Hans-Georg Maaßen im Visier: Zersetzung
Geheimdienstarbeit gegen Oppositionelle
von Christian Paulwitz drucken
In den 90er Jahren habe ich einmal die Leipziger Außenstelle des Stasi-Unterlagen-Archivs besucht. Sehr eindrucksvoll war der Gang durch die Räume mit Schränken voller Karteikarten. Um das System der Stasi zu illustrieren, wurden bei der Führung Anekdoten der Bespitzelung erzählt, die sich in den Dokumenten der Karteien niederschlugen. So wurde der Zettel einer Sekretärin vorgezeigt, der dank eines aufmerksamen sozialistischen Mitarbeiters und wachsamen Kämpfers für den Antifaschismus von ihrem Schreibtisch aus den Weg zur Staatssicherheit fand. Da der Zettel in einer individuellen stenografischen Schreibweise abgefasst war, konnte er nicht auf Anhieb entschlüsselt werden, was das beobachtete Objekt um so verdächtiger machte. Daher benötigte der Apparat weitere Erkenntnisse, um sich vor möglichen konterrevolutionären Umtrieben zu schützen, und beobachtete fortan entsprechend die Zielperson und ihr Umfeld. Einmal in Tätigkeit versetzt, war der paranoide Apparat kaum noch zurückzunehmen, selbst als sich die Indizien zunehmend erhärteten, dass es sich bei dem verdächtigen Zettel um die stichpunktartige Niederschrift eines Kochrezepts gehandelt hatte.
Im folgenden Jahrzehnt kam mir so manches Mal der Gedanke, wie wohl die Staatssicherheit gearbeitet hätte, wenn sie die Möglichkeiten der modernen Datenverarbeitung in einem fortgeschritteneren Zustand zur Verfügung gehabt hätte. Eine Kartei mit einzelnen Karteikarten zu durchsuchen, um mögliche Verbindungen zwischen unterschiedlichen Verdächtigen der Verschwörung des faschistischen Imperialismus gegen den Sieg des Sozialismus zu ermitteln, die noch nicht bekannt sind, ist eine ganz andere Nummer als eine elektronische Datenbank nach Stichwörtern zu durchsuchen, trotz einer dank Internet, sozialer Medien und Erfassung privater oder behördlicher Handlungen unendlich viel größeren Datenbasis. Ganz zu schweigen von den sich heute erst entwickelnden Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz.
Am 31. Januar 2024 meldete der Staatsfunk in seiner Sendung „Tagesschau“: „Maaßen als Rechtsextremist abgespeichert“. Zufällig hat der Verein der Werteunion zehn Tage vorher seine Parteigründung beschlossen. Da wir nach den Worten einer ehemaligen Bundeskanzlerin nur den offiziellen Nachrichten glauben sollen und ich das sicher auch so interpretieren darf, dass wir ihnen immer glauben können, muss die Schlagzeile wohl zutreffen und kann quasi als mit den höheren Weihen einer Regierungserklärung gesegnet betrachtet werden. Die „Tagesschau“ beruft sich zudem auf Recherchen der Sendung „Kontraste“ (auch Staatsfunk) und „t-online“, dass das sogenannte „Bundesamt für Verfassungsschutz“ (BfV) die Einstufung Hans-Georg Maaßens als Rechtsextremist vorgenommen habe. Wie diese zu ihrer Erkenntnis kommen, ist jedoch sehr unklar. Angeblich seien „zuständige Abgeordnete des Deutschen Bundestages in geheimer Sitzung informiert“ worden. Sicher waren zum Schutz der Demokratie die unzuverlässigen Schwefelgesellen der AfD von dieser Information ausgeschlossen, so dass sie aus dem Kreis der informierten Abgeordneten unmöglich nach außen gedrungen sein kann. Da das BfV aufgrund der Wahrung der Persönlichkeitsrechte auch absolut wasserdicht gehalten hat, weiß also niemand von dieser Informationsweitergabe, nur der liebe Gott. Und der Staatsfunk natürlich. Die Tagesschau schreibt: „Laut den Recherchen liegt beim BfV eine umfangreiche Materialsammlung zu Maaßen vor. Deren Auswertung habe dazu geführt, ihn im Bereich Rechtsextremismus zu speichern. Das BfV wollte mit Verweis auf Persönlichkeitsrechte dazu keine Stellungnahme abgeben.“
Nun ist allerdings Hans-Georg Maaßen selbst an die Öffentlichkeit gegangen mit dem Ergebnis eines Auskunftsschreibens seitens des Geheimdienstes, das von seiner anwaltlichen Vertretung angefordert worden war. Das Schreiben datiert vom 16. Januar, ist also gerade einmal zwei Wochen älter als die „Tagesschau“-Meldung und umfasst 20 Seiten. Ich habe es dem Nachrichtenportal „Nius“ entnommen; auf Maaßens Seite, wo sie auch stehen sollen, habe ich es leider nicht gefunden – sicher mein Fehler. Ich gehe davon aus, dass es so, wie veröffentlicht, echt ist, obwohl es nicht von der „Tagesschau“ kommt, die selbstverständlich so gut wie der Geheimdienst Persönlichkeitsrechte wahren würde und gar nicht auf die Idee käme, persönliche Daten zu veröffentlichen, nicht einmal wenn ausdrücklich dazu autorisiert.
Ich habe die 20 Seiten aufmerksam durchgelesen, aber keine explizite Bestätigung gefunden, dass der Geheimdienst Maaßen als Rechtsextremisten einordne. Offenbar ging die Anfrage, auf die seitens der Behörde geantwortet wurde, von dem durch Medienberichte begründeten Verdacht aus, sie ermittele gegen Maaßen wegen eines Verdachts zur Nähe der sogenannten Reichsbürgerszene, aber auch dies wird nicht bestätigt. Zwar werden einige Zitate Maaßens wiedergegeben, eingebunden in Sätze, die suggerieren, in ihnen würden möglicherweise belastende Meinungsverbrechen wiedergegeben, doch ausdrücklich festgestellt wird dies nicht. Die Auskunftserteilung erfolgt jedoch entsprechend dem Auskunftsanspruch dieser Zitate ausdrücklich entsprechend Paragraph 10 Absatz 1 BVerfSchG im Rahmen des Bereichs, in dem das Amt tätig wird. Genauer gesagt heißt es dort:
„Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiner Aufgaben personenbezogene Daten in Dateien speichern, verändern und nutzen, wenn
- erstens, tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach Paragraph 3 Absatz 1 vorliegen,
- zweitens, dies für die Erforschung und Bewertung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach Paragraph 3 Absatz 1 erforderlich ist oder
- drittens, das Bundesamt für Verfassungsschutz nach Paragraph 3 Absatz 2 tätig wird.“
Theoretisch könnten also alle diesbezüglich gespeicherten Daten mit dem Unterpunkt zwei begründet sein, also einer Art „Umfeldbeobachtung“ aus Anlass von Kontakten, auch passiver, ohne dass eine auf ihn selbst personenbezogene Einordnung vorgenommen wurde, möglicherweise sogar teilweise im Rahmen von Unterpunkt drei, da es dem Hinweis folgend heißt: „Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder wirken mit … [unter anderem] bei der Überprüfung von Personen in sonstigen gesetzlich bestimmten Fällen“, worunter er ja als ehemaliger Leiter des Amtes durchaus fallen könnte – da fehlt mir das juristische Hintergrundwissen dazu.
Auf Seite 17 wird dann etwas konkreter geschrieben: „Aufgrund Ihres Vortrags im Schreiben vom 18. August 2023, der insbesondere die Frage betrifft, ob das BfV Ihren Mandanten betreffende Daten im Zusammenhang mit einer etwaigen Nähe Ihres Mandanten zur „Reichsbürger“-Szene erfasst hat, wurde zusätzlich vom Datenschutzreferat eine automatisierte Suche mit dem Namen Ihres Mandanten in den entsprechenden elektronischen Akten veranlasst. Die Suche ergab die nachfolgend aufgeführten Informationen, die im Zusammenhang mit Datenerhebungen anfielen, die nicht auf Ihren Mandanten abzielten und nicht zu ihm gespeichert sind“ – man könnte dies als Aussage werten, dass jedenfalls Maaßen selbst nicht wegen einer etwaigen Nähe zur Reichsbürger-Szene beobachtet werde. Es folgen vier weitere Angaben, unter anderem ein allgemeiner Hinweis auf Presseartikel. Abschließend wird darauf hingewiesen, dass eine automatisierte Namenssuche in den geführten elektronischen Akten mehr als 1000 Treffer erzielte, was einen automatischen Abbruch der Suche zur Folge hat. Dass eine Person des öffentlichen Lebens, die über Jahre hinweg auch Gegenstand der Berichterstattung in den Medien war, oft namentlich in Dokumenten erwähnt wird, ist nicht überraschend und wird hier auch qualitativ nicht gewertet. Dass daraus in manchem alternativen Medium gemacht wird, dass das Amt mehr als 1000 Dokumente über Maaßen gespeichert hat, verzerrt offenbar die Faktenlage.
Bereits 1991 sagte die DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley folgende Worte: „Alle diese Untersuchungen, die gründliche Erforschung der Stasi-Strukturen, der Methoden, mit denen sie gearbeitet haben und immer noch arbeiten, all das wird in die falschen Hände geraten. Man wird diese Strukturen genauestens untersuchen – um sie dann zu übernehmen. Man wird sie ein wenig adaptieren, damit sie zu einer freien westlichen Gesellschaft passen. Man wird die Störer auch nicht unbedingt verhaften. Es gibt feinere Möglichkeiten, jemanden unschädlich zu machen. Aber die geheimen Verbote, das Beobachten, der Argwohn, die Angst, das Isolieren und Ausgrenzen, das Brandmarken und Mundtotmachen derer, die sich nicht anpassen – das wird wiederkommen, glaubt mir. Man wird Einrichtungen schaffen, die viel effektiver arbeiten, viel feiner als die Stasi. Auch das ständige Lügen wird wiederkommen, die Desinformation, der Nebel, in dem alles seine Kontur verliert.“
Immerhin fünf Monate hat sich das Amt mit der Auskunftserteilung Zeit gelassen. Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass das Schreiben nach allen Regeln der Kunst nicht nur mit geheimdienstlicher Professionalität im Hinblick auf seine Wirkung auch im Falle einer Veröffentlichung geprüft wurde, sondern insbesondere juristisch höchst gründlich; nicht nur, weil Maaßen selbst ein versierter Jurist ist mit tiefem Einblick in das Amt.
Mein Fazit: Es gibt keine offizielle Erklärung des Amtes für eine Einordnung Maaßens als „Rechtsextremisten“; unwahrscheinlich, dass eine solche spontan oder aufgrund neuerer Erkenntnisse innerhalb einer Woche nach Absendung des Schreibens erfolgt ist. Die Denunziation Maaßens erfolgte über Medien ohne nachprüfbare Quellen und erhält mit der „Tagesschau“ eine große Breitenwirkung. Die Öffentlichkeit geht dadurch fest von einer personenbezogenen Beobachtung Maaßens als „Rechtsextremisten“ durch das Amt aus, was ein vielschichtiges Signal sendet, wobei ein möglicher Einschüchterungsversuch der Person selbst vermutlich den unwichtigsten Anteil hat. Noch vor der Gründung der Werteunion ergeht ein Signal an alle Sympathisanten, dass die Schnüffelbehörde zu allem entschlossen ist und keine Grenzen der Rücksichtnahme kennt; selbst ein ehemaliger Behördenleiter ist nicht tabu.
Jeder muss damit rechnen, ins Visier zu geraten. Gerichtet ist das vor allem an alle Beamten im Umfeld der Werteunion, die um ihre Pensionen fürchten sollen. Überflüssigerweise weist auch die „Tagesschau“ ausdrücklich auf solcherlei Konsequenz für Maaßen hin – damit es auch der dümmste kapiert, dass alle Beamten gemeint sind. Es ist ein verzweifelter Akt, mit einer inszenierten Maximaleskalation gleich zu Beginn die Oppositionspartei möglichst im Ansatz zu ersticken. Das politische Risiko wird dadurch gemindert, dass das Amt in der Denunziation nicht selbst direkt involviert ist und jederzeit dementieren kann. Auch die „Tagesschau“ kann sich darauf zurückziehen, nur das berichtet zu haben, was ihr glaubhaft zugetragen wurde, und damit ihrem „journalistischen Auftrag“ entsprochen zu haben. Es ist also ein Szenario der Schadensbegrenzung installiert, sollte sich die mediale Aufnahme ungünstig für das Amt oder seine politische Führung im Innenministerium entwickeln. Parallel zu den regierungsfreundlichen Demonstrationen „gegen rechts“ ist aber ein Umfeld geschaffen, um eine allzu ungünstige Entwicklung nach Möglichkeit zu vermeiden.
Merken sollte man sich die Aussage des Bundesamtes, dass es keine Erklärungen zu Einzelpersonen abgebe. Die Landesämter verfahren jedenfalls definitiv nicht nach diesem Prinzip. Da vermeldet man im Landesverfassungsschutzbericht schon gerne einmal eine Person explizit als unter Beobachtung stehend, zum Beispiel wenn diese einer bestimmten, ungeliebten Partei angehört und womöglich sogar eine Funktion inne hat, um dann damit pars pro toto die Partei selbst negativ zu framen. Was auch dann funktioniert, wenn die offizielle Beobachtung später unter juristischem Druck zurückgenommen wird. Parallel dazu wird eine Kette angestoßen, die die Partei dann zwischen Solidarität und Distanzierung spaltet, bestehendes parteiinternes Konfliktpotential vergrößert und die Leute beschäftigt. Jede mediale Sau zieht einen Rattenschwanz an Konfliktbearbeitung zur Schadensbegrenzung vor, weil die Besserwisser auf der einen wie der anderen Seite sich in die Haare kriegen. Bei der Stasi hat man so etwas Zersetzung genannt. Eine Struktur wird weniger dadurch geschwächt, dass sie direkt durch einen Behördenapparat angegriffen wird, sondern indem man in ihr Konflikte schafft oder vorhandene Konflikte unterstützt. Dabei sind nicht unbedingt die offiziellen Mitarbeiter eines Geheimdienstes die wichtigen Hebel, sondern der Einfluss auf geeignete Charaktere, Narzissten, die im politischen Milieu ab und an anzutreffen sein sollen, in dem Menschen nach Einfluss streben, Zwangsregeln zum höheren Wohle durchzusetzen. Sagt man so. Die interessanten Informationen sind die über die kleinen oder größeren Schwächen von Menschen; Auskunftserteilung im Falle der Nachfrage sehr unwahrscheinlich.
Wenn ich mir die Causa so ansehe, dann frage ich mich, ob nicht jeder Bürger so ein Auskunftsersuchen an das Amt stellen sollte. Möglicherweise sogar regelmäßig – mindestens jährlich, so schnell wie sich die Zeiten gerade ändern.Schließlich will man ja als ordentlicher Bürger alles richtig machen. Ich denke nur noch darüber nach, wie man die Abfrage möglichst so formuliert, dass sie eine möglichst aussagekräftige Antwort des Amtes erzwingt. Hat da jemand eine gute Idee?
Quellen:
Maaßen als Rechtsextremist abgespeichert (Tagesschau)
Das Maaßen-Dossier: Auf diesen 20 Seiten sammelte der Geheimdienst Informationen über seinen Ex-Chef (Nius)
Zitat Bärbel Bohley (Achse des Guten)
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