselte und das Siegtor für die Borussia schoss. Meine Überschrift lautete: „Als der Fußball noch unschuldig war“.
Ich hatte mir das Jahrhundert-Spiel noch einmal angeschaut und festgestellt: „Die inklusive Einwechslungen 26 Spieler beider Mannschaften hatten ausnahmslos allesamt lange Haare. Von heute aus betrachtet spielten da zwei VW-Busse voll Hippies gegeneinander. Und mit einer einzigen Ausnahme waren ausnahmslos Kartoffeldeutsche am Ball und auf der Trainerbank. Zudem kamen die meisten Spieler jeweils aus Städten, Stadtteilen oder Dörfern der unmittelbaren Umgebung von Köln und Mönchengladbach. Hier tänzelten nicht wie heute irgendwelche reichlich tätowierten Legionäre aus fernen Ländern und Kontinenten bei ihrem aktuellen Lebensabschnittsklub als einer von einem Dutzend internationaler Karrierestationen, sondern da bolzte mit entsprechender Inbrunst und viel Herzblut die alte Dorfjugend vom Niederrhein gegen den Rivalen von Kindheit an aus dem Rheinisch-Bergisch-Kölschen Umland.“
Auch interessant: „Man könnte annehmen, dass es auf dem Rasen sehr viel brutaler als heute zugegangen sein könnte. Das Gegenteil ist zu beobachten: Spätestens in der Nachspielzeit hat kein Feldspieler mehr Schienbeinschoner an! Mit heruntergelassenen Stutzen und allerletzter Kraftreserve vertrauen die Männer aus dem Rheinland einander ihre Gesundheit an – und niemand trägt Blessuren davon. Man achtet einander. Respekt war noch nicht zur politisierten Floskel verkommen, sondern schlicht allgegenwärtig.“ Und: „Heutige Profis wurden als Kinder bereits im Fußballinternat diszipliniert, glattgeschliffen für die internationale Karriere und von morgens bis abends auf moderne Taktik geschult. Damals spielten Straßenkicker gegeneinander, am Spielfeldrand wurde anschließend eine Zigarette geraucht – auf den beiden langen Trainerbänken während des Spiels pausenlos von fast allen. Auch die Zuschauer waren gänzlich anders. Die Fankurven und ihre Gesänge proletarischer, unorganisierter, spontaner, unbeholfener als heute – mit viel ‚Heja‘ und so. Die Fachbesucher auf den Geraden männlicher und kartoffeldeutscher als heute. Fußball war noch Männersport.“
Wer bei diesen Gedanken mit mir in Nostalgie verfiel, der wird auch die bei RTL+ zu streamende Biopic-Serie „Gute Freunde“ lieben. Ich jedenfalls bin ihr verfallen. Die Serie zeichnet in sechs Folgen à 45 Minuten die Historie des Fußballclubs FC Bayern München von 1965 bis 1974 nach – im Mittelpunkt stehen die Legenden Gerd Müller, Sepp Maier, Franz Beckenbauer, Paul Breitner und Uli Hoeneß. Alles, was mir bei der Nachbetrachtung auf das rheinische Derby 1973 so auffiel, ist hier in bunten Farben und mit viel schauspielerischen Emotionen nachgespielt – nur spielt eben alles in „Minga“. Und ja, man spricht wortwörtlich Boarisch, eine Herausforderung für Zuschauer nördlich des Weißwurstäquators. Die zu meistern sich lohnt.
Zu viel Zeitkolorit kommen hier noch die Besonderheiten der Landeshauptstadt München hinzu. Einige davon habe ich am 26. Januar 2023 – ebenfalls hier als Kolumne für Freiheitsfunken – anlässlich einer Würdigung der Dokuserie „Schickeria“ über München in den späten 60ern und 70ern beschrieben. Ja, der Glamour der damaligen Kulturmetropole und dazu das „Mia san mia“, die typische Münchner „Granteligkeit“, die von manchen als Arroganz wahrgenommen wird, ist in „Gute Freunde“ köstlich verkörpert vom damaligen Vereinsführungsduo Wilhelm Neudecker (gespielt von Michael A. Grimm) und Manager Robert Schwan (Maximilian Brückner).
Noch etwas macht diese für Fußballfreunde hinreißende kleine Serie klar: Auch die Toleranz war noch nicht zur politisierten Monstranz und tatsächlich zum glatten Gegenteil verkommen. Der damalige Kommunist Paul Breitner und der Jungkapitalist Uli Hoeneß waren wirklich beste Freunde. Selbst in den 80ern saß in der Bundesliga noch wie selbstverständlich mit Klaus Schlappner ein ehemaliger NPDler auf der Trainerbank. Jeder dachte und sagte, was er wollte – für politisch glattgeschliffene Fußballgladiatoren von heute undenkbar. Uli Hoeneß selbst missbrauchte im Januar 2024 die Trauerfeier für seinen „guten Freund“ Franz Beckenbauer zur Hetze gegen die AfD. Tiefer kann man nicht mehr sinken.
„Gute Freunde“ aber spielt vor diesem Absturz – wir sehen in einer feinen, lockeren Inszenierung mit viel Wehmut ein Land aus einer anderen Zeit und wie aus einer anderen Welt. Und haben am Schluss nur eine Bitte an RTL: Wie wäre es mit einem weiteren Sechsteiler über den anderen Topklub dieser Jahre und Mitaufsteiger 1965 in die Bundesliga? Im Mittelpunkt dann bitte Hennes Weisweiler, Günter Netzer, Berti Vogts, Jupp Heynckes und Wolfgang Kleff. Oh, wie wär’ das schön!
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