Sich selbst erfüllende Prophezeiungen: Warum manche jungen Menschen sich in Druck gesetzt fühlen
Nein, nicht „unter“: „in“
von Axel B.C. Krauss
Es hat einen guten Grund, warum ich irgendwann dazu überging, statt von Massen- von Vermassungsmedien zu sprechen. Sie sind in der Lage, schwere Fehlwahrnehmungen zu erzeugen: den falschen Eindruck einer „Wirklichkeit“, die es in Wahrheit gar nicht gibt. Wenn ich durch die Stadt schlendere und an jedem Kiosk, in jeder Buchhandlung, auf jedem Münzklo, in jeder Kneipe und in jedem Restaurant, am Flughafen, beim Friseur, im ärztlichen Wartezimmer – fast überall, rund um die Uhr, tagtäglich – bestimmte Informationen präsentiert bekomme, könnte der irrige Eindruck entstehen, es sei die „Wahrheit“, es sei „richtig“ – weil es „alle“ sagen, weil ich es ständig höre und sehe, weil mir das Zeug ohne Unterlass um Augen und Ohren gehauen wird.
Der entscheidende Faktor hier lautet also in zwei Worten: flächendeckende Distribution. Durch diese breitflächige Verteilung wird tatsächlich eine Art „Matrix“ aufgespannt, die sich über die natürliche, unverstellte, individuelle, ungefilterte, unvermittelte und unmittelbare menschliche Wahrnehmung legen kann. Um es noch mal umzuformulieren: Durch die großflächige Verteilung einer bestimmten Information wird – unabhängig von Richtigkeit oder Falschheit – ein enges Netz aus „Informationsknotenpunkten“ geknüpft, das sich über die natürliche Wahrnehmung legt wie ein Schleier, sich wie ein Virus ins Denken schleichen und dieses mit einer „virtuellen Realität“ infizieren kann.
Weshalb ich ja auch der Meinung bin, dass es gar keines „Metaversums“ mehr bedarf. Es braucht keine computergenerierte „virtuelle Realität“ mehr. Es gibt sie bereits. Eine vermassungsmedial erzeugte.
Ein Beispiel: Petra lernt Hans in einem Schnellrestaurant kennen und findet ihn spontan sympathisch. Doch dann erfährt Petra aus Zeitungen, Zeitschriften und Magazinen, in TV-Sendungen, im Radio und aus anderen Informationskanälen, dass sie sich irrte: Hans ist nämlich gar nicht sympathisch, sondern ein alter, abgehängter, populistischer, rechter, klima- und coronaleugnerischer, staatsskeptischer, impfzweifelnder, verschwörungstheoretischer, globalisierungsverlierender, postkolonialistischer yadda yadda weißer Nazi-Scheißmann. Nun findet Petra Hans nicht mehr so sexy. Denn sie hat ja auf vermassungsmedialem Wege überall gelesen und gehört, dass Männer alte weiße „Scheiße“ sind. Doch ist er wirklich unsympathisch geworden? Ist er auf einmal total unsexy? Gar keine Anziehungskraft mehr?
Nein. Es wurde Petra eingeredet. Rund um die Uhr. Permanent. Man könnte auch sagen, sie wurde mit ideologischem Druck geimpft. Jetzt ist sie gegen individuelles Denken, individuelle Wahrnehmung, individuelles Fühlen immun. Sie wurde „vermasst“ – durch vermassungsmediale audiovisuelle Dauerbeschallung. Genauer: Sie hat es leider nicht geschafft, sich von diesem künstlich erzeugten halluzinogenen Druck zu befreien. Vielleicht, weil sie noch nicht auf obigen Gedanken kam: Hey, das ist ja gar nicht real! Diesen Druck gibt’s ja gar nicht! Es ist eine Schimäre, eine Phantasmagorie, ein Spuk! Petra schaffte es also leider nicht, ihren Blick ideologisch zu entgiften, diesen ganzen Rotz aus dem Kopf zu spülen und Hans wieder mit einem unverstellten Blick zu begegnen. Ihre Wahrnehmung war keine unmittelbare mehr, sondern eine vermittelte. Vermassungsmedial vermittelt.
Was ich Ihnen hier erzähle, ist eigentlich ein alter Hut. Zumindest aus meiner Sicht. Ja meine Güte: Wenn ich Menschen unentwegt etwas Bestimmtes einzureden versuche, wenn sie ohne Pause der Fehlinformation ausgesetzt sind, zwei und zwei seien fünf, könnte es passieren, dass sie das irgendwann glauben. Also warum erwähne ich das überhaupt?
Weil ich unlängst auf einen Artikel stieß, der mal wieder auf tragikomische Weise den Bock zum Gärtner machte. Er ist zwar schon etwas älter, aber am Grundproblem der Vermassungsmedialität hat sich seitdem leider nichts geändert. Welch eine irre Feedbackschleife. So schrieb ze.tt, das Tochterportal der „Zeit“, am 26. April 2023: „Sexpositivität war mal eine radikale Idee. Freier Sex für alle: viel, wild, egal. Heute fühlen sich junge Frauen davon unter Druck gesetzt. Da ist etwas schiefgelaufen.“
Doch was? Weiß das jemand? Was genau ist da schiefgelaufen? Nun, Folgendes:
Ehe? Scheiße. Familie? Scheiße. Monogamie? Scheiße. Treue? Scheiße. Und ganz allgemein solche und ähnliche traditionelle Werte? Reaktionäre Nazischeiße. Kinder? Scheiße (außerdem töten sie das Klima). Alles ist vergiftet. Also Leute, fickt, so viel ihr könnt! Rund um die Uhr! Mit möglichst vielen verschiedenen Partnern. Seid hochpromiskuitiv!
Schnitt. Einblendung am unteren Bildrand: Einige Jahre später …
„He!“, beschwert sich ausgerechnet das Blatt – die „Zeit“ inklusive Tochterportal ze.tt –, das maßgeblich an der Erzeugung dieser Fehlwahrnehmung beteiligt war: „Wie kam’s denn?“ Das diesen Druck mit aufgebaut hat, und zwar kräftig. Jahrelang.
Das nennt man dann eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.
Ja, da ist etwas schiefgelaufen. Aber nur diejenigen, die diesen Quatsch ständig gepredigt haben. Die sind schiefgelaufen.
Also, ihr jungen Leuts: Es gibt nicht den allergeringsten Grund, sich unter Druck gesetzt zu fühlen. Höchstens in Druck gesetzt. Wie in einen Setzkasten. Ihr seid aber keine Setzlinge in ideologisch starren Kästen, sondern Menschen. Echte, lebendige, (hoffentlich) selber denkende, fühlende Menschen, die auf ihre eigene Art leben und lieben. Allein die flächendeckende Verbreitung einer bestimmten Information macht sie nicht zum kollektiv erstrebenswerten Lebensideal, dem „alle“ folgen müssten. Es ist nur ganz buchstäblicher Druck. Vermassungsmedialer.
Alles Weitere werde ich in meinem nächsten Buch erklären. Vorläufiger Arbeitstitel: „Betrachtungen eines Wertlosen, dem keine Legion folgt. Kopfnüsse für das Massenzeitalter“.
Bis nächste Woche.
Kommentare
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