16. Februar 2024 07:00

Falsche Freunde – Teil 7 Wer sich mit den Falschen einlässt, wird das Richtige nicht erreichen

Libertarismus und Konservativismus

von Stefan Blankertz

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Bildquelle: Peyker / Shutterstock Halten wir in diesen dunklen Zeiten die Fackel der Freiheit noch höher: Und verzichten wir auf faule Kompromisse!

Der Libertarismus folgt zunächst genau dem Gebot der Stunde, denn er stellt einen Zusammenschluss der klassischen liberalen und anarchistischen Tradition dar. In den USA verweist „liberal“ allerdings auf sozialdemokratische Ideen, während „konservativ“ eher „liberal“ im europäischen Sinne meint. In der ersten Folge dieser Serie habe ich hergeleitet, wie es hierzu gekommen ist.

Konservativ sind die liberalen Ideen darum, weil sie an die liberale Tradition der amerikanischen Gründungsväter anschließen (dass es unter den Verfassungsvätern auch dezidiert antiliberale Kräfte gab wie Alexander Hamilton, wird meist unterschlagen). In einem Essay von Murray Rothbard (1926–1995), der als so etwas wie das Gründungsdokument des Libertarismus angesehen werden kann, mit dem Titel „Left and Right: Prospects for Liberty“ zeigte dieser 1965 die inhärente Schwäche aller konservativer Positionen auf: Sie schwärmen von einer idealisierten Vergangenheit, die es zu bewahren oder wiederherzustellen gelte. Damit beziehen sie sich immer auf eine Sache, die historisch an der Realität gescheitert ist. Statt zu analysieren, warum und woran die (angeblich oder wirklich) gute, aber vergangene Sache gescheitert ist, und darauf aufbauend eine bessere Lösung anzubieten, schwelgen Konservative in Nostalgie. Sie könnten strukturell nicht siegen und seien inhärent pessimistisch, kritisierte Rothbard.

Rothbard selber hatte lebenslang zwei Seelen in seiner Brust, die er nicht in Einklang zu bringen wusste: Auf der einen Seite wusste er, dass es, um der Freiheit zum Sieg zu verhelfen, eines langen Atems bedarf und eines prinzipientreuen Festhaltens an den freiheitlichen Werten. Jeder faule Kompromiss beschädigt die Idee der Freiheit, wie ich es in dieser Serie auch nachgezeichnet habe. Auf der anderen Seite war Rothbard jedoch getrieben von dem Ziel, kurzfristige politische Erfolge vorweisen zu können. Zu diesem Zweck war er bereit, die problematischsten Koalitionen einzugehen. Der Wunsch nach kurzfristigen Erfolgen war übrigens völlig verständlich. Rothbard meinte, dass jede sinnvolle Überlegung, die gesellschaftliche Entwicklung zum Besseren wenden zu können, auf der Erlangung von Frieden beruhe. Frieden sei die Vorbedingung für Verbesserung. In den USA hieß dies, dass es gelingen müsste, die Position der USA als Weltpolizist zu beenden. Dieses Ziel wird pejorativ „Isolationismus“ genannt, als ob internationale Zusammenarbeit nur auf kriegerischem Zwang beruhen könne und Frieden notwendig die Isolation beinhalte.

In den 1960er Jahren schickte sich Rothbard an, den Liberalismus mit den Protesten der Neuen Linken gegen den Vietnamkrieg und andere kriegerische Einmischungen der USA in die Welthändel zu verbinden. Nachdem die Neue Linke ihren Weg über den Maoismus genommen hatte, in den Mainstream zugekehrt war und schließlich ihren Frieden mit dem Bellizismus schloss, blieben nur noch die Überreste der alten Konservativen sowie die neu entstehenden Rechtspopulisten, um eine Koalition gegen den Krieg zu schmieden. Rothbard griff nach diesem Strohhalm.

Obwohl er die meiste Zeit seines politisch aktiven Lebens der linken Koalition angehörte, bleibt seine Rückwendung zur konservativen Seite kurz vor seinem Tod in Erinnerung. Sie prägt das Bild des Libertarismus sowohl bei vielen Anhängern als auch durchweg bei den Gegnern. Da eine Ausbreitung des Libertarismus nach Europa in die Mitte der 1990er Jahre fällt, ist der Eindruck, der natürliche Bündnispartner der Libertären seien die Konservativen, besonders prägend, obwohl der europäische Begriff des Konservativismus sich vom amerikanischen Begriff deutlich unterscheidet. Konservative in Europa schwärmen nicht von einem Jefferson, sondern von Bismarck und seinen preußischen Junkern.

Aber auch die Konservativen (oder Rechtspopulisten), auf die Rothbard am Ende seines Lebens für eine sehr kurze Zeit seine Hoffnung setzte, waren nicht mehr die alten Konservativen von ehedem, die Jeffersonianer. Sie hatten sich gewandelt und waren ihren europäischen Brüdern im Geiste auf gespenstische Weise ähnlicher geworden. Sie redeten von der Größe der Nation, träumten von Enteignung und Nationalisierung der Schlüsselindustrien, sie befürworteten Subventionen und die Steuerung der Wirtschaft durch den Staat, sie hielten es für richtig, dass den Regionen der Wille der Zentralregierung aufgezwungen wird – jedenfalls wenn sie meinten, in der Zentralregierung die Mehrheit zu bilden und ihre Ideen durchsetzen zu können. In vielerlei Hinsicht haben die Konservativen und Rechtspopulisten vollständig das linke Programm übernommen und nur einige Vokabeln ausgetauscht. Der ganze hitzige Streit dreht sich gar nicht mehr um Inhalte, sondern nur noch um die sprachlichen Anzeichen, mit denen sie verdeckt werden. Ich bin sicher, dass Rothbard, hätte er noch ein paar Jahre zu leben gehabt, das Spiel schnell durchschaut hätte. Leider wollte der Weltgeist es anders.

Rothbards Beispiel unterstreicht noch einmal meine Analyse, wie ich sie in dieser Serie entfaltet habe: Wer sich mit den Falschen einlässt, wird das Richtige nicht erreichen. Punkt. Das heißt, dass das Argument, man müsse irgendwelche windigen Koalitionen eingehen, um doch wenigstens ein bisschen zu erreichen, stets nach hinten losgeht. Eine solche Koalition führt nicht dazu, dass die gesellschaftliche Entwicklung in die richtige Richtung geht, sondern stattdessen zur Diskreditierung der Idee der Freiheit. Das Ergebnis ist schlimmer als eine einfache Niederlage: Es macht es den Gegnern möglich, die Idee der Freiheit zu verzerren und in der Öffentlichkeit schlecht dastehen zu lassen.

Wenn die liberalen und anarchistischen Kräfte nicht stark genug sind, um die Gesellschaft in eine friedliche und freiheitliche Richtung zu bewegen, ist das bedauerlich. Aber für einen möglichen politischen Einfluss die Idee der Freiheit zu beschädigen, hat niemals einen positiven Wert. Im Gegenteil. Auf diese Weise wird es schwierig, neue Kräfte zu sammeln. Die Niederlagen des Liberalismus und Anarchismus, aber auch diejenige von Murray Rothbard, sind geschichtliche Lehrstücke.

Ziehen wir die richtigen Lehren daraus und halten die Fackel der Freiheit hoch, auch in scheinbar dunklen Zeiten.


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